„Ich habe nichts zu bereuen“: Torsten Marx’ Weg vom Fußballplatz in eine privilegierte Parallel-Welt

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„Ciao“: Torsten Marx verabschiedet sich vom Leistungssport ©Kreidler Werksteam

Robert Mennen hat’s gemacht, Stefan Sahm hat’s getan und Torsten Marx ebenfalls. Der 39-Jährige vom Kreidler Werksteam hat mit Ende der Saison 2015 seine Karriere als Leistungssportler nach fast 20 Jahren beendet. Im Gespräch mit acrossthecountry.net lässt der Hechinger, der jetzt nach Oldenburg umgesiedelt ist, seine Karriere noch mal Revue passieren, erklärt wie er vom Cross-Country-Fahrer zum Marathon-Spezialisten wurde, spricht über seine persönlichen Karriere-Highlights, die bittere Erfahrung nach einem Dopingfall im Team, seine Zukunft bei Kreidler und über das Privileg ein Mountainbike-Profi zu sein.

ACC: Torsten, im November fangen die Mountainbiker in der Regel mit den Vorbereitungen für die nächste Saison an. Wie fühlt sich das für Dich jetzt an, wo Du Deine Karriere beendet hast?
Torsten Marx: Wieso, ich fange doch auch wieder an (grinst). Ich will auf alle Fälle fit bleiben. Meine Prioritäten haben sich natürlich verändert. Ich werde jetzt erst mal arbeiten gehen und bin ab sofort Feierabend-Amateur. Ende des Jahres bekomme ich auch noch Nachwuchs, dann muss man mal sehen wie ich zum Sport treiben überhaupt komme.

Heißt das, Du behältst den Rhythmus erst mal bei?
Je nachdem wie ich dazu komme. Aber ich werde auch in Oldenburg nach Feierabend fahren gehen. Ob es immer Rad fahren ist oder auch mal Laufen, das wird man sehen. Aber ich bin auf jeden Fall ambitioniert weiter fit zu bleiben. Ich bin motiviert, auch schon wegen der Gesundheit. Ich merke schon, dass mein Körper rebelliert, wenn ich drei Wochen nichts mache. Ich schlafe dann schlecht, fühle mich unwohl. Das so genannte Abtrainieren muss ja auch über Jahre hinweg stattfinden. Ehrlich gesagt, empfinde ich es auch als Frevel, wenn man das hohe Leistungsniveau einfach so in die Tonne tritt.

Und, wie fühlt es sich jetzt an, das Karriere-Ende?
Eigentlich habe ich mir noch gar keine richtigen Gedanken gemacht. Ich war gleich in Oldenburg beim Strategie-Meeting, dann ging es nach Taiwan und jetzt bin ich am Sachen packen. Zum Luftholen kommt man gar nicht. Ist vielleicht gar nicht so schlecht, um nicht phlegmatisch rum zu sitzen und die eine oder andere Träne zu verdrücken. Ich denke, da muss man ein bisschen Luft dran lassen, dann kann man sich mal ein paar Gedanken machen. Ich bin jetzt gespannt, was Neues auf mich zukommt. Innerlich möchte man, dass es nie aufhört, diese Art und Weise von (Profi-)Leben.

Dass es nie aufhört…weil?
Weil es einfach ein privilegiertes Leben ist. Dass man sein Hobby zum Beruf machen konnte. Dass man die Unterstützung hatte. Trotz der vielen Entbehrungen, die man natürlich nicht sieht. Man sieht, wie Du herum reist, aber nicht wenn Du im Winter stundenlang auf der Rolle sitzt, oder bei Regen oder Schnee-Regen Rad fährst. Und im Sommer am Leben vorbei lebst, weil Du am Wochenende auf Rennen bist und deine Freunde und Bekannten hätten Zeit. Insofern lebt man schon in einer Parallel-Welt, aber es ist trotzdem ein schönes Leben. Es ist ein Privileg, die Unterstützung und auch ein Stück weit das Talent zu haben.

Was war für Dich der Auslöser mit dem MTB-Sport zu beginnen?
Ich glaube, es war 1994 in Hechingen, ein Spätzle-Cup. Ich bin halt so ein bisschen Rad gefahren. Ich weiß noch, am Samstag habe ich noch in Unterjesingen Fußball gespielt und war eigentlich total kaputt.

Platz drei beim Spätzle-Cup 1995, hier neben Weg-Gefährte Stefan Sahm (1), Jörg Zwirner und Robby Dorn, in dessen Laden Marx sein erstes MTB erwarb. ©Archiv Werner Sahm

Bin am Sonntag aber trotzdem gefahren und wurde in der Junioren-Klasse Fünfter. Das war im Herbst. Bis 96 bin ich noch Hobby gefahren, 97 habe ich meine erste Lizenz gelöst. Hab’s also nicht ganz geschafft, wie der Hannes Genze. die 20 Jahre Lizenz voll zu kriegen…obwohl, ich werde nächstes Jahr auch noch mal eine Lizenz lösen.

Wirklich?
Vielleicht mal einen Marathon fahren, als Marken-Botschafter (schmunzelt). Mal sehen wie fit ich bin. Man muss ja doch irgendwie ein Ziel haben, um zu trainieren. Vielleicht greife ich auch mal die Marathon-Bestzeit vom Carsten Bresser an (grinst).

Wie das?
Im Laufen, im Marathon-Lauf. Aber das wird eher nicht zweieinhalb Stunden (lacht). Das steht auf jeden Fall auf meiner Agenda und da soll nicht das Olympische Motto gelten, sondern da möchte ich schon eine anständige Zeit laufen. Es sollte schon eine „Zwei“ vorne stehen.

Was hat Dich jetzt veranlasst dieses, von Dir privilegiert genanntes, Leben aufzugeben?
Zum einen habe ich das Job-Angebot bekommen von Kreidler, als Produkt-Manager einzusteigen. Die haben mir die Stelle sogar noch ein Jahr frei gehalten. Zum anderen habe ich vor drei Jahren mit Stefan (Sahm) beim MTB-Soccer-Cup zusammen gesessen und wir haben uns beide gefragt: Hmmm, wie lange wollen wir denn noch fahren. Dann haben wir praktisch beide gleichzeitig gesagt: Ich fahre noch so lange, wie du auch fährst (lacht). Und außerdem, das sage ich mit Augenzwinkern, hören dieses Jahr viele gute Leute

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Dass er seine Sportler-Laufbahn als Fußballer begann, das konnte man beim MTB-Soccercup erkennen ©Erhard Goller

auf. Christoph Sauser, Ralph Näf, Robert Mennen, also gehören wir auch mit dazu. Da schließt sich auch der Kreis.

Mit Stefan Sahm…
…wir haben gemeinsam begonnen, im gleichen Jahr unsere erste Lizenz gelöst (1997), dann waren wir bis 2000 gemeinsam im Team Alb-Gold. Wir haben uns immer gut verstanden. Perfekt wäre es noch gewesen, wenn wir die letzten Jahre im gleichen Team gefahren wären. Aber nee, das ist schon außergewöhnlich, dass wir getrennte Wege gegangen sind, aber es beide so lange ausgehalten haben. Letztlich liegt es wohl daran, dass wir diese Sportart mit Leidenschaft betreiben und viel Herzblut rein steckt. Vielleicht aber auch weil wir beide ziemlich spät begonnen haben. Stefan kam vom Turnen, ich vom Fußball.

Ist das über die getrennten Jahre eine Freundschaft geblieben?
Nun, wir haben nicht mehr so viel miteinander gemacht, aber wenn wir uns auf den Rennen sehen, verstehen wir uns gut. Das macht es ja auch aus, dass man nicht das Gefühl hat, man müsste sich melden, damit die Beziehung bestehen bleibt. Wenn man sich sieht, dann versteht man sich. Wir haben den gleichen Humor, sind auf der gleichen Wellenlänge.

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Elf Jahre die sportliche Heimat: Torsten Marx im Trikot des Team Alb-Gold. Hier beim Bundesliga-Klassiker in Münsingen, eine Art  Heimrennen für den Hechinger ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Stefan ist damals, 2001, zu T-Mobile gewechselt. Das war sicher eine Chance für ihn. Du bist Robert Dorn treu geblieben und was Deine Team-Zugehörigkeit angeht, ist das über die ganzen Jahre irgendwie organisch gewachsen.
Ja. Mehr oder weniger war ich immer der Initiator, wenn es ein neues Team gab.

Das eine Team ist immer aus dem anderen erwachsen.
Genau.

Hat das mit Dir zu tun als Person? Oder ist das Zufall?
Beides, würde ich sagen. Als Stefan zu T-Mobile gegangen ist, da hatte er ein Jahr Vorsprung. Er ist ein Jahr früher mit dem Abitur fertig gewesen als ich (wegen Marx’ Umzug aus dem Osten, musste er eine Klasse weiter unten weiter machen) und das eine Jahr hat er es schon professionell betrieben. Da war er einfach stärker und hat den Sprung ins Profi-Leben geschafft. Das war der richtige Schritt, auf jeden Fall. Ich hätte das genauso gemacht. Robby (Dorn) war dann ein bisschen sauer, aber wir haben es ja auch zu was gebracht. Ja, ich glaube schon, dass es immer neue Teams gab, dass ich Leute um mich geschart habe, die einen kennen, die einem vertrauen, die mit genauso viel Herzblut dabei sind, das passt zu mir. Die Sponsoren gehören natürlich auch dazu.

 

Das Team Alb-Gold entwickelte sich in den Jahren von 2000 bis 2008 kontinuierlich weiter und war dabei einem internationalen Team zu werden, als der Doping-Fall Peter Riis Andersen alles zunichte machte. Teamchef Robert Dorn setzte mit Partner Frieder Schneider nach Verlust des Titel-Sponsors sein Engagement unter DS-Rennsport fort, doch letztlich zogen sich Dorn und Schneider am Ende der Saison 2010 zurück. Der langjährige Team-Mechaniker Rico Nädele übernahm im Grunde die Regie, mit dem neuen Sponsor Black Tusk ging es mit Marx weiter. Rainer Schenk stieg damals mit ein und als Nädele aus familiären Gründen aufhörte,  Bike-Sponsor Kreidler dann ein eigenes Werksteam aufstellte, da war es Schenk, der die Regie führte (…immer noch führt) und Marx war wieder mit dabei.

 

Ein neuralgischer Punkt in Deiner Geschichte war der Dopingfall Peter Riis Andersen. Was hat der für Dich verändert?
(Seufzt). Ich hätte nie gedacht, dass Doping-Geschichten so nahe rücken, sie mich so sehr betreffen. Ich habe mich mit Peter sehr gut verstanden, er war mal ein Jahr weg, bei Cannondale, dann kam er wieder zurück. Das fand ich jetzt auch nicht soo cool. Wo ich mich, im Rückblick, zum ersten Mal gewundert habe, war als er bei der Marathon-EM in Albstadt Zweiter wurde. Ich dachte, Mensch, der Kerl, das ist ein Talent. Eigentlich sah er überhaupt nicht austrainiert aus und wurde hinter (Alban) Lakata noch Zweiter. Ich war in diesem Jahr schwer gestürzt, hatte die Rippen angebrochen und bin in Albstadt ausgestiegen. Im Nachhinein hat es sich erklärt.

Alb-Gold stieg als Sponsor aus, das Team flog auseinander.
Wir waren damals mit dem Team schon richtig groß, ich hatte schon einen Vertrag in der Tasche für die kommenden zwei Jahre. Dann ging es eben ruckzuck. Ich kann auch Alb-Gold verstehen, dass die sagten: wir können uns damit nicht identifizieren. Da standen dann ein paar Leute auf der Straße. Auch die Leute drum herum hatten nichts mehr. Die sind mit so viel Herzblut dabei gewesen. Es waren immerhin elf Jahre und für mich auch nicht nur ein Team.

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Bad Salzdetfurth 2010: Versorgt vom langjährigen Begleiter Rico Nädele ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Es war ein großer Bestandteil meiner Karriere, ich war auch in die Organisation involviert. Dass man dann durch so einen, nein, man kann es nicht als Fehler titulieren, es ist Betrug, Beschiss, kriminell, dass man das alles so kaputt machen kann, das ist ziemlich bitter. Das war halt schwer. Wenn du dann am Trainieren bist, du fährst an jemand vorbei und es heißt dann: guck, da kommen die Gedopten. Echt bitter…,aber die habe ich dann auch zurecht gewiesen (lacht). Die Leute haben keine Ahnung, die denken, du musst was mitkriegen. Aber man sieht sich halt nur am Wochenende und was der während der Woche in Kopenhagen treibt, kriegst du nicht mit. Sei’s drum.

Das Team ging kaputt. Was hat sich für Dich sonst noch verändert? Wäre Deine Karriere anders verlaufen? War das auch in sportlicher Hinsicht ein Einschnitt?
Vielleicht schon. Im Team Alb-Gold war natürlich alles viel professioneller. Im Hinblick auf Olympia, wo der Peter Riis Andersen eingeplant war, wäre einiges an Professionalität reingekommen. Mit DS-Rennsport war das natürlich überhaupt nicht mehr möglich. Wobei man natürlich nie weiß, was hinten raus kommt. Ob dich der Support dann mehr unter Druck setzt, der Spaß dabei flöten geht, das kann man nie so genauso sagen. Es lief ja bei mir dann auch gut bei DS-Rennsport. Ich habe den Spagat zwischen Marathon und Cross-Country ganz gut hingekriegt, bin 2010 Dritter bei der Deutschen Meisterschaft (XC) geworden und habe in Windhaag ein C1-Rennen gewonnen. Das war schon gut.

Insofern ist es hypothetisch. Hat es aber Deinen Blick auf den Sport verändert?
Nö, eigentlich nicht. Ich bin nie am Start gestanden und habe gedacht, der oder der könnte was eingebaut haben. Damit habe ich mich nie beschäftigt. Entweder war ich schneller oder nicht. Im kleinen Nebensatz kann man vielleicht nachdenken, dass es komisch ist, wenn einer auf einmal schnell fährt. Aber sonst, nee, hat das für mich nie eine Rolle gespielt. Ich war auch erfolgreich und weiß wie meine Leistung zustande kommt. Ich habe gemerkt, dass, wenn alles zusammenpasst, wie beim Weltcup 2007 in Houffalize (Belgien), das war so ein Tag, dass ich dann mithalten kann.

Du warst da 15., mit Startnummer 102.
Ja und ich hatte zum Schluss Rundenzeiten acht, sieben, sieben. Das war Wahnsinn. Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich vorgefahren bin. Ich hab’s nicht so registriert. Eine Gruppe gesehen, vorbei gefahren, nächste Gruppe gesehen, vorbei gefahren. Irgendwann Kreischen, da habe ich gesehen, vor mir war der Meirhaeghe (Filip, belgischer Ex-Weltmeister und später überführter Dopingsünder). Aber da sind auch andere Deutsche, Karl Platt (12.) und Stefan (17.) stark gefahren. Ich habe schon am Morgen gemerkt, als ich in der Ferien-Wohnung beim Abwasch stand, boah, gute Beine. Da hat eben alles gepasst an dem Tag. Erst nach dem Rennen ist mir klar geworden, wie ich meinen Körper ausquetschen konnte. Mir war total übel.
Es gibt Leute im Leben, die sind klüger, die müssen weniger lernen. Und so ist es auch im Radsport. Die haben bessere Voraussetzungen und ich brauche einen super Tag, um die zu schlagen. In Houffalize war ich auch nicht so weit weg von der Weltspitze. Da habe ich festgestellt: es kann auch ohne diese Voraussetzungen gehen.

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Eine sportliche Sternstunde von Torsten Marx: Beim Weltcup in Houffalize 2007 fährt er mit Startnummer 102 auf Rang 15, hier hat er Wolfram Kurschat passiert. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Beim nächsten Weltcup in Offenburg bist Du 20. geworden und warst dann 11. in der Gesamtwertung.
Ja. Leider bin ich dann beim dritten Weltcup in Champèry im Training gestürzt. Ich stand zweite Startreihe, direkt hinter Absalon. In dem Rennen ging gar nichts. Weil es extrem technisch war (und rutschig), vielleicht auch wegen der Verletzung an der Wade. Da griff früh die 80-Prozent-Regel. Ich hatte relativ schnell den Moralischen, ab dem Zeitpunkt ging gar nichts mehr. Ich war dann auch bei den Weltcups in Übersee, aber da kam ich auch nicht vorwärts. Da habe ich echt rumlaboriert.

Hast Du da Fehler gemacht, abgesehen von der mentalen Verfassung?
Ja, ja. Da bin ich einfach ein Typ, der sich von Niederlagen zu schnell beeinflussen lässt. Beim Finale in Maribor hat auch die 80-Prozent-Regel gegriffen und auf dem Rückweg von Maribor bin ich dann bei meinem Trainer (Christoph Weiss) vorbei. Wir haben dann einfach mal einen Leistungstest gemacht, ohne Laktat. Da bin ich 380 Watt gefahren, so locker wie noch nie. Da dachte ich, also an der Form kann es nicht liegen. Bei 380 Watt hätte ich noch weiter fahren können, das ging ohne Probleme. Zwischen Maribor und DM Marathon in St. Ingbert lag genau eine Woche.

Wo es dann zu einem Dreifach-Erfolg für das Team Alb-Gold kam.
Ja, die DM war super besetzt und ich war immer das Fähnchen im Wind, bis zur Hälfte oder drüber hinaus. Irgendwann ist Fumic weg geflogen, Stefan (Sahm), und wir waren nur noch zu Fünft. Ich hab’s überhaupt nicht gemerkt. Karl (Platt)hatte Krämpfe, Moritz ist gestürzt. Da habe ich mich vorne hin gespannt, mit dem Gedanken: eine Medaille muss her und irgendwann war der Titel greifbar für das Team. Ich bin irgendwann raus aus der Führung. Jochen und Tim haben es dann unter sich ausgemacht. Moritz kam wieder zurück von hinten. Er ist mir dann davon, aber auch nicht so richtig. Ich dachte, wow, und bin im Wiegetritt an ihn heran gefahren und gleich vorbei. Er hat nicht mal mehr gezuckt. Die Bronze-Medaille war so ein Auslöser für den Rest der Saison. Bei der Marathon-EM in St. Wendel war ich Neunter und beim Roc d’Azur war ich auch immer ganz vorne dabei, zeitweise auf Rang drei.

„Ich war dann glücklich.“

Nach DM-Bronze in Bad Salzdetfurth

Und was schließt Du daraus?
Man kann ja nicht innerhalb einer Woche dermaßen Form aufbauen. Ich brauche einfach ein Erfolgserlebnis um Sicherheit zu kriegen. Ich denke, da habe ich öfter mal durch Niederlagen Selbstvertrauen verloren und mich verunsichern lassen. Ich bin eigentlich relativ schnell ins Zweifeln geraten. Meine Werte sagen eigentlich, dass ich einen so großen Motor habe wie noch nie.

Dann hörst Du quasi auf dem Höhepunkt auf, oder?
(Lacht). Leistungsmäßig schon. Aber man stellt eben fest, die Wattwerte sind die größten, die ich je hatte, aber die anderen ziehen auch nach. Du weißt, was du vor Jahren getreten hast und was jetzt möglich ist, aber es ist noch genauso schwer wie früher. Die Leistungsdichte wird immer größer und du kannst nicht mehr sagen, ich bin zu 95 Prozent da und fahre damit aufs Podium. Das funktioniert nicht mehr. Mittlerweile ist im Marathon fast noch schwieriger für mich vorne anzukommen als im Marathon. Ich denke, wenn ich mich auf Cross-Country vorbereiten würde, könnte ich locker Top-Ten fahren (in Deutschland). Dafür muss ich mich im Marathon schon ziemlich lang machen.

Dieses mentale Handicap, diese Konstellation, dass Du Dich selbst ausgebremst hast, konntest Du nie an der arbeiten?
Ich hatte schon viele Gespräche mit Trainern und so. Die haben gesagt, wir wissen genau, was du fährst, was du drin hast. Wenn es dir weh tut, dann tut es den anderen genauso weh. Dann heißt es eben nur, das länger auszuhalten. Aber ja, vielleicht war ich einfach zu brav. Grade im Cross-Country. Da habe ich in den Startphasen vielleicht nicht so reingehalten wie die Konkurrenz. Zu nett gewesen (lacht).

Im Marathon ist das nicht so dramatisch.
Schon. Aber man muss mittlerweile auch aufpassen, dass man vorne mit dabei ist. Wenn es gleich in einen Singletrail reingeht, wie in St. Ingbert, da musst du vorne dabei sein.

Gibt es so einen Moment, wo Du im Rückblick sagst: das war das größte Glücksgefühl?
Ja, das waren schon diese beiden Deutschen Meisterschaften. 2010, als ich in Bad Salzdetfurth bei der Cross-Country-DM Dritter wurde, da hast Du mit mir noch telefoniert, mich gefragt, wie es mir geht und ich habe geantwortet: Blendend (grinst). Ich wusste, da geht was, ich kann um eine Medaille mitfahren. Es war ein perfekter Tag für mich. Zeitweise war ich an zwei, aber dann kam Jochen (Käß) wieder von hinten. Ich habe alles probiert, aber mehr ging nicht. Ich war dann glücklich.

In Deinen Worten steckt auch drin, dass Du es akzeptieren kannst, wenn andere stärker sind.
Ja, klar, muss man ja. Wenn man den Saisonverlauf anschaut, die Ergebnisse, dann weißt du wer deine Gegner sind. Und wenn du sie schlagen willst, dann muss alles zusammen passen.

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Glücksmoment: Torsten Marx holt sich hinter Moritz Milatz und Jochen Käß in Bad Salzdetfurth DM-Bronze im Cross-Country. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Wie hat sich für Dich eigentlich der Wechsel von Cross-Country zum Marathon vollzogen?
Eher fließend. Bei DS-Rennsport war das. Da habe ich es zwei Jahre noch parallel gemacht.

Was war die Motivation?
In erster Linie, weil es einfacher war aufs Podium zu fahren, was die Sponsoren natürlich zufrieden macht. Und weil ich schon gesehen habe, dass mir das liegen könnte, vom Typ her. Die Fitness war da entscheidender. Im Cross-Country war ich Berg runter nicht so schnell wie viele andere. Da fehlt mir einfach die Lockerheit. Im Marathon konnte ich das gut kompensieren. Bei DS-Rennsport haben wir den Spagat gut hingekriegt. Bei Black Tusk war der Schwerpunkt dann schon Marathon. 2012 bin ich in Bad Säckingen noch Fünfter geworden bei der DM. Das war für Viele überraschend, für mich auch. Zumal der Kurs auch ziemlich technisch ist.

Was Dir nie besonders gelegen hat, waren die Etappenrennen. Du hast sie auch nicht besonders gemocht, oder?
Ja, ich glaube, das hätte ich auch nicht mehr gelernt. Aber ich habe es auch nie verstanden, wenn Leute gesagt haben: ich fühle mich von Tag zu Tag besser. Mir ging es von Tag zu Tag immer schlechter. Der Puls wollte immer unwilliger nach oben. Das habe ich nie so wirklich verstanden. Früher waren der dritte, der vierte meine schwarzen Tage. Inzwischen ist das nicht mehr so. Aber vielleicht lag das auch daran, dass ich wenige Etappenrennen gefahren bin. Ich meine, es war nicht meine ganz große Stärke. Die Ein-Tages-Rennen haben mir mehr Spaß gemacht. Bei Etappenrennen hatte ich immer das Gefühl, da gewinnt derjenige, der am langsamsten schlecht wird (lacht). Irgendwann geht der Puls nicht mehr über 160 und bist am Limit. Du fühlst dich am Abend nach dem Rennen besser als am nächsten Morgen, weil du dich nicht kaputt fahren kannst.

Bei den Etappenrennen werden halt die Helden gemacht.
Ja, so ist es. Transalp bin ich zweimal gefahren, aber mir hat das keinen Spaß gemacht. Irgendwie fand ich das für mich sinnlos, so viele Höhenmeter zu sammeln und sie dann auf Schotterstraßen wieder zu vergeuden.

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Das schöne Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt: Torsten Marx nach einer Etappe der Langkawi International Mountain Bike Challenge ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Nun ist das auch vorbei. Bei Ralph Näf war es ein lange angekündigter Abschied, für ihn war es so ein bisschen wie eine Befreiung, dass die Qualen ein Ende haben. Du wusstest auch das ganze Jahr schon, dass es Dein letztes sein würde. Wie hast Du das empfunden?
Nee, überhaupt nicht so. Ich bin immer mit der gleichen Einstellung rein, immer das Maximale. Auch beim Roc d’Azur dachte ich nicht, jetzt noch mal alles. Ich habe immer alles gegeben, mal besser, mal schlechter. Wenn es schwer geht, denkst du immer, och, warum machst du das eigentlich, warum quälst du dich, tut doch nur weh. Ich habe auch keine Erklärung, warum man sich so quält, keine Ahnung.

Vielleicht ist es die Erwartung des schönen Moments, wenn der Schmerz nach lässt, wenn das Ziel erreicht ist?
Ja, kann sein. Wenn es rum ist, dann ist man wohlig kaputt. Wenn es noch ein gutes Ergebnis war, dann kommt noch ein schönes Gefühl dazu.

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„Ein paar Mal im Nationaltrikot“: Torsten Marx bei der Marathon-WM in St. Wendel, zwischen René Tann und Stefan Sahm ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Die Marathon-DM in Furtwangen, als letzte DM Deiner Karriere, war die noch mal besonders emotional? Bei Stefan Sahm hat man ein paar Tränen erkannt.
Ja, schon. Die ganze Saison über war das mein Hauptziel. Ich wollte, wenn es geht, um eine Medaille mitkämpfen. Furtwangen stand seit Winter auf meiner Agenda. Ich habe mich gut vorbereitet, gut gefühlt. Aber dann – ich weiß nicht, war es die Wetterlage – ich habe am Tag zuvor so Kopfschmerzen bekommen, mir war schlecht und das hat sich leider nicht gelegt bis zum Start.Die Analyse hat

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Noch so ein Einsatz im Nationaltrikot: Torsten Marx hinter Tim Böhme, nicht beim Duschen, sondern im EM-Rennen in Lamosano 2006, das er als 22. beendete ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

gezeigt, ich war 10, 15 Prozent unter meinem Leistungsvermögen, mir haben 30, 40 Watt gefehlt am Berg. Dass da noch ein zehnter Platz rumgekommen ist, war okay. Im Nachhinein war das schon deprimierend. Es hätten sich schon die Leute Augen reiben sollen. Solche Sachen kannst du nicht planen. Garantien gibt es nicht, aber das ist vielleicht auch das Schöne. Wäre ja langweilig, wenn man es schon vorher wüsste. Obwohl mir’s andersrum lieber gewesen wäre (lacht).

Stefan Sahm hört auf, Robert Mennen hört auf. Die Beiden eint mit Dir, dass sie auch so ein Gentleman-Image haben. Hatte das für Dich immer eine Bedeutung, abseits von Leistung und Ergebnissen für bestimmte Werte zu stehen?
Ich bin einfach so, wie ich bin. Ich wollte mir kein Image verpassen, sondern bin halt so wie ich bin. Meine Teamkollegen denken wohl schon von mir, dass ich ein netter Kerl bin, oder, wie Du sagst, ein Gentleman bin. Aber die stellen auch relativ schnell fest, dass ich meine eigene Art von Humor habe und dennoch nicht der bin, der so extrovertiert ist, der sich nicht so gut verkaufen kann. Ich habe da aber auch nie so Wert drauf gelegt.

 Torsten Marx gehörte nie zu den Sportlern, die sich in den Vordergrund drängten oder durch eine große Klappe auffielen. Seine „Marke“ war mehr sportlich-faires und freundliches Auftreten. Seine vorbildliche Haltung wurde zum Beispiel sichtbar als er bei der Deutschen Meisterschaft in St. Ingbert 2014 für einen gestürzten Hobby-Biker anhielt und sich um ihn kümmerte, ehe ihn ein anderer Hobby-Fahrer ablöste.

Leistung gehört dazu. Aber es gibt ja auch noch andere Werte im Sport, die Zuschauer und Fans auch wahrnehmen. Wie Fairness zum Beispiel.
Ja, ja, das steht bei mir schon ganz weit oben. Ich bin so Rad gefahren, wie ich auch im normalen Leben bin. Das unterstreiche ich auch, dass alle mit fairen Mitteln arbeiten sollen. Ich will auch einen fairen Wettkampf haben.

Ohne großes Brimborium drum herum.
Ja. Ich wollte auch nicht lange vorher ankündigen, dass es meine letzte Saison ist. Das ist der Lauf der Dinge, unspektakulär. Ich glaube, ich bin in der Szene akzeptiert gewesen, hatte mit niemandem Probleme.

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Für sein faires Verhalten in St. Ingbert wurde Torsten Marx spontan ein Fairnesspreis verliehen. ©Kreidler Werksteam

Und jetzt? Der angesprochene Job bei Kreidler, was ist das genau?
Ich bin Produktmanager für die sportive Linie. Das heißt, ich bin verantwortlich für die Mountainbikes und die Cross-Räder. Die werde ich spezifizieren, was Design angeht, Ausstattung anbetrifft. Das, was man im Laden zu kaufen bekommt, das habe ich dann verbrochen. Es ist genau das, was ich wollte und ich bleibe der Branche erhalten.

Du hast eine Ausbildung als..
..Groß- und Außenhandels-Kaufmann gemacht. Und dann Zivi. Dann habe ich mal eine Auszeit genommen, 2001, und mich aufs Rad fahren konzentriert. Das hat dann auch gleich geklappt und ich durfte in St. Wendel bei der Europameisterschaft zum ersten Mal fürs Vaterland in die Pedale treten. Das war Wahnsinn. Ich war stolz auf den Adler auf der Brust. Wenn du der Auserwählte bist, okay, das ist vielleicht zu theatralisch formuliert, aber ich habe schon so was empfunden.

Einmal, 2002 in Kaprun, warst Du auch bei der WM dabei.
Ja. Zweimal hat man es mir quasi verwehrt. 2010, als ich Dritter bei der DM war und viele andere gute Ergebnisse hatte. Sportdirektor Bremer wollte dann noch einen Leistungsnachweis beim Weltcup. Ich war keine Weltcups gefahren in diesem Jahr und von Position 100 wäre ich vielleicht 50. gewesen. Mit einem 50. hätte er wohl gesagt, nee, das reicht nicht. Das habe ich nicht eingesehen und bin stattdessen Trans-Schwarzwald gefahren. Und 2006, als in Neuseeland die WM war, hat Lado Fumic ein paar Tage vorher abgesagt und ich wäre der Nächste gewesen. Wäre schon gerne öfter die WM gefahren. Aber immerhin hatte ich ein paar Mal das Nationaltrikot auf den Schultern, das kann schließlich nicht jeder von sich sagen. Man muss auch die Kirche im Dorf lassen.

Wenn Du Deine Karriere anschaust, hast Du was zu bereuen?
Nein, ich glaube nicht. Wie eingangs schon gesagt, ich habe es immer als Privileg angesehen, als Geschenk.

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Torsten Marx im Black-Tusk-Trikot beim Weltcup in Offenburg 2011. Links neben ihm übrigens der Tour-de-France-Zweite von 2014, Jean-Christophe Péraud ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Oder trauerst Du irgendwas nach?
Deutscher Meister ist etwas, das ich gerne mal geworden wäre. Aber die anderen können halt auch schnell Rad fahren. Da muss eben alles stimmen. Zweimal bei den Deutschen Meisterschaften eine (Bronze-) Medaille geholt zu haben, einmal im Marathon und einmal im Cross-Country, da bin ich schon sehr zufrieden das erreicht zu haben. Wenn es auch nicht das weiße Trikot war.

Gerade in dem vorhin angesprochenen Rennen, als Du für Käß und Böhme gefahren bist, das war vielleicht die größte Chance.
Das habe ich in dem Moment vielleicht gar nicht so registriert. Als ich mich vorne hingesetzt habe, war Moritz auch noch dabei. Ich wusste aber schon, dass ich mit den Allerbesten dann wohl nicht mithalten kann. Aber zum Glück habe ich es noch hingekriegt eine Medaille zu holen. Wenn ich Vierter geworden wäre, dann…Dritter war wie eine Meisterschaft. Jochen war zu dem Zeitpunkt so stark und Tim auch. Ich trauere da nichts nach.

 

Kurz-Porträt Torsten Marx

Geboren: 25. Juni 1976 in Pirna, Sachsen

Wohnort: Bisher Hechingen, jetzt: Oldenburg

Beruf: Groß- und Außenhandelskaufmann

Größte Erfolge:

Cross-Country: DM-Bronze 2010, WC-15. Houffalize 2007, Sieg C1-Rennen Windhaag (Aut) 2010, 5. Bundesliga-Gesamtwertung 2009, 2006, 3. Bundesliga Heubach 2006

Marathon: DM-Bronze 2007, EM-9. 2007, EM-11. 2012, 3. Trans-Schwarzwald 2010, 6. Marathon World Series Laissac 2014

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In seiner Heimat Hechingen im Sprint um den Etappensieg bei der Trans Zollernalb vom späteren Teamkollegen Markus Bauer hauchdünn geschlagen ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion
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