Nachgedreht: Dai, die, dai – der Weltcup im Val di Sole

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Das Unglück nimmt seinen Lauf. Jochen Käß (in orange) kommt zu Fall und löst einen Massensturz aus. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Von einem Domino-Effekt und einem Fahrer, der überrollt wird, von einem kickenden Olympiasieger, einem Überraschungssieger mit starkem Finish, einem, der schlecht Luft bekommt, von einer unglücklichen Lokalmatadorin, verzögert aufgehenden Beinen bei einer Schweizerin, einer Weltmeisterin für die Aufgeben nicht in Frage kommt, und von sprachlichen Feinheiten. Was vom Weltcup im Val die Sole hier noch nicht geschrieben wurde – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Jochen Käß (Centurion-Vaude) spielte eine unglückliche Rolle beim dritten Weltcup-Rennen, eine kurze noch dazu. Der Deutsche Vizemeister war es, durch den der Massensturz nach rund 150 Metern ausgelöst wurde.
„Ich war ganz links außen und an der Stelle, wo die Feedzone passiert wird, verengt sich die Strecke ein wenig. Ich musste etwas nach innen ziehen. Mein Hintermann hat darauf wohl nicht reagiert. Ich habe einen Schlag bekommen und bin aus dem Gleichgewicht gekommen“, schildert Käß die Situation.
Der 32-Jährige stürzte und per Domino-Effekt ging die ganze Breite nieder. Bei Fabian Giger (Giant Pro XC) brach die Gabel, bei Andy Eyring (Bergamont) führte das auch zum Aus.
Jochen Käß geriet –im wahrsten Sinne des Wortes – unter die Räder. „Ich habe nur noch gewartet, bis alles vorbei ist. Viele sind über mich drüber gerollt und gefallen“, erzählt Käß. Ein tiefer Kettenblatt-Abdruck, ein geschwollenes Fußgelenk und Prellungen waren das Ergebnis.
„Schade, das wäre eine Strecke für mich gewesen. Ich habe mich im Training auch echt gut gefühlt“, ärgerte sich Käß, der aber am Montag schon wieder auf dem Bike saß.

Jaroslav Kulhavy (Specialized Racing). Die „Großen Drei“ standen mal wieder gemeinsam auf dem Podest. Dass der Olympiasieger nur bis zur zweiten Runde mit Schurter mithalten konnte, das, so erklärte der Tscheche, habe mit seinem Fokus zu tun. Der liegt auf der Marathon-Weltmeisterschaft in Kirchberg/T. nächste Woche. „Die Ausdauer ist da, nur der Speed fehlt“, erklärte Kulhavy, der am Sonntag auch nicht bei der Europameisterschaft am Start stehen wird, sondern ein Straßenrennen bestreitet.
Seine Aussage erklärt ein wenig, warum er nicht eingebrochen ist, wie Lukas Flückiger eigentlich vermutet oder gar gehofft hatte. Er und sein Bruder Mathias waren am Kulhavy praktisch schon dran, doch der habe in den Anstiegen „oben raus immer gekickt“, so Lukas Flückiger. „Ich dachte, das macht der nicht lange.“ Er hat sich geirrt.

Daniel McConnell (Trek Factory Racing), darauf sei an dieser Stelle auch hingewiesen, hat mit seinem sechsten Platz bestätigt, dass sein Albstadt-Sieg nicht von ungefähr kam. Ein ähnliches Streckenprofil und schon war der Australier wieder vorne mit dabei. Übrigens mit ähnlichem Wettkampfmuster wie in Albstadt. Nach der ersten Runde war er lediglich 17., wurde aber immer stärker, je länger das Rennen ging. Um vier Sekunden schrammte er am Podium vorbei.

Thomas Litscher (Multivan-Merida) hatte im Tal der Sonne Probleme mit der Atmung. Auf irgendwas würde er wohl allergisch reagieren und schlecht Luft bekommen, schrieb er auf seiner Website. Von „einer großen Qual“ und „Standby Rhythmus“ ist die Rede. Am Ende ging es ein wenig besser und Litscher belegte noch Rang 15.

Das Multivan-Merida Biking Team hat die Teamwertung gewonnen. Dabei rollte die Equipe auf den Plätzen acht, neun und zehn ins Ziel. Das Trio fand bereits in der dritten Runde zusammen und war fortan bis Anfang der sechsten Runde mehr oder weniger gemeinsam unterwegs. Das war für José Hermida, Rudi van Houts und Ondrej Cink zwar auch keine Kaffeefahrt, aber auch ganz nett. Nur die Betreuer in der Feedzone bekamen etwas graue Haare, denn es ist nicht so einfach zu organisieren, wenn gleich drei Fahrer auf einmal eine Flasche wollen. Sie haben’s gut hingekriegt. „Nur einmal gab’s ein bisschen Probleme“, meinte Hermida. Aber dafür konnten sie sich ja gegenseitig helfen.

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Das Multivan-Merida Biking Team: Gemeinsam unterwegs, gemeinsam auf dem Podium. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Eva Lechner (Colnago Südtirol) war mit großen Hoffnungen in ihren Heimweltcup gestartet. Die Auftaktsiegerin von Albstadt lag an zweiter Stelle hinter der vorübergehend enteilten Catharine Pendrel, stürzte dann aber und fiel erst mal zurück. In der zweiten Runde erlitt die italienische Hoffnungsträgerin auch noch einen Hinterrad-Defekt, der sie vollends aus dem Konzept brachte.

Esther Süss (Wheeler-iXS) verbuchte als Siebte ihr erstes Top-Ten-Resultat in diesem Jahr. Die Schweizerin brauchte zwei Runden, „bis die Beine aufgingen“, dann setzte sie sich in ihrer Gruppe durch und ließ in Lea Davison auch noch ihre letzte Begleiterin zurück. „Ich bin sehr glücklich, dass ich es endlich in die Top-Ten geschafft habe. Die Form war schon länger da, jetzt stimmt auch das Ergebnis“, meinte Süss.

Bei Alexandra Engen (Ghost Factory Racing) riss die Weltcup-Podiums-Serie nach fünf Teilen. Mit Platz zehn war sie aber nicht unzufrieden. Im Val di Sole sei sie immer schlecht gefahren, heißt es in einer Pressemitteilung des Teams. Zur Mitte des Rennens habe sie Magenkrämpfe bekommen, berichtet Engen. Ein Phänomen, das man zurzeit häufiger zu hören bekommt, woran das auch immer liegen mag.
Teamkollegin Katrin Leumann kämpft dagegen mit dem Pollenflug. Deshalb war sie mit Rang neun mehr als zufrieden. „Ich habe sicher nicht die volle Leistung, deshalb bin ich sehr überrascht, dass ich so gut mithalten kann. Ich hoffe, dass ich bei der EM im Vollbesitz meiner Kräfte bin“, erklärte Leumann gegenüber aCC.

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Katrin Leumann führt das Damenfeld in der Startrunde an. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Julie Bresset (BH-Suntour KMC) wurde bei ihrem diesjährigen Weltcup-Debut 39. Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin war nach der ersten Runde noch 17., doch dann ging es nur noch rückwärts. In den Anstiegen konnte die Französin im ersten hochkarätigen Rennen nach ihrem Schlüsselbeinbruch von Münsingen nicht mithalten. „Ich habe nicht erwartet, dass ich mich hervorragend fühlen würde. Im Training war ich gar nicht so schlecht. Wenn du auf diesem Kurs keine guten Beine hast, kannst du gar nichts machen. Vielleicht war es der schlechteste Ort für ein Comeback, aber bei einem Weltcuprennen aufgeben, das ist undenkbar für mich.“

Anton Cooper (Cannondale Factory Racing) wurde im U23-Rennen der Herren vermisst. Der Junioren-Weltmeister laboriert nach wie vor an dem Infekt, der ihn schon vor dem Weltcup in Albstadt erwischt hat und ist jetzt ins heimische Christchurch geflogen.

Zum guten Schluss ein Wortspiel, das die brutal fordernde Strecke im Val di Sole noch mal schön aufspießt: Dai, dai, dai, so feuern die Italiener ihre Athleten an. Das kann sich für englischsprachige Biker ganz anders anhören. Für die US-Amerikanerin Georgia Gould (Luna Pro) war das praktisch die Bestätigung ihres persönlichen Empfindens: Die, die, die. „Ich sterbe, ich sterbe“, nahm’s sie in einem Tweet ihren 22. Platz mit Sarkasmus.

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