Nathalie Schneitter im Interview: Der Karriere noch mal eine Chance geben

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Vielleicht der größte Moment ihrer bisherigen Karriere: Nathalie Schneitter in Umarmung mit ihrer bisherigen Teamkollegin Eva Lechner nach ihrem Doppelsieg beim Weltcup in Champéry 2010. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Vergangene Woche wurde bekannt, dass Nathalie Schneitter zum deutschen Team Rose-Vaujany fueled by UltraSports wechselt. Acrossthecountry.net hat mit der Schweizerin über die Hintergründe ihres Wechsels zur Aalener Equipe von Steffen Thum gesprochen. Im Interview erzählt die Weltcupsiegerin von Champéry 2010 auch, warum sie froh ist, dass eine andere Option nicht geklappt hat, warum ihre Saison 2014 schon im ersten Rennen ins Wanken geriet und was sie an ihrem neuen Team besonders schätzt.

Nathalie, Du hast einen Vertrag beim Team Rose-Vaujany fueled by UltraSports unterschrieben. Hättest Du das Team auch gewechselt, wenn es bei Colnago-Südtirol weiter gegangen wäre?
Wir wussten eigentlich schon ziemlich früh, dass es mit dem Colnago Team nicht mehr weitergeht. Lange Zeit war die Rede von RusVelo, also dass sich die beiden Teams zusammenschließen (RusVelo fuhr auch auf Colnago). Ich habe mir das zwar auch offen gehalten, aber ich war von der russischen Option nie so wirklich begeistert. Nachdem ich letzte Woche die ARD-Doku („Geheimsache Doping“ über Betrug und Korruption im russischen Sport) gesehen habe, musste ich echt sagen: ich bin so, so froh, dass ich mit dieser Sch… nichts zu tun habe. Auch wenn Du nichts zu verbergen hast, wenn solche Sachen publik werden, dann schmeißen dich die Leute trotzdem in denselben Topf. Mir war die russische Option nie wirklich sympathisch. Ich hatte ja wirklich ein ganz schwieriges Frühjahr..

..nach dem Sturz auf Zypern..

..dessen Folgen sich ganz lange hingezogen haben. Dann war ich mental auch nicht auf der Höhe, um wirklich schnell Rennen zu fahren. Ich bin erst ab Mitte Juli, nach der Schweizer Meisterschaft, so richtig in die Saison eingestiegen. So ist es natürlich extrem schwierig ein Team zu kriegen. Ich habe schon im Juli angefangen mich mit der Teamsuche zu beschäftigen und mich gefragt was will ich genau?

Auf was kam es an?

Ich bin jemand, der es gerne seriös mag. Ich mag, wenn das Team seine Arbeit macht, wenn ich mich darauf verlassen kann. Ich habe mich dann mal mit Steffen (Thum, Team-Chef) getroffen und ihm erzählt, was ich mir so ungefähr vorstelle. Anfang September hat er mir Bescheid gegeben, dass von der Team-Seite her alles klar ist und sie mich dabei haben möchten. Er sagte, es würde ihnen nicht darum gehen, das Team unbedingt zu erweitern, sondern dass sie Interesse hätten das mit mir zu machen. Ich habe gespürt, dass Steffen und das ganze Team sich wirklich darum bemüht haben. Ich spüre Vertrauen und Freude, dass ich dabei bin. Bis jetzt kann ich schon sagen, dass mir die deutsche Genauigkeit und Verlässlichkeit sehr gut passt (lacht).

In der Schweiz hat man davon doch auch nicht weniger…

Ich war sieben Jahre bei Colnago-Südtirol. Ich kann da überhaupt kein schlechtes Wort sagen, sonst wäre ich nicht so lange geblieben. Wir waren eine große Familie und hatten unglaublich viel Spaß, unheimlich viele schöne Momente. Sieben Jahre ist eine lange Zeit…es tut schon weh, aber ich glaube, es ist für mich wirklich gut, mal was Neues zu haben.


Hast Du eigentlich den Kontakt zu Rose-Vaujany gesucht oder kam Steffen Thum auf Dich zu?

Die Erstanfrage habe ich gemacht. So früh im Jahr wusste auch noch keiner, dass es mit Colnago nicht weiter geht. Wenn man so lange in einem Team dabei ist, dann denkt jeder: die ist ja sowieso bei Colnago.

Was hat das Team Rose-Vaujany für dich zur interessanten Adresse gemacht? Bis dato war das Team ja mehr auf Marathon, Enduro und Sprint ausgerichtet.
Ich habe Steffen und Simon (Gegenheimer) vor zwei Jahren auf Langkawi (bei einem Etappenrennen) kennengelernt. Der Weltcup ist ja kein Event zum Freunde finden, da ist einfach Business und so.

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Nathalie Schneitter, beim Afxentia-Auftaktzeitfahren in Lefkara. Einen Tag später stürzte sie…©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Wenn man Etappenrennen fährt oder kleinere Rennen, kommt man mit den Leuten mehr ins Gespräch. Letztes Jahr habe ich die Beiden auch wieder auf Langkawi getroffen. Da war auch Kerstin mit dabei, Steffens Frau. Und ein Mechaniker von Rose, der Peter Weiss, der wohnt nur zehn Kilometer entfernt von meinen Eltern.

Ich habe einfach auf gut Glück bei Steffen angefragt. Ich habe mich einfach zum richtigen Zeitpunkt gemeldet, das Team hatte sich eh schon überlegt, nach Enduro 2014, zukünftig auch verstärkt im Cross Country zu etablieren und auch über eine Frau im Team hatten sie schon nachgedacht.

Du hast selbst von einer schwierigen Saison 2014 gesprochen. Kannst Du sie noch mal Revue passieren lassen?
Beim Afxentia Etappen-Rennen auf Zypern bin ich am zweiten Tag gestürzt, ziemlich dumm eigentlich. In einer großen Gruppe ist mir auf Kies das Hinterrad weg gerutscht und es hat mir beim Sturz das Knie aufgeschlitzt. Ich hatte Glück, dass Schleimbeutel, Bänder, Sehnen ganz blieben. Das Pech war, dass beim Nähen etwas Dreck in der Wunde blieb. Ich habe zwar Antibiotika bekommen, aber es hat sechs, sieben Wochen gedauert, bis die Wunde zu war. Ich konnte schon irgendwann wieder Rad fahren, aber am Knie geht die Wunde halt immer auf und zu. Das ist nicht so hübsch.

Nach zwei, drei Wochen Training bin ich wieder Rennen gefahren, gar nicht mal so schlecht. Aber ich hatte die Erwartung, dass es Woche für Woche besser ging. Das war nicht der Fall und in Nove Mesto bin ich nach einer Runde ausgestiegen. Ich habe mir eingestehen müssen, dass ein Neuanfang nötig ist, wenn ich meiner Karriere nochmals eine Chance geben will.

So drastisch?
Ich bin nach Hause, habe mir Gedanken gemacht, was ich will, ob ich das überhaupt will, habe mir einen neuen Trainer gesucht. Ich bin viel Enduro gefahren…also Rad gefahren bin ich immer, aber Rad fahren zum Spaß und Trainieren ist halt was anderes. Eine Grundform habe ich mir erhalten. Aber richtig trainiert habe ich erst wieder Anfang Juli. Unter diesen Voraussetzungen bin ich mit meinem Saisonschluss schon zufrieden. Es ist nichts, wo man ausflippen muss. Doch 24. muss man beim Weltcup in Mont Sainte Anne erst mal werden nach fünf Wochen Training.

Situationsbedingt war das ein Erfolg. Irgendwo muss man wieder anfangen und ich habe mich entschieden, dass ich das noch mal will. Wenn man mal so tief gefallen ist, muss man auch bereit sein Schritt für Schritt zu gehen. Deshalb ist Rose-Vaujany fueled by UltraSports auch eine gute Lösung für mich, weil sie an mich glauben und mir die Voraussetzungen bieten.

Du hast den Trainer angesprochen. Du arbeitest mit dem bisherigen britischen Nationaltrainer Phil Dixon zusammen. Wie hat sich das ergeben?

Ich habe fast sechs Jahre mit Edi (Telser, ehemaliger Teamchef Colnago und aktueller Schweizer Nationalcoach) zusammen gearbeitet. Wir waren viele Jahre erfolgreich, wir haben viel erreicht. Aber wenn man lange mit einer Person zusammen arbeitet, kennt man die Methode, die Kniffs und Tricks. Es ist schwierig neue Impulse zu setzen. Ich hatte das Gefühl, dass ich auch da eine Veränderung brauche. Ich wollte mit jemandem arbeiten, der nicht die alte Schneitter kennt, die alle diese Rennen gewonnen hat.

Mit Edi zusammen habe ich viele Rennen gewonnen, aber die letzten zwei Jahre waren nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich denke, dass ein neuer Coach neue Motivation und neuen Schwung bedeuten kann. Pedalieren muss man immer noch selber, aber ein paar neue Ideen und jemand, der mit den Voraussetzungen arbeitet, die ich jetzt gerade habe, das kann mir weiterhelfen. Ob es erfolgreich wird, zeigt sich dann.

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Nach fünf Wochen Training: 24. in Mont Sainte Anne ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion


Wie sieht denn Dein Wettkampf-Programm nächstes Jahr aus?

Haupt-Fokus ist der Weltcup und die Saison beginne ich mit dem Team auf Zypern. Da habe ich ja noch eine Rechnung offen (lacht). Da wäre schon mal gut, wenn ich alle vier Tage überstehe.

In der Pressemitteilung des Teams ist auch die Rede von Enduro. Du hast dieses Jahr da mal reingeschnuppert. Inwiefern spielt das im nächsten Jahr eine Rolle?
Hauptfokus ist definitiv Cross-Country. Wo genau ich Enduro fahre, ist noch nicht sicher. Für das Team sind zum Beispiel Willingen oder Riva, die Bike-Festivals wichtig. Ich bin mir sicher, man kann beides machen, aber eines benötigt den Hauptfokus, das andere machst du aus Spaß.

Du giltst ja als technisch sehr gute Fahrerin. Rechnest Du Dir im Enduro Chancen aus?

Bei der Enduro World Series in Valloire dieses Jahr war ich Zehnte, ohne große Enduro-Erfahrung. Da war ich schon überrascht, in der World Series fahren ja ganz gute Fahrerinnen (lacht). Ich glaube schon, dass ich schnell sein könnte. Aber zum ganz vorn mitfahren muss man auch im Enduro echt viel investieren.

Inwieweit spielen in Deinen Überlegungen auch die Olympischen Spiele 2016 eine Rolle?

Im Hinterkopf schon. Aber ich weiß, um in der Schweiz an die Olympischen Spiele zu gehen, muss man Weltcup-Podium fahren können. Mein Ziel ist es, auf das Level zurück zu kommen, auf dem ich schon mal war. Wenn mir das gelingt, dann sind auch Olympische Spiele wieder ein Thema. Aber im Moment wäre es falsch nur an das zu denken. Es gibt noch zwanzig Treppenstufen, die ich bezwingen muss, bevor es wieder realistisch ist. Aber in einem halben Jahr kann viel passieren. Es gehen aber auch Träume in zwei Sekunden kaputt. Erst einmal muss ich unverletzt und gesund über den Winter kommen, um wieder große Ziele in Angriff zu nehmen.

Im Moment konzentrierst Du Dich wieder voll auf den Sport?

Ja. Ich habe mit dem Master-Studium angefangen, musste dann aber einsehen, dass halt ein Master-Studium etwas anderes ist als ein Bachelor. Man hat Seminare, Kleingruppen, in denen man Präsenz-Zeit hat. Ich habe das auf Eis gelegt. Mittlerweile bin ich 28 und möchte nochmal alles im Bike-Business wagen. Wieder zu Studieren war eine schöne Idee, aber nicht sehr realistisch.

Kurz-Porträt Nathalie Schneitter

Geboren: 19.06.1986
Wohnorte: Lommiswil und Basel, Schweiz
Ausbildung: Wirtschaftswissenschaftlerin (Bachelor)
Größte Erfolge: Schweizer Junioren-Meisterin 2003, Junioren-Weltmeisterin 2004, Junioren-EM-Dritte 2004, Schweizer U23-Meisterin 2007, 2008, U23-Europameisterin 2008, U23-Vizeweltmeisterin 2008, 5. Weltcup Andorra, 7. Weltcup Houffalize, 15. Olympische Spiele 2008 (Elite), Weltcup-Sieg Champéry 2010, Schweizer Vize-Meisterin 2010, WM-5. 2011, 6. Weltcup Eliminator Andorra 2013.

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