Laura Valentina Abril Restrepo: Nach dem WM-Titel ist alles explodiert

Die Ex-Junioren-Weltmeisterin aus Kolumbien und warum sie nie in der Weltspitze angekommen ist

Vor mehr als elf Jahren wurde Laura Valentina Abril Restrepo im Val di Sole Junioren-Weltmeisterin. Vor Barbara Benko und Mona Eiberweiser. Seit August lebt die Kolumbianerin in Bonn und sucht ein Team. Dazwischen liegen Jahre unerfüllter Erwartungen, ein Psychologie-Studium und das Radfahren als Lebens-Elixier. Eine Geschichte aus der Reihe rissiger Biographien, die der Sport eben auch schreibt.

 

Junioren-Weltmeisterinnen tauchen nicht zwingend später auch in der U23 und dann in der Elite so weit vorne auf, dass man sie international wahrnimmt. Manche verschwinden in der Versenkung. Wie Alla Boyko aus der Ukraine, die 2007 gewonnen hat. Andere machen ihren Weg. Wie Pauline Ferrand Prevot, Tanja Zakelj oder Alessandra Keller.

Laura Valentina Abril Restrepo oder kürzer: Valentina Restrepo, wie sie selbst genannt werden will, entschwindet als Kolumbianerin einem Mittel-Europäer sowieso eher aus dem Blickfeld. Abgesehen von etlichen Titeln und Siegen in ihrer Heimat blieben die internationalen top Resultate aus.

Jetzt ist sie wieder aufgetaucht, weil sie seit kurzem in Deutschland ihr Zuhause hat. Und als sie via Skype ihre Geschichte erzählt, wird auch klar warum sie nicht so erfolgreich war und ist wie Ferrand Prevot, Zakelj, Keller und andere.

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Laura Valentina Abril Restrepo: Junioren-Weltmeisterin im Val di Sole vor Barbara Benko (links) und Mona Eiberweiser ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Wie sie erklärt, warum sie Weltmeisterin wurde

„Ich hatte einen Vorteil“, beginnt sie die Erklärung auf die Frage, ob der Titelgewinn 2008 für sie eine Überraschung war. Sie sei damals fertig gewesen mit dem College. „Meine einzige Aktivität war der Radsport“, sagt Restrepo mit Bescheidenheit, „die anderen Mädchen hatten noch mit der Schule zu tun. Und mein Trainer hat mich schon vor der WM nach Europa genommen. Ohne diese Vorbereitung hätte ich nicht gewonnen.“

Ganz unbedarft sei sie herangegangen, sie habe Radsport einfach geliebt. In der Schlussrunde kann sie die Ungarin Barbara Benko abhängen und sich danach das Regenbogen-Jersey überstreifen. Es sollte ihr nicht wirklich Glück bringen.

 

Radfahren als Therapie

Valentina Restrepo ist in Le Cumbre bei Cali geboren und aufgewachsen, bei der alleinerziehenden Mutter, in sehr armen Verhältnissen. Im Alter von sieben Jahren riet ein Arzt dazu Sport zu treiben. Valentina war mit einem verkürzten linken Bein geboren. „Und ich hatte zu der Zeit auch Probleme mit meiner Hyperaktivität. Rad zu fahren, war eine gute Lösung für beides“, erklärt sie. Radfahren wird zur Therapie, später aber auch zum Impuls für eine sehr schwierige Zeit.

Im Alter von zehn Jahren findet sie eine Familie, die sie unterstützt, die sie zu Rennen fährt, die dafür sorgt, dass sie genug zu essen hat. Der Nationaltrainer entdeckt und fördert sie. Bis heute. „Er ist wie ein Vater für mich“, sagt Valentina Restrepo. Er unterstützte sie auch, als sie nach dem WM-Titel in Bogota das Bachelor-Studium der Psycholgie aufnahm.

 

Der WM-Titel als „Trigger“ für eine frustrierende Lebensphase

Damit beginnt eine Phase im Leben von Valentina Restrepo, die sie als „sehr frustrierend“ beschreibt. „Über Jahre habe ich mich schlecht gefühlt“, bekennt sie.

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Das Rennen, das zum Startpunkt für eine sehr schwierige Zeit wurde: Valentina Restrepo fährt in der letzten Runde Barbara Benko davon und wird Junioren-Weltmeisterin ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

In ihrem Land, in ihrer Familie hätten alle so viel von ihr erwartet. Der WM-Titel sei der „Trigger“ gewesen, der Auslöser für die ernsthaften mentalen Probleme, die sie über Jahre hinweg beschäftigen sollten. Das Aufwachsen ohne Vater, ohne Geld und das frühe Leben einer Erwachsenen, nach der WM sei das alles „explodiert.“

Die Südamerikanerin verweist auch auf andere Beispiele aus der Cross-Country-Disziplin. Pauline Ferrand Prevot etwa, mit der sie auch Kontakt hatte, oder Jenny Rissveds.

Valentina Restrepo bekam Medikamente und die Medikamente waren nicht gut für den Sport. Die Leistungsentwicklung war in zweifacher Hinsicht blockiert. Und da war ein weiterer Faktor, der sicher nicht förderlich war.

Siegen für den Lebensunterhalt

„Die Universität war sehr teuer und ich habe mein Studium mit dem Geld finanziert, das ich mit dem Mountainbike

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Mit Handicap im U23-Weltcup der Damen in La Bresse 2012 ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

verdient habe. In vielen Situationen war das so, dass ich unter Druck war. Wenn ich das Rennen nicht gewinne, dann werde ich die Uni, meine Wohnung, das Essen nicht bezahlen können“, erzählt Restrepo.

Dass unter diesen Umständen Valentina Restrepo im U23-Alter nicht mehr erreichte als einen neunten Platz beim Weltcup in Val d’Isère, muss nicht verwundern.

Das Positive, sagt sie rückblickend, sei das Studium gewesen. Das war durch den Sport zeitlich gestreckt, aber nach sieben Jahren hatte sie den Bachelor in der Tasche. Vor einigen Monaten schloss sie in Italien ein „kleines“ Master-Studium zur Sport-Psychologin ab.

Die Leidenschaft ist geblieben

Und was sie sich über all die schwierigen Jahre bewahrte: Die Liebe zum Radsport. Dafür fand sie immer Zeit. „Das war das einzige, was mir all die Jahre geblieben ist.“ Die Leidenschaft im Sattel zu sitzen und die Pedale zu drehen.

Seit vier Jahren kann sie auf Medikamente verzichten. „Jetzt geht es mir gut und ich habe gelernt besser und gesund zu leben“, sagt Restrepo.

Seit August lebt sie mit ihrer Partnerin Estefania Ardila in Bonn. Ardila ist bei NDC (Nationally Determined Contributions) beschäftigt, dem Programm, das Unterzeichner-Staaten des Pariser Klima-Protokolls bei der Umsetzung der Klima-Ziele hilft.

Ein Team und sozialer Anschluss

„Ich habe jetzt ein ruhiges Leben und muss mich nicht um Geld sorgen“, sagt Valentina Restrepo. Nächstes Jahr im Herbst will sie in Köln das Master-Studium in Sozial-Psychologie aufnehmen. Bis dahin kann sie uneingeschränkt ihrer Leidenschaft nachgehen. Und sucht dafür ein Team.

„Es ist mir weniger wichtig, dass ich Geld dafür bekomme. Ich hätte gerne gutes Material und eine Team-Struktur, damit ich sozialen Anschluss finde“, erläutert Restrepo.

Ob sie weiter Rennen fahren will, das habe sie durchaus in Frage gestellt. „Aber ich habe begriffen, dass ich es liebe. Es ist nicht wichtig, weil mich in Kolumbien Leute auf dem Podium sehen wollen, sondern weil ich es liebe.“

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Die WM 2019 in Mont Sainte Anne beendete die Kolumbianerin als 45. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Restrepo: In Kolumbien lebt man als Radfahrer(in) gefährlich

Sie sei diszipliniert und wisse, dass sie gute Werte habe. Aber dem Druck will sie sich nicht mehr aussetzen. „Ich mag Rennen fahren, aber Ergebnisse sind nicht meine erste Priorität. Ich der Vergangenheit haben Leute viel von mir erwartet und das Gefühl will ich nicht mehr auf meinen Schultern“, sagt die 29-Jährige.

Die Ergebnisse würden dann von alleine kommen, wenn sie sich wohl fühle. Auch wenn das keine Priorität genieße.

Dass sie den Sport in Europa, bzw. Deutschland ausüben will, hat auch mit der Kultur in Kolumbien zu tun. „Die Leute bewundern Radsportler“, bestätigt sie. Tour-de-France-Sieger Egan Bernal ist ein Held und viele andere auch. „Aber als Radfahrer lebt man in Kolumbien gefährlich. Das Verhalten gegenüber Radfahrern ist sehr aggressiv, die Autos halten

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Valentina Abril mit ihrem Hund Smash ©Privat

keinen Abstand ein, es gibt viele Unfälle und man gerät schnell in Gefahr, dass einem das Rad gestohlen wird“, beschreibt Restrepo die Umstände.

 

Noch keine Trainingspartner*innen

Das sei einer der Gründe, warum sie es bevorzuge als Mountainbikerin in Europa zu leben. Die viel stärkere Konkurrenz ist ein anderer.

An Trainingsgefährt*innen fehlt es ihr derzeit noch. Im August traf sie beim Trainieren einen deutschen Radsportler. Man kam ins Gespräch und der vermittelte sie zu Klaus Dillmann, ehemaliger Team-Chef der aufgelösten Merida-Schulte-Equipe.

Dillmann wiederum machte acrossthecountry auf die Junioren-Weltmeisterin von 2008 aufmerksam. So kam bald darauf das Skype-Gespräch zustande, die Grundlage für diesen Artikel.

Vor ein paar Tagen ist Valentina Restrepo nach Kolumbien geflogen. In Cali, ihrer Heimatstadt, werden die „National Games“ ausgetragen. Im Land an der Nordspitze Südamerikas ist das von so großer Bedeutung, dass man ihr für den Start sogar etwas Geld bezahlt.

Wenn sie zurückkommt, beginnt die Vorbereitung auf die Saison 2020. Und vielleicht bekommt das Radsportlerinnen-Leben von Laura Valentina Abril Restrepo dann noch mal eine neue, positive Wendung.

 

 

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