Olympia 2016: Die Woche der Wahrheit
Am Tag nach dem letzten Qualifikations-Rennen für die Olympischen Spiele sitzen Trainer und Funktionäre in verschiedenen Ländern heute zusammen und beraten über die Vorschläge, die sie den jeweiligen nationalen olympischen Komitees unterbreiten werden. Auch in der Schweiz und in Deutschland tun sie das, bzw. haben das schon getan. Knifflig ist bei den Eidgenossen vor allem die Situation bei den Herren, in Deutschland bei den Damen. Aber auch in Frankreich stehen sie vor einer schwierigen Aufgabe.
Es ist diese also die Woche der Wahrheit. Der formale Vorgang in Deutschland ist ungefähr so: Die Sport-Verantwortlichen (Bundestrainer und Sport-Direktor) analysieren die sportlichen Leistungen im Qualifikations-Zeitraum. Dann schlagen sie dem Präsidium vor die Sportler zur Nominierung vor. Das ist kein einfaches Durchwinken, aber der Vorschlag wird selten revidiert, weil normalerweise fachlich gut genug begründet.
Das BDR-Präsidium gibt den Vorschlag dann an den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) weiter, der in der Regel so die Nominierung vornimmt. Eine Ablehnung erfolgt normalerweise nur, wenn keine Normerfüllung vorliegt und man nicht gewillt ist den Quotenplatz zu besetzen oder es aber zu juristischen Spitzfindigkeiten kommen könnte.
In der Schweiz gibt es eine Selektions-Kommission, die sich am Montagmorgen um 8 Uhr in Grenchen am Sitz von Swiss Cycling getroffen hat. Die Kommission besteht aus den beiden Chef-Trainern Damen (Edi Telser) und Herren (Bruno Diethelm), sowie Kilian Oertli als Disziplinenverantwortlicher Mountainbike und Thomas Peter, Leistungssport-Chef bei Swiss Cycling.
Sie legen den Vorschlag dann am Dienstag oder Mittwoch Swiss Olympic vor, dem Äquivalent zum DOSB.
Die Situation, wie sie in Deutschland zu entscheiden ist:
Zuerst die Einfache: Zwei Startplätze für die Herren. Manuel Fumic (Cannondale Factory Racing) hat die Norm erfüllt (7x A, 2x B). Moritz Milatz (Kreidler Werksteam) auch (2x B). Sonst niemand.
Dann die Komplizierte: Zwei Startplätze für die Damen. Vier Norm-Erfüllerinnen.
Sabine Spitz (4x A-Norm, 3x B-Norm), Adelheid Morath (BH-Sr Suntour-KMC) 3x A-Norm, 4x B-Norm), Helen Grobert (Ghost Factory Racing, 2x A-Norm, 7x B-Norm), Elisabeth Brandau (Radon-EBE Racing, 1x A-Norm). Eine Auslese ist also erforderlich.
Die sportliche Leistung steht bei der Entscheidung erst mal im Vordergrund. Dann kommen aber andere Kriterien zum Tragen. Die Formulierung in den Kriterien ist so:
„Erreichen mehr Sportler/Sportlerinnen die vorgegebene nationale Qualifikationsnorm als Quoten- plätze bei den Olympischen Spielen zur Verfügung stehen, fließt das Trainerurteil/die Trainereinschätzung unter Berücksichtigung der nationalen und internationalen Ergebnisse sowie der jeweiligen technischen und taktischen Möglichkeiten der zu nominierenden Sportler/Sportlerinnen nach Gesamtabstimmung mit dem Leistungssportdirektor in den Nominierungsvorschlag ein“.
Im Trainer-Urteil können sich leistungshemmende Faktoren wie Krankheiten und Verletzungen verbergen – im Blick auf die erbrachten Quali-Ergebnisse aber auch im Blick auf die Einsatzfähigkeit bei den Olympischen Spielen. Und wie gut das Anforderungsprofil der Strecke, die zu erwartenden äußeren Bedingungen (Temperaturen, etc.) auf die Sportlerin passt, bzw. umgekehrt. Oder die mentale Stabilität der Sportlerin und so weiter.
Betrachtet man die nackten Resultate, dann liegt Sabine Spitz durch drei Frühjahrs-Resultate klar in Front. Im Vergleich zwischen Morath, Grobert und Brandau, hat die Letztgenannte viel weniger zu bieten.
Adelheid Morath kann die qualitativ etwas besseren Ergebnisse in die Waagschale werfen (5. in Windham, 6. in Val di Sole, 7. in La Bresse), Helen Grobert die etwas größere Stabilität. Für Morath spricht wieder, dass sie trotz gesundheitlichem Handicap in La Bresse zu einer solchen Leistung fähig war. Für Grobert wiederum die jugendliche Perspektive…und so weiter.
Schweiz: Drei aus Fünf oder Vier aus Drei
Bei den Schweizer Herren ist die Lage ähnlich vertrackt und die Kommission hat(te) keinen leichten Job. Drei Plätze kann Swiss Cycling besetzen.
Weltmeister Nino Schurter (Scott-Odlo) ist unumstritten. Sechsmal hat er die geforderte Norm erfüllt (Top 5 in insgesamt fünf Weltcup-Rennen und die Weltcup-Gesamtwertung).
Florian Vogel (Focus XC) hat sie dreimal erfüllt, Matthias Flückiger (Stöckli Pro Team) und Lars Forster (BMC Racing) je einmal. Mit Ralph Näf eigentlich ein weiterer Fahrer, doch der hat ja seine Karriere beendet.
Den Passus, den die Schweizer zu ihrer Entscheidungsfindung heranziehen geht so:
„- Beurteiltes Potential für Rio 2016
– Beurteiltes Potential für Tokyo 2020
– Erreichte Resultate an vergangenen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen“
Wem also traut man in Rio am meisten zu. Logisch. Gibt es keine eindeutige Antwort, dann gibt es „vier andere Kriterien“, wie Bruno Diethelm am Samstag erklärte. Das läuft dann ungefähr auf dasselbe hinaus wie die oben genannten Faktoren bei den Deutschen.
„Es werden nicht nur die reinen Ergebnisse zählen“, so Diethelm. Nimmt man den zweiten Spiegelstrich, dann spricht das eher für einen jungen Fahrer wie Lars Forster.
Bei den Damen hat Jolanda Neff (Stöckli Pro Team) die Norm viermal erfüllt. Einmal gelang das Linda Indergand (Focus XC). Alessandra Keller (Stöckli Pro Team) verfehlte als zweimalige Sechste in Albstadt und La Bresse die Qualifikations-Hürde. Obwohl sie damit in diesem Frühjahr zweimal den direkten Vergleich gewann, dürfte nach dem Buchstaben des Gesetzes, sprich Selektionskonzept, an Indergand kein Vorbeikommen sein. Der mögliche Leistungsvergleich für Athleten des Jahrgangs 1997, das betrifft vor allem Sina Frei (jb Brunex Felt) fiel in Bad Säckingen zugunsten von Linda Indergand aus.
Frankreich: Wer begleitet die Weltmeisterin?
In Frankreich hat sich bei den Herren wohl U23-Europameister Victor Koretzky (BH-Sr Suntour-KMC) neben Julien Absalon (BMC Racing) und Maxime Marotte (BH-Sr Suntour-KMC) durch seinen dritten Rang in La Bresse wohl das dritte Ticket geholt. Allenfalls Teamkollege Jordan Sarrou könnte noch bevorzugt werden.
Dagegen haben die Franzosen bei den Damen, nun ja, ein Problem. Weltmeisterin Pauline Ferrand Prevot (Rabo-Liv) hat das Kriterium mit dem Titel erfüllt. Aber aktuell ist sie weit von ihrer Vorjahres-Form entfernt. Vermutlich wird es über ihre Personalie aber wenig Diskussionen geben weil die echten Alternativen nicht vorhanden sind.
London-Olympiasiegerin Julie Bresset (BH-Sr Suntour-KMC) ist dieses Jahr mit ihrem langsamen Comeback nicht so weit vorangekommen wie erhofft. Ausstieg in Albstadt, Ausstieg auch in La Bresse. Rang 15 in Cairns. Allerdings hinter Teamkollegin Perrine Clauzel (14.), die daran in Albstadt (28.) und in La Bresse (22.) auch nur bedingt anknüpfen konnte.
Wenn man nicht darauf vertraut, dass Julie Bresset noch die Kurve bekommt, dann wird wohl Clauzel die bessere Wahl für den zweiten Startplatz sein.