War nur Radfahren: Stefan Sahm’s Blick zurück auf 22 Jahre Radsport

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Mehr Zeit für Nebenschauplätze: Stefan Sahm mit Delfin auf Curacao 2006 ©privat

Vor 22 Jahren hat sich Stefan Sahm auf der Schwäbischen Alb zum ersten Mal eine Startnummer an den Lenker seines Mountainbikes geheftet. Und eine Karriere begonnen, die ihn erst zum Cross-Country-Nationalfahrer machte, DM-Medaillen gewinnen und zum dreifachen Cape-Epic-Sieger werden ließ. Diese Laufbahn hat mit dieser Saison beendet. Im Gespräch mit acrossthecountry.net reflektiert Stefan Sahm die Marksteine seiner Karriere, redet über unerfüllte Träume und lässt wissen wie es weitergeht.

 

Stefan, fangen wir mal bei der Zukunft an. Wie geht’s denn nach dem Ende Deiner Profi-Karriere als Mountainbiker weiter?
Ich werde Bulls, bzw. der ZEG (Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft im Fahrrad-Handel) treu bleiben. Für was genau, ich verantwortlich sein werde, das wird noch kommuniziert.

Bedeutet das, Du und Deine Familie, Ihr kommt von Südafrika wieder zurück nach Deutschland oder in die Schweiz?
Ja, aber die Entscheidung fiel schon unabhängig davon. Wir werden wieder in die Schweiz ziehen, nach Münsingen, in die Nähe der Eltern von Bettina.

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Stefan Sahm zum dritte nMal Zweiter in Münsingen. Von links: Manuel Fumic, Stefan Sahm, Jochen Käß, Ralph Näf und Bart Brentjens ©Werner Sahm

Das war der Blick nach vorne. Das Ende der Karriere verlangt natürlich auch den Blick zurück. Münsingen ist da ein gutes Stichwort, allerdings das deutsche Münsingen. Der Traum, den Klassiker auf der Alb einmal zu gewinnen, bleibt unerfüllt. Und jetzt würde es sowieso nicht mehr gehen, weil es ihn nicht mehr gibt.
Verdammt, ja (lacht). Es gibt sogar zwei unerfüllte Träume.

Der andere ist Olympia?
Nein, nein. Das habe ich früh abgehakt. Das war ziemlich schnell klar, dass das nichts wird. Sicher habe ich den Traum mal gehabt, aber das ist schon mehr als zehn Jahre her. Nein, ich wäre gerne mal Deutscher Meister geworden. Das hat ein paar Mal nicht so geklappt (lacht).

Du warst auch mal nah dran. Speziell im Marathon.
Am knappsten war es in Oberammergau, 2006, da hat nur eine Radlänge gefehlt.

Kannst Du’s verschmerzen?
Es gibt Schlimmeres. Ist nur Rad fahren (lacht).

Stefan Sahm war zweimal Deutscher Vize-Meister im Marathon. In Oberammergau, wo er gegen Hannes Genze den Sprint verlor und dann auch 2008 in Singen, wo sein Teamkollege Karl Platt siegte. Sahm hielt sich da zurück als Platt angriff. 2009 in Garmisch war er Dritter. Beim Cross-Country-Frühjahrsklassiker in Münsingen war Sahm dreimal Zweiter. Einmal 2000 hinter Lado Fumic und einmal 2002 hinter Karl Platt und auch 2004 hinter Jochen Käß.

 

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Bisschen grieselig, das Bild. Aber es zeigt, was es zeigen muss: Wie knapp Stefan Sahm in Oberammergau 2006 im Sprint gegen Hannes Genze den Deutschen Meistertitel im Sprint verpasste. ©Werner Sahm

Sicher muss man Deine Karriere-Bilanz nicht dran aufhängen, dass Du diese beiden Träume nicht verwirklichen konntest. Was beherrscht tatsächlich den Blick zurück auf die 22 Jahre Radsport?
Sicher die lange Zeit beim Team Bulls. Das war die prägendste Zeit.

In welcher Hinsicht prägend?
Zu sehen, wo meine Stärken, wo mein Potenzial liegt.

Als Du und Karl Platt da begonnen habt, war es für Dich ein Umstieg vom Cross-Country auf Marathon. Hast Du Dir das damals so radikal vorgestellt?
Kann man so nicht sehen. Wir haben uns ja nicht nur auf Marathon konzentriert. Wir sind ja damals auch noch Cross-Country-Weltcups gefahren und auch Bundesliga und so Sachen. Klar, der Team-Schwerpunkt war Etappenrennen. Da wussten wir, dass wir das gut können, spätestens nach dem Erfolg beim Cape Epic im ersten Jahr. Wir haben gesehen, das funktioniert, das läuft, da muss man sich gar nicht so groß Gedanken machen. Der Rest der Saison lief dann so durch. Wir sind die Etappenrennen gefahren, die wichtig waren für den Sponsor und den Rest haben wir gestaltet, wie wir wollten.

Das Team Bulls entstand zur Saison 2007, Karl Platt war die treibende Kraft dahinter. Gleich im ersten Jahr gewann das Duo das Cape Epic vor Roel Paulissen und Jakob Fuglsang. Und im Sommer holten sich die beiden Freunde auch noch den Sieg bei der Transalp-Challenge.

 

Wie lange ging dann die ernsthafte Cross-Country-Geschichte tatsächlich?
Bis 2009, drei Jahre auf jeden Fall.

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Der dritte Gesamtsieg beim Absa Cape Epic. Links Karl Platt, rechts Stefan Sahm ©Michal Cerveny

Es war mehr oder weniger ein schleichender Übergang?
Ja.

Hast Du dann irgendwas vermisst?
Nee, eigentlich nicht. Dadurch, dass der Wechsel nicht abrupt war, konnte man sich quasi entwöhnen. Seit ich angefangen habe, 1994, bin ich ja nur Cross-Country gefahren. Mit ein paar Ausreißern zum Marathon. Von 2001 bis 2006, T-Mobile und Giant, das war ja ausschließlich auf Cross-Country ausgelegt. Das Team Bulls war halt eine neue Chance und damit auch mit neuen Zielen verbunden.

Wenn Du an den ersten Teil Deiner Karriere, im Cross-Country, zurück denkst, gibt es da was zu bereuen? Hast Du da was verpasst?
Schwierig, das im Nachhinein zu sagen…hmmm,.. ich wäre gerne wagemutiger gewesen, glaube ich. Die Ansätze waren ab und zu ganz gut, aber dann bin ich mir selber im Weg gestanden. Aber das ist sehr lang her (seufzt).

Du meinst, du hast Dir nicht genug zugetraut. Insofern war die Zweier-Konstellation mit Karl günstig für Dich. Da musstest Du aus Dir heraus gehen.
Ja, genau. Das fiel mir immer leichter im Team an die Grenzen zu gehen, weil ich da nicht nur für mich gefahren bin, sondern auch für jemand anders.

Vielleicht ist dadurch in den Einzelrennen ein wenig an Leistungsreservoir übrig geblieben?
Ja, wahrscheinlich schon.

Stefan Sahm hatte einige (Cross-Country-)Rennen, in denen deutlich wurde, dass er eigentlich zu mehr in der Lage sein könnte. Sein bestes Weltcup-Resultat war 2003 ein 15. Platz in Fort William. Der kam dadurch zustande, dass sein damaliger T-Mobile-Teamkollege Bart Brentjens nach einem Sturz in Sahms Gruppe um Platz 20 zurückgefallen war und den damals 26-Jährigen ermutigte Gas zu geben. Sahm fuhr mit Rundenbestzeit (!) in der vorletzten Runde zwischenzeitlich bis auf Rang zwölf nach vorne. Auch in Schladming 2006 bedurfte es eines Impulses von außen, ehe sich Sahm noch von Platz 28 auf 16 verbesserte und noch mehr verpasste weil er dachte, noch eine Runde mehr vor sich zu haben.

 

Wie betrachtest Du diesen Umstand im Nachhinein? Lehnst Du Dich ob Deiner Erfolge zufrieden zurück oder bedauerst Du vergebene Chancen?
Hmm, als Radfahrer ist man ja generell nie zufrieden. Man hätte ja immer mehr trainieren, was besser machen können. Aber insgesamt bin ich zufrieden mit dem, was dabei rausgekommen ist. Wenn ich denke, 2001, mein erstes Profi-Jahr, das war schon ein großer Erfolg, mit dem Mountainbike-Sport seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als junger Fahrer. Das ist ja im Prinzip das, was man sich erträumt, was ich mir erträumt habe. Mit Weltklasse-Fahrern wie Bart Brentjens oder mit Lado (Fumic) Rennen zu fahren, um die Welt zu reisen, das ist das größte der Gefühle.
So lange dabei zu sein, erfolgreich zu sein, Geld verdient zu haben, um sich was aufzubauen, da bin ich doch sehr zufrieden. Und alles ohne die Freude am Radsport, am Mountainbiken zu verlieren. Es gibt ja auch viele Beispiele, da sind die Leute ausgebrannt und haben keinen Bock mehr, sich aufs Rad zu setzen.

Wenn man die Perspektive mal wechselt: aus der Sicht des 18-jährigen Stefan Sahm nimmt sich die Karriere doch sehr erfreulich aus, oder?
Ja, zweifellos. Was Etappenrennen angeht, gibt es nicht viel, was wir nicht gewonnen haben.

Hättest Du Dir mehr Einzel-Erfolge gewünscht?
Puhh, da habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht. Die Siege bei Etappenrennen waren für mich immer mehr wert. Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch Einzelrennen gewonnen hätte. Aber im Vergleich dazu, waren mir die Erfolge im Zweier-Team wichtiger. Oder besser: sie waren schöner. Weil es ein anderes Erlebnis ist. Wenn man einen Erfolg teilen kann, ist es intensiver. Und es gehört mehr dazu, gemeinsam zu gewinnen.

Das heißt?
Du bist nicht nur für dich alleine verantwortlich. Sämtliche Risiko-Faktoren und Unwägbarkeiten multiplizieren sich ja direkt. Du kannst nicht nur zwei Platten kriegen, sondern vier.

Mit Karl Platt war Stefan Sahm dreimal Sieger (2007, 2009, 2010) beim Absa Cape Epic, einmal Zweiter (2008) und einmal Dritter (2011). Die Transalp-Challenge gewann er mit Karl Platt 2007 und 2008 die Transalp-Challenge, 2004 war er mit Jochen Käß Dritter.

 

Was waren aus Deiner Sicht wichtigsten Meilensteine in Deiner Karriere?
Ein wegweisendes Erlebnis war das Bundesliga-Finale 1999 in Bad Steben. Da war ich Fünfter. Das war für mich der Fingerzeig, dass der Traum vom Profi Realität werden könnte. Dann 2000 Münsingen, der zweite Platz. Schließlich, wegweisend, der Vertrag beim (neu gegründeten) Team T-Mobile 2001.

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Fotoshooting in Südafrika: Das Team T-Mobile war im deutschen MTB-Sport mit seinem Mitteln und seiner Professionalität ein Stück weit Stil prägend. ©T-Mobile/Stefan Eisend

Was war das Besondere an dem Team, zu dieser Zeit?
Der Name allein. Der Sponsor, das riesige T, das man sonst nur von der Tour de France kannte. Mit allen möglichen Leuten, Jan Ullrich und so weiter. Dass es da ein Mountainbike-Team gibt und dass ich da dabei bin. Die Selbstverständlichkeit des Auftritts, ein riesiges Setup, überall gleich, bei jedem Rennen. Und die besten deutschen Fahrer im Team.

Das Team existierte vier Jahre lang. Gab es in dieser Zeit auch sportlich was Herausragendes?
Der 15. Platz in Fort William. Zwei Bronze-Medaillen bei Deutschen Meisterschaften.

Das Team T-Mobile bestand von 2001 bis 2004. Initiator und Team-Leader war Lado Fumic. Er versammelte im ersten Jahr mit seinem Bruder Manuel, mit Carsten Bresser, Jochen Käß, Marc Gölz und eben Stefan Sahm die meisten der besten deutschen Fahrer im vom Bonner Telekommunikations-Riesen gesponserten Team. Die Equipe in Magenta dominierte das Cross-Country-Geschehen in Deutschland. 2003 standen bei der DM in Bischofsmais sechs Magenta-Biker auf den ersten sechs Plätzen, Sahm holte sich dabei mit Bronze seine erste Medaille. Vor der Zeit bei T-Mobile war er beim Team von Robby Dorn aus seinem Heimatort Mössingen gefahren, aus dem dann das Team Alb-Gold wurde.

 

Dann kamen zwei Jahre beim Giant Racing Team von Ralph Denk. Wie bewertest Du die?
Rückblickend würde ich sagen: Hmm, nein, Rückschritt wäre der falsche Ausdruck, es war auch ein professionell geführtes Team. Aber man hatte andere Ressourcen. Weniger. Die Zeit war super, ich habe mich da auch gut aufgehoben gefühlt. Ich hatte einen prima Kontakt zu Ralph Denk, den habe ich immer noch. Das Verhältnis ist super, wie damals.

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Im Trikot des Raublinger Giant-Teams von Ralph Denk: Stefan Sahm 2006 neben (Weltmeister) Julien Absalon, dahinter Balz Weber (69) und Florian Vogel (3) ©Werner Sahm

Bei Giant fuhr damals auch Roel Paulissen, der später (2010) während er bei Cannondale fuhr, positiv auf Clomiphene getestet wurde. Wie hast Du das Thema Doping in Deiner Karriere generell erlebt?
Das war schon eine Schreckensnachricht. Allerdings habe ich in meiner ganzen Karriere nie direkt irgendwas mitbekommen, wenn es um verbotene Mittel ging. Es gab halt so kleine Anzeichen, wo du dir was dabei denken kannst. Aber, ich habe auch keinen Bock Leute zu verdächtigen. Du weißt es einfach nicht und du kannst jemand auch Unrecht tun. Außerdem nimmt es mir den Spaß am Sport. Ich habe nie direkt was miterlebt und da bin ich auch froh drum. Für mich ist und bleibt der Sport eine Art heile Welt, so habe ich ihn wahrgenommen. Das ist vielleicht naiv, vielleicht auch ein Selbstschutz. Ich habe keinen Bock jede sportliche Leistung anzweifeln zu müssen, bedingt durch Erfahrungen, die vielleicht gemacht habe.

Weil es Dich im Rennen beeinflussen würde?
Ja. Und alles drum herum. Speziell was den Mountainbike-Sport angeht. In andere Sportarten hat man ja keinen solchen Einblick, die sieht man eher distanziert. Auch den Straßenradsport, der ist weit entfernt.

Der Wechsel zum Team Bulls war ein weiterer markanter Punkt in Deiner Karriere? War Dir das damals schon bewusst?
In dem Ausmaß, zu dem es dann wurde, vielleicht nicht. Aber das Potenzial haben wir, Karl und ich, damals schon gesehen. Sonst hätten wir das auch nicht gemacht. Die Verhandlungen mit Dirk Jans, mit Rocky Mountain (wo Karl Platt schon zuvor unter Vertrag war), waren im Prinzip schon fertig. Da ging es nur noch ums Unterschreiben. Eine große Marke mit Kultfaktor, aber da wäre es halt so weiter gegangen wie bisher. Den Schritt mit Bulls zu gehen, hat bedeutet völlig freie Hand zu haben und was aufzubauen. Was das bedeutet, für die Marke zu fahren, Teil der ZEG zu sein, das war uns nicht klar. Ich kannte die ZEG noch aus den Zeiten als ich bei Robby Dorn (Team-Chef von Sahms ersten Team) noch geschraubt habe. Ich kannte Bulls von den Fahrradständern am Bahnhof (lacht), mehr aber nicht.

Hast Du gesehen, welche sportlichen Karriere-Möglichkeiten sich für Dich da eröffnen?
Wahrscheinlich nicht. Aber was ziemlich schnell klar war: dass da jemand ist, der jungfräulich in den Sport reinkommt, uns Rennfahrern zuhört und Sachen umsetzt. Das hat mich positiv beeindruckt. Vorher bist du in vorgeformte Strukturen rein gekommen und es gab eine „Friss-oder-Stirb-Mentalität“. Bei Bulls war das völlig anders. Da gab es Produktmanager, die uns zugehört haben. Die Möglichkeit, das zu bekommen, was wir brauchen.

Nach einem holprigen Anfang..
..ja klar, der Anfang war holprig, aber wir konnten das auch nicht anders erwarten. Seit 2007 ging es jedes Jahr vorwärts.

Südafrika hat in deiner persönlichen Entwicklung einen großen Raum eingenommen.
Ja sicher.

Vermutlich hättet Ihr noch öfter die Transalp gewinnen können und es hätte nicht den gleichen Effekt gehabt wie einmal das Cape Epic.
Ja, wobei für die ZEG die Transalp wichtiger war als das Cape Epic.

Aber für dich persönlich, als Sportler, nicht.
(Nickt). Wenn dein Ding Etappenrennen sind, dann kommst du am Cape Epic nicht vorbei.

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Erste Transalp: Stefan Sahm mit Jochen Käß (links) schlossen die Etappenfahrt auf Gesamtrang drei ab. ©Bike Transalp

Bei Deiner ersten Cape Epic 2007 war das vermutlich noch nicht zu ermessen?
Nein. Ich kannte es ja nicht. Nur aus Erzählungen von Karl. Es war erst mein zweites Etappenrennen auf dem Mountainbike. Mit Jochen Käß bin ich 2004 mal die Transalp gefahren, das war eine BDR-Maßnahme, ich glaube eine Woche vor der EM in Polen. Wir sind Dritter geworden.

Karl Platt hat mit Mannie Heymans gewonnen und ist bei der EM dann Zehnter geworden.
Und ich habe mit dem Team am Donnerstag Silber gewonnen.

Völlig überraschend.
Ja, das war die erste Team-Medaille für den BDR. Mit dem B-Team (lacht). Das war Klasse. Mit Moritz (Milatz), Ivonne (Kraft) und Andi (Weinhold).

Die Top-Stars wie Lado Fumic, Sabine Spitz und Manuel Fumic wollten oder sollten damals bei der EM in Walbrzych die Staffel nicht fahren. Um ihre Chancen für die Einzelkonkurrenzen nicht zu gefährden. Dem „B-Team“, wie Sahm es nennt, wurden im Grunde keine Chancen auf Edelmetall eingeräumt, doch das Quartett zeigte eine bravouröse Vorstellung sicherte dem BDR die erste internationale Medaille in diesem Wettbewerb überhaupt. Nur eine Minute hinter Petra Henzi, Ralph Näf, Nino Schurter und Florian Vogel (Schweiz) und 30 Sekunden vor Spanien mit José Hermida, Marga Fullana und Inaki Lejaretta (†). Es sollte bis 2010 die einzige BDR-Medaille im Team-Wettbewerb bleiben.

 

Aus Polen wieder zurück nach Südafrika. Das Cape Epic war der Beginn einer zweiten Karriere. Auch die Verbindung mit Karl Platt.
Ja, das war ein Glücksfall und es war auch der richtige Zeitpunkt und die richtige Entscheidung.

Im Grunde hat diese Konstellation ein Ende gefunden mit Deiner Thrombose 2011.
Das war ein großer Einschnitt. Ganz klar. Seit dem wurde es auch ganz schwer wieder vorne mit rein zu fahren. Ab und zu mal ein Ergebnis bei einem Einzelrennen, aber dadurch, dass ich quasi aus dem A-Team raus war, damit war die Möglichkeit bei Etappenrennen vorne mit dabei zu sein, gar nicht mehr gegeben. Es waren dann andere Aufgaben zu erledigen.

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Illustre Gesellschaft auf dem Podium des Allianz Swiss Cup 2002 in Gränichen. Von links: Ralph Näf, José Hermida, Julien Absalon, Christoph Sauser und Stefan Sahm. Drei, die 2015 ihre Karriere beendet haben und zwei, die es vermutlich 2016 tun (Hermida und Absalon). ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

 

Wie schwer war das auszuhalten?
Stellenweise war das nicht einfach. 2011 war ein prägendes Jahr mit der Thrombose und privat weil meine Tochter Elin zur Welt gekommen ist. Was in erster Linie das Beste war, was mir jemals passiert ist. Und zu der Zeit die optimale Nebenbeschäftigung (lacht) und Kompensation für alles, was sportlich nicht möglich war. Aber da wieder raus zu kommen, das war sehr schwer. Ich wusste ja auch nie, ob ich überhaupt wieder Rennen fahren kann, ob ich wieder annähernd an dieses Niveau heran komme. Ich war wie im luftleeren Raum. Das hat lange gedauert. 2011 war ganz abgeschrieben, 2012 ganz schlecht..

..du bist mit Karl noch mal die Cape Epic gefahren..
..aber da hatte ich das Niveau nicht. Mir hat im Prinzip ein ganzes Jahr gefehlt und in der Vorbereitung habe ich Fehler gemacht. Auch aus der Unsicherheit heraus. Im Nachhinein sind die Fehler klar zu erkennen, aber damals…(schüttelt den Kopf)..hinterher ist man immer schlauer. Wir haben eine Etappe gewonnen, aber Gesamt waren wir nur Sechste.

Stand damals eigentlich auch das Karriere-Ende im Raum?
Hmmm.(Pause). Eigentlich nicht. Ich wollte wieder Rennen fahren und dadurch, dass ich den Rückhalt vom Team Bulls, von der ZEG, hatte, die gesagt haben: ohne Frage, Vertrag wird beibehalten, wird verlängert, einfach die Zeit zu haben, das wieder richtig aufzubauen, dadurch habe ich nicht viel Zeit daran verschwendet zu denken: das wird nichts mehr.

Wie beurteilst Du jetzt die Jahre 2013 bis 2015? Hast Du Dein altes Leistungsniveau wieder erreicht?
Von den Werten her: ja. Aber alles drum herum hat sich halt gesteigert. Ich war auf dem gleichen Niveau wie vor der Thrombose, aber alle anderen haben sich halt in der Zeit weiter entwickelt. Ich denke, das Alter hat auch eine Rolle gespielt. Da gibt es ja x Studien drüber, dass das halt gewisse Abschnitte gibt, wo es nimmer vorwärts geht.

Wo man die Entwicklung durch die gewonnene Erfahrung ersetzt.
Ja.

Im Team Bulls hatte inzwischen der Schweizer Urs Huber die Rolle an der Seite von Karl Platt eingenommen. Sahm agierte 2013 an der Seite des Cape Epic-Neulings Simon Stiebjahn (7.), 2014 mit Thomas Dietsch (9.) und 2015 mit dem Südafrikaner Timo Cooper (14.).

 

Wie hat sich der Sport, die Disziplin Marathon, aus Deiner Sicht in den vergangenen, acht bis zehn Jahren entwickelt?
Der bewegt sich in Deutschland inzwischen auf einem extrem hohen Niveau, was die Leistungsfähigkeit der Fahrer angeht. Weltweit bestimmt von drei Teams. Bulls, Centurion-Vaude und Topeak-Ergon. Die wissenschaftliche und trainingsmethodische Herangehensweise ist in den letzten Jahren eine andere geworden. Jeder Fahrer trainiert mit einem Leistungsmess-System. An jedem Schräubchen wird gedreht, ernährungstechnisch, trainingstechnisch, materialtechnisch. Alles wird optimiert, von einer kleinen Anzahl von Fahrern. Danach kommt erst mal eine Lücke. Das finde ich einerseits gut, weil es eben Profi-Sport ist. Andererseits wird es für den Nachwuchs immer schwieriger. Vor allem auch weil sich Cross-Country und Marathon mittlerweile so krass unterscheiden.

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Marathon unterscheidet sich in den Anforderungen inzwischen stark vom Cross-Country-Sport. Rennen wie die Trans-Zollernalb, wo Spezialisten aus beiden Lagern erfolgreich sein können, sind eher untypisch. Stefan Sahm (4) neben Karl Platt (39) an der Spitze der Führungsgruppe (2010) ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Lässt sich das präzisieren?
Früher sind die Marathon-Fahrer alle Cross-Country gefahren. Aber da waren Cross-Country-Rennen noch zwei bis zweieinhalb Stunden lang. Jetzt sind sie nur noch 1:30 lang. Ohne große Umfänge hast du früher keine Wurst vom Teller gezogen, auch im Cross-Country nicht. Wenn du jetzt schaust, was die Cross-Country-Fahrer trainieren, dann geht das kaum mal über zweieinhalb Stunden. Ein Kulhavy ist da vielleicht eine Ausnahme, aber der wurde auch Marathon-Weltmeister. Die Junioren von heute, ich kann mir nicht vorstellen, dass die mal vier Stunden auf dem Rad sitzen. Stiebi (Simon Stiebjahn, Teamkollege bei Bulls) ist einer von den letzten Cross-Country-Fahrern, die aus dieser Trainingsschule kommen. Was ihm im Marathon hilft.

Er hat sicher auch die entsprechenden Anlagen dazu.
Ja, sicher. Aber wenn ich mir jetzt einen 17-, 18-jährigen anschaue. Der muss sich aussuchen, wohin er geht. Wenn er im Weltcup 30., 40. wird, dann ist das eine super Leistung, aber interessiert kein Schwein. Oder er schwenkt zum Marathon um, weil dort die Leistungsdichte nicht so da ist. Aber vielleicht hat er gar keine Chance mehr, weil er die Grundlagen dafür nicht hat. Er bräuchte zwei, drei Jahre, um da hin zu kommen. Wenn er die Chance dafür bekommt. Aber andererseits ist Cross-Country extrem wichtig für den Nachwuchs. Da lernen die nämlich Mountainbike fahren.

Es ist ein Spagat geworden, der schwer aufzulösen ist?
Richtig. Ein guter Marathon-Fahrer wirst du durch die Umfänge.

Du hast mal gesagt, beim Marathon bist du der König der Hobbies.
(Lacht). Das stimmt jetzt nicht mehr. Nur insofern, dass es halt viel mehr Hobby-Fahrer sind als Profis, die am Start stehen. Aber in den Anfangsjahren, zum Beispiel von der Transalp, da war das Niveau noch nicht so hoch. Da hat das gestimmt. Beim Marathon ist es halt möglich mit vielen Leuten in Kontakt zu kommen, dich mit interessanten Menschen auszutauschen. Es ist auch schön zu sehen, wenn die sich mit dir freuen, wenn sie die gleichen Erlebnisse haben, nur auf einem anderen Niveau. Es sind ja auch nicht nur Fremde, sondern da sind ja auch Bekannte drunter, die man über Jahre kennen gelernt hat.

Wirst du das vermissen?
Auf jeden Fall. Vielleicht dreht sich das ja und ich gehöre dann halt zur Hobby-Fraktion (lacht).

Das führt mich zu der Frage, ob du trotzdem irgendwann mal wieder eine Startnummer an den Lenker heftest?
Ja, ja, da gehe ich schwer davon aus. Vielleicht ohne Ambit…(schüttelt den Kopf), nee, nee, man kann keine Rennen fahren ohne Ambitionen, geht nicht. Sowieso nicht, wenn man mal Rennfahrer war. Aber sagen wir: unter anderen Gesichtspunkten.

Robert Mennen hat das auch so gesagt. Ich stelle mir das nicht so einfach vor.
Es geht dann halt um andere Erfolge. Ich weiß, was dazu gehört, um da vorne mitfahren zu können. Es wäre ja sehr vermessen, der Illusion oder den Erwartungen hinzugeben, dass man mithalten kann.

Die Frage ist halt, ob es noch befriedigt, wenn man das nicht mehr kann.
Das wird sich dann zeigen. Ich muss auch so sagen: ich sehe mich nicht in zwei, drei Jahren das Trans-Schwarzwald zu fahren oder den Furtwangen-Marathon. Das sind Rennen, die machen für mich keinen Sinn mehr. Als Profi ist es dein Beruf diese Rennen zu fahren. Aber als Hobby-Fahrer? 120 Kilometer Schotterwege zu fahren, das mag ich nicht. Anders beim Neustadt-Marathon oder St. Ingbert, da hast du so viele Singletrails drin. Da hast du auch was davon, das macht einfach Spaß. Das ist das Geile in Südafrika, da gibt es keine Wanderwege, da gibt es einfach Mountainbike-Trails, die machen Spaß.

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Sahm’sche Eigenproduktion: Der „Sahmurai“ ©Werner Sahm

Was hat Dich bewogen gerade jetzt aufzuhören und nicht die 40 voll zu machen?
Der Grund ist einfach. Mein Vertrag läuft aus und wird nicht verlängert. Als Radsportler. Das war im Prinzip klar. Sind wir mal ehrlich. Für einen fast 40-Jährigen gibt es sowieso keine Zukunft – im Leistungssport (lacht). In einem anderen Team sowieso nicht.

Du verkörperst mit Karl das Team Bulls, die Marke. Es werden sich wohl wenige erinnern, dass Du mal Giant gefahren bist.
Genau. Deshalb ist es auch logisch, dass ich bei Bulls bleibe. Wenn auch in anderer Funktion.

Du hast schon ein eigenes Bike gebaut (Sahmurai) und dieses Jahr ein selbst entwickeltes Produkt auf den Markt gebracht, das „Sahmurai Sword“ (ein Reifen-Reparatur-Tool, das im Lenker mitgeführt wird). Kommt da noch mehr?
In erster Linie war es für mich da sehr lehrreich zu sehen, was alles drin steckt, um von einer Idee zu einem fertigen Produkt zu kommen. Das Sahmurai Sword ist ein tolles Projekt und da wird definitiv noch etwas folgen.

Kurzporträt  Stefan Sahm
Geb./Ort                      24.08.1976 / Kirchheim/T.
Aufgewachsen in         Mössingen
Erlernter Beruf             Industriemechaniker
Hobby                         Technik, Oldtimer

Erfolge:
Cross-Country: DM-Bronze 2003, 2004, Bundesliga-Gesamtsieg 2005, Weltcup-15. Fort William 2003, Weltcup-16. Schladming 2006, Weltcup-17. Mont Sainte Anne 2001 und Vancouver 2003, EM-Silber Team Relay 2004.
Marathon: Cape-Epic-Sieger (mit Platt) 2007, 2009, 2010, Transalp-Sieger 2007, 2008, Trans-Germany-Sieger (mit Platt) 2007, Trans-Schwarzwald-Sieger (2009). DM-Silber 2006, 2008, DM-Bronze 2009.

Noch ein paar Impressionen aus den (frühen) Stationen seiner Karriere (vielen Dank an Werner Sahm):

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Podium bei der Montefeltro-Trophy in Italien von links: Stefan Sahm, Carsten Bresser und Ralph Berner ©Archiv Werner Sahm
 1998_Ellmendingen_1998_U23DM_Sahm_Nicke_LFumic_by Werner Sahm
Silber bei der U23-DM 1998 in Ellmendingen für Stefan Sahm. Gold gab’s für Thomas Nicke und Bronze für den etwas zerknitterten Lado Fumic ©Archiv Werner Sahm
 1998_Ellmendingen_1998_U23DM_Sahm_Nicke_LFumic_by Werner Sahm
Noch früher: Gesamtsieg beim Spätzle-Cup 1995, dem Jahr als die Radsport-Karriere von Stefan Sahm begann. Auf Rang drei: sein langjähriger Weg-Gefährte Torsten Marx. Neben dem „Podium“, sein erster Teamchef Robert Dorn ©Archiv Werner Sahm
Münsingen 2000: Lado Fumic im Schenker Team-Trikot vor seinem härtesten Widersacher Stefan Sahm. Wer genau hinschaut, kann im Hintergrund Nina Göhl (und daneben ihren Vater Jürgen) erkennen, die zuvor das Rennen der Juniorinnen gewonnen hatte. ©Archiv Werner Sahm
Münsingen 2000: Lado Fumic im Schenker Team-Trikot vor seinem härtesten Widersacher Stefan Sahm. Wer genau hinschaut, kann im Hintergrund Nina Göhl (und daneben ihren Vater Jürgen) erkennen, die zuvor das Rennen der Juniorinnen gewonnen hatte. ©Archiv Werner Sahm

 

 Goehl_Uecker_Sahm_2005_StMaergen_by Werner Sahm
Fünf Jahre später, 2005, sind Nina Göhl (heute Wrobel) und Stefan Sahm dann ganz bewusst gemeinsam auf dem Bild. Mit Trainer Toni Uecker, der sowohl Nina Göhl während ihrer ganzen Karriere, als auch Stefan Sahm einige Jahre coachte. In St. Märgen, wo das Foto enstanden ist, war Sahm Dritter, hinter Lado Fumic und Carsten Bresser. ©Archiv Werner Sahm
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