Weltcup Val di Sole Nachgedreht (2): Um Platz 20 gekämpft wie um den Sieg
Über zentnerschwere Lasten, die vom Herzen fallen. Über Herzen, die zu Besorgnis erregend schnell pumpen. Über ein 100. Jubiläum, ein knapp verfehltes Kriterium, zu viel Intervalle. Wie das kommt, dass man zwischen Fahrer und Rädern liegt und über einen U23-Fahrer mit enormen Laufqualitäten. Aus der Herrenwelt des Weltcups in Val di Sole, nachgedreht, was hier noch nicht geschrieben stand.
Moritz Milatz (Koch Engineering-Müsing Bikes) hatte es nach dem Rennen eilig und war deshalb für einen Kommentar erst mal nicht zu erreichen. Nur dass das Rennen eine Frage des Willens gewesen sei, hatte er dem Bundestrainer mitgeteilt. Auf Nachfrage von acrossthecountry.net gab er, bereits auf der Heimreise, noch Einblick in sein Rennen. „Die Beine waren sch…“, begann er. Okay, „relativ schlecht“, verbesserte Milatz. 19. wäre er sonst wohl nicht geworden. „Vermutlich tun sie auf dieser Strecke immer weh, aber ich konnte schon mal schneller den Berg hoch fahren“, konkretisierte Milatz.
Rhetorische Frage: Ob ihm klar sei, dass er die zweite Hälfte der Olympia-Norm (Top 20 ist B-Kriterium) erfüllt habe? Rhetorische Antwort: „Klar, was glaubst warum ich um Platz 20 so gekämpft habe wie um einen Sieg.“
Es sei von Anfang an sein Ziel gewesen. „Es war ganz schön hart, aber die Einstellung hat gestimmt, ich war auf das Rennen eingestellt.“ Soll heißen, wenn der Kopf präsent ist, können die Beine auch „relativ schlecht“ sein.
In einer Phase, da war er schon an Platz 20 dran, verlor er wieder Positionen. „Da hatte ich einen Hänger, aber ich habe mich zum Glück wieder gefangen“, erzählte Milatz weiter, um dann Rang 19 zu resümieren: „Mir sind ein paar Zentner vom Herzen gefallen.“ Seit seinem 13. Rang in Albstadt, dem ersten Teil der Olympia-Norm, sind praktisch alle Rennen mehr oder weniger schief gegangen. Zum Teil wegen Material-Problemen, zum Teil aber auch weil er mental nicht gut aufgestellt war. Endlich hatte er jetzt wieder das so lange ersehnte Erfolgserlebnis.
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Fabian Giger (Colnago-Südtirol) erzielte mit Rang sechs sein bestes Saisonresultat. Er fand, dass er ein gutes Rennen abgeliefert habe, war aber auch selbstkritisch. „Ich hatte einen guten Start, aber dann war ich zu vorsichtig und habe viele einfach passieren lassen“, meinte Giger. „Ich habe mich gut gefühlt, aber es könnte noch mehr gehen.“ Platz fünf verpasste er um 23 Sekunden. Der wäre nicht nur als Podiums-Platzierung schön gewesen. Bei den Schweizern ist ein Top-Fünf-Resultat auch die Norm für die Olympia-Nominierung und Val di Sole war nach Mont Sainte Anne das zweite Quali-Rennen. Das Kriterium haben bis jetzt einmal oder mehrfach Nino Schurter (Scott-Odlo), Florian Vogel (Focus XC), Mathias Flückiger (Stöckli Pro Team) geschafft. (Korrektur: Flückiger war in den beiden Quali-Rennen nicht in den Top Fünf, „nur“ in Nove Mesto, Albstadt und Lenzerheide). Und Ralph Näf (BMC Racing). Aber der hört ja nach dieser Saison auf.
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Lukas Flückiger (BMC Racing) fehlt ein solches Resultat noch. Im Val di Sole hätte er es wohl drin gehabt, ohne den Reifendefekt in der zweiten Runde. Er fiel auf Rang 33 zurück, schaffte es aber noch zurück auf den zehnten Rang.
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Um Martin Gluth (Novus-OMX) in der Ergebnisliste zu finden, musste man verhältnismäßig weit nach unten scrollen. Platz 65 war sein schwächstes Saisonresultat. „Ich konnte ein Tempo fahren, aber ich habe keinen Druck aufs Pedal gebracht. Vielleicht lag es daran, dass ich vergangene Woche Grundlage und dann noch zwei Tage Intervalle trainiert habe. Das ist alles auf die WM ausgerichtet“, meinte Gluth, war sich aber auch nicht ganz sicher.
Ondrej Cink (Multivan-Merida) war bis zur vierten Runde gut unterwegs, doch dann war der Tscheche plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Weder Nationaltrainer Viktor Zapletal noch Team-Manager Fabian Aust wussten Bescheid. Des Rätsels Lösung erscheint erst mal Besorgnis erregend. „Mein Herz begann auf einmal voll zu pumpen und der Puls ging über 200 nach oben. Ich musste das Rennen aufgeben“, so Ondrej Cink auf Facebook. Es sei jetzt alles wieder okay, aber er werde sich am Montag untersuchen lassen und hoffe, dass alles in Ordnung sei.
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Miguel Martinez (Topix) bestritt in Val di Sole laut eigener Rechnung seinen 100. Cross-Country-Weltcup. Beträchtlich, wenn man bedenkt, dass das Finale 2015 erst das 194. Rennen dieser Art gewesen ist. Für den Olympiasieger von 2000 war Val di Sole sicher keines seiner besseren. Der Franzose wurde nur 78.
Man hat der „Mighty Mouse“, wie er in erfolgreichen Tagen genannt wurde, ja nie so recht über den Weg getraut. Belege für regelwidriges Verhalten gibt es allerdings nicht. Mit zehn Weltcupsiegen liegt er in der offiziellen Geschichtsschreibung gleichauf mit einem anderen zweifelhaften, aber des Dopings überführten Fahrer: Filip Meirhaeghe.
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Simon Gegenheimer und Steffen Thum (Rose-Vaujany fueled by Ultrasports) wurden in einen Startcrash verwickelt. „Das ging so schnell, ich hab überhaupt nicht gecheckt was da abgeht. Ich sah noch die Startlinie und lag schon zwischen lauter Laufräder und Fahrern“, wird Thum in einer Pressemitteilung des Teams zitiert. Er nahm als Vorletzter das Rennen wieder auf. Mehr als Rang 79 war nicht drin. Teamkollege Gegenheimer wurde 83. Immerhin blieb das Duo unversehrt.
Noch was zum U23-Rennen der Herren: Dem Neuseeländer Sam Gaze (Specialized Racing) riss am Start die Kette. Was er dann tat, das war schon sehr bemerkenswert. Nach kurzem Zögern, entschloss er sich zum Weitermachen. Er rannte tatsächlich dem Feld hinterher, gut zwei Kilometer bis in die Technische Zone, ließ sich eine neue Kette drauf machen und hatte dann nur 6:13 Minuten Rückstand. Die Beine dürften ziemlich verbogen gewesen sein. Dennoch schaffte er es nicht überrundet zu werden und als 55. das Ziel zu erreichen. Alle Achtung!
Zwei Positionen vor ihm erreichte Johannes Bläsi (Freiburger Pilsner-AfK) das Ziel. Der Schwarzwälder war in der Startphase von den tumultartigen Szenen gebremst worden, von denen zum Beispiel auch Martin Frey und Christian Pfäffle betroffen waren. „Als man da am ersten Anstieg absteigen musste, da waren noch drei, vier Fahrer hinter mir. Es dauerte, bis man endlich richtig fahren konnte, aber dann lief es eigentlich ganz gut und ich hatte guten Druck auf dem Pedal“, so Bläsi. Er beendete die Startrunde auf Platz 104, gut vier Minuten vor Gaze. Am Ende war er 53.