Interview: Marianne Vos und der Thrill in einem Singletrail
Marianne Vos (Rabobank-Giant/Liv) hat beim Afxentia-Etappenrennen auf Zypern ihr Comeback auf dem Mountainbike gegeben. Mit durchschlagendem Erfolg. Die Straßen-Olympiasiegerin und –Weltmeisterin in Personalunion, die zudem auch noch Cross-Weltmeisterin ist, hat acrossthecountry.net am Ende ihres Zypern-Aufenthalts Auskunft gegeben über ihre Pläne auf dem MTB.
Im Interview berichtet sie vom „Sorry“ einer anderen Olympiasiegerin, dass sie seit ihrem Abschied nach dem Junioren-Alter Mountainbike nie ganz aus den Augen verloren hat und warum sie Cross-Country für einen ehrlichen Sport hält.
Es geht auch um den Wechsel von MTB auf Straße und umgekehrt. Die erste Umstellung ist ihr nach dem Rückflug bestens gelungen. Marianne Vos gewann am vergangenen Wochenende gleich beide Straßenrennen, bei denen sie am Start war. Auch den Weltcup „Ronde van Drenthe“.
Marianne, die zehn Tage auf Zypern, ich denke, die Bilanz ist ziemlich gut, oder?
Es (der Sieg beim Afxentia-Etappenrennen) übertraf all meine Erwartungen. Das Team, Leo (van Zeeland, Trainer und Team-Manager) und die Kollegen, sie hatten Vertrauen in mich. Sie hatten mehr Vertrauen in mich, als ich selbst.
Was war die Idee für dieses Trainingslager auf Zypern, bezogen auf das ganze Jahr?
Nach meiner Cross-Saison, wollte ich möglichst viel zu lernen, in die Fahrtechnik zu investieren. Und auch um einschätzen zu können, wo mein Platz ist, im internationalen Feld, was für mich möglich ist. Meine Fitness ist okay, meine Ausdauer, meine Kraft. Diese Dinge sind gut, weil ich das auch für Cross und für die Straße trainiere. Aber die spezifischen Aspekte des Mountainbikens, für die muss ich noch arbeiten.
Deshalb bin ich zuvor schon nach Barcelona, wo ich mit Oscar Saiz (früherer Downhill-Profi) gearbeitet habe und darum bin ich auch nach Zypern gekommen. Ich war hier mit dem ganzen Giant-Team. Es war auch gut zusammen zu sein, um das Team kennen zu lernen, gemeinsam die Saison vorzubereiten. Wir haben auch ein paar Filme gedreht und Fotos gemacht, das war ganz schön. Und schließlich war es auch gut das Rennen zu fahren und einige Punkte zu holen.
Wie sieht dein Plan aus für dieses Jahr in Sachen Mountainbike?
Ich werde zwei Mountainbike-Rennen in Holland fahren, in Nieuwkijk und in Norg. Das wird zwischen den Frühjahrsklassikern auf der Straße sein. Ich werde die Flandernrundfahrt, den Fleche Wallone und einige größere Straßenrennen, wie die Weltcups bestreiten.
Auf dem Mountainbike werde ich im April die Sea Otter Classics fahren. Dann bleiben nur noch zwei MTB-Rennen übrig. Das sind die Weltcups in Val di Sole und in Vallnord. Die passen in ein ziemlich volles Programm auf der Straße. Das Ergebnis hier auf Zypern, das ist außergewöhnlich, aber es verändert meine Pläne für dieses Jahr nicht. Ich habe jedoch einiges an Selbstvertrauen und an Motivation gewonnen, die Herausforderung Mountainbike fortzusetzen.
Der Traum auf dem Mountainbike bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro dabei zu sein, scheint Realität werden zu können. Aber dieses Jahr ist ein Lehrjahr. Ich bin sehr froh darüber, wo ich jetzt stehe und es ist großartig, dass das Team mich so toll um mich kümmert.
Woher kam denn die Idee, wieder Mountainbike-Rennen zu bestreiten.
Als ich 14 war, hatte ich einen Bike-Sponsor für mein Cross- und mein Straßenrad. Dann hat Leo van Zeeland ein Schnuppertraining für Mountainbiken angeboten. Der Sponsor sagte, wenn du das vesuchen willst, dann gebe ich dir ein Bike. Das Training lief so gut, dass Leo sagte, ich sollte weiter machen. Er würde mich zu Meisterschaften mitnehmen und so weiter. Ich bin vier Jahre bei
den Juniorinnen gestartet. Ich bin Europa- und Weltmeisterschaften gefahren. Es war ganz okay, aber nicht außergewöhnlich. Ich war Dritte bei der EM in Zürich 2002 (als 15-Jährige!), Vierte bei der WM in Livigno (2005).
Dann kam ich in die Elite. Ich kam in ein Straßenteam und ich habe in dem Jahr meine Schule fertig gemacht. Ich war der Meinung, dass es für meine Entwicklung besser ist, mich auf die Straße zu konzentrieren. Die Rennen liefen ganz gut und am Ende des Jahres wurde ich Straßenweltmeisterin. Darum bin ich auf der Straße geblieben. Ich habe dann in Peking Gold auf der Bahn gewonnen und danach war mein großes Ziel Gold auf der Straße zu holen.
Was dir in London dann gelungen ist.
Ja. Damit hatte ich all meine Ziele erreicht. So habe ich mich nach neuen Herausforderungen umgesehen und dabei auch an das Mountainbike gedacht. Als Juniorin habe ich es sehr gemocht. Ich wusste, es würde mir Spaß machen. Und für mich ist das Allerwichtigste, dass ich Spaß habe auf dem Bike.
Manchmal ist es hart im Training oder wenn du leidest im Rennen. Aber das Leben als Sportlerin, das ist so großartig. Herumzureisen, jeden Tag aufs Rad sitzen zu dürfen. Die Befriedigung zu erleben nach dem Training, wenn alles nach Plan läuft, wenn es klappt im Rennen. Das sind glückliche Momente, das ist ein so tolles Gefühl. Danach suche ich.
Ich denke, das finde ich auch auf dem Mountainbike. Diese Tage auf Zypern, haben das bestätigt. Es war ein tolles Erlebnis, die Rennen auf diesen Strecken. Einen zehn Minuten langen Downhill zu fahren und dabei konzentriert zu bleiben. Du siehst die Felsen links, das Tal auf der rechten Seite. Es ist toll, keine Frage, dieser Sport macht Spaß.
Gibt es da einen Unterschied zur Straße oder zum Cross?
Ja, da gibt es einen Unterschied. Aber es ist schön alles zu kombinieren. Es ist eine andere Welt und schön andere Menschen um dich herum zu haben. Aber auch die Anforderungen im Rennen. Die Anstiege sind immer anspruchsvoll und in den Downhills musst du konzentriert bleiben. Und der Sport ist ehrlich.
Natürlich, du kannst Plattfüße haben. Das ist Teil des Sports, aber es ist nicht alles. Wenn du die Beste bist, dann bist du vorne. Straßenrennen ist dagegen manchmal wie ein Spiel. Ich mag dieses Spiel natürlich. Wäre ich nur Mountainbikerin, dann würde ich dieses taktische Spiel vermissen.
Aber diesen Thrill, wenn du in einem Singletrail bist, wenn du dich die ganze Zeit konzentrieren musst, diese Freiheit und die Fahrtechnik, das zieht mich auch an.
Straßenrennen sind mehr Teamsport, Mountainbiken ist eine Individualsportart. Ist beides Teil deines Charakters?
Ich denke ja. Als Juniorin fährt man auf der Straße die Rennen auch als Individualist…
….mehr oder weniger
Als ich in ein Profi-Team kam, habe ich eine Weile gebraucht, um zu lernen wie die Taktik funktioniert. Du musst Entscheidungen treffen, du musst kommunizieren in einem Rennen. Ich war ein wenig schüchtern. Aber wenn du ein Rennen gewinnen willst und du bist der Kapitän des Teams, dann musst du die Entscheidungen treffen. Du musst fragen, delegieren und all diese Dinge.
Ich habe ein paar Jahre gebraucht, bis ich lernte Team-Player zu sein und manchmal auch Team-Leader. Wie ich schon sagte, Mountainbiken, das ist eine andere Welt. Wir sind ein Team, aber deinen Sport betreibst du individuell. Trotzdem ist die Atmosphäre im Team sehr wichtig für deine persönlichen Resultate. Aber sicher ist es eine andere Art von Teamgeist.
Du bist im Giant-Team auch zusammen mit Männern. Macht das einen Unterschied?
Ja, das macht es. Es ist ziemlich schön in einem Mixed-Team zu sein, man spricht über andere Dinge. Ich freue mich auf darauf. Als ich von zuhause weg bin, hatte ich das Gefühl, ich würde ich in einen Bike-Urlaub gehen (lacht).
Du sprichst von zwei verschiedenen Welten. Du bist bekannt als Straßen- und Crossfahrerin. Gab es bei dir Befürchtungen, dass die Mountainbiker dir mit Skepsis begegnen würden?
Ah, nein. Nicht wegen der Reaktionen. Ich wollte einfach den Sport ausüben und ich habe gehofft, dass die Mountainbike-Welt das akzeptieren würde. Aber ich hatte etwas Angst, weil die Herausforderung so groß war, dass ich gar nicht wusste, ob ich gut genug war, sie zu meistern. Das hat mich aber sehr motiviert, hart zu arbeiten.
Die Mountainbike-Welt, was ich über die sozialen Medien mitbekommen habe, hat das eher begeistert
aufgenommen. Ich kann nicht sagen, dass es mich überrascht hat, aber es ist sehr schön, wenn Leute wie Adelheid Morath oder Blaza Klemencic auf dem Podium sagen, dass sie es toll finden, dass ich den Schritt zum Mountainbike machen will. Ich bin froh, dass sie das so sehen und nicht denken, ich wäre gekommen, um ihnen etwas weg zu nehmen.
Adelheid Morath hat sich vor der Point-to-Point-Etappe sogar auf die Herausforderung gegen dich gefreut.
Yeah, das ist cool. Ich bin mit Katrin Leumann zur Doping-Kontrolle gefahren und sie war auch sehr nett. Das ist vielleicht auch die Atmosphäre im Mountainbike-Sport. Es ist so ein Individualsport, dass es zwischen den Fahrern niemals Spannungen gibt, oder zumindest nicht so wie auf der Straße. Wenn du gut bist, dann bist du gut und man sieht es am Resultat.
Auf der Straße kannst du auch mal nicht so gut sein und trotzdem gewinnen. Und andersherum. Auch Sabine Spitz kam beim Point-to-Point zu mir und hat mit mir geredet.
Über was?
Als sie in London ihre Medaille gewonnen hat, habe ich ihr gratuliert. Aber sie war so beschäftigt, dass sie nicht darauf reagiert hat. Jetzt hat sie sich dafür entschuldigt. Sie habe es nicht so gemeint. Ich sagte, nein, ich habe gesehen, dass du sehr beschäftigt warst, ich habe das nicht für arrogant gehalten. Das war ziemlich nett von ihr. Ich kannte sie ein wenig vom Cross, aber mehr von den Ergebnissen und vom Fernsehen.
Hast du dem Mountainbike-Sport immer beobachtet?
Hmm, nein. Es ist schwierig den Sport zu verfolgen, weil man im Fernsehen nicht viel sieht. Aber ich habe versucht zu verfolgen, was da so passiert. Allerdings, das einzige, was ich von den Spielen in London am Fernseher verfolgt habe, war der Sieg von Julie Bresset.
Gab es da schon den Gedanken, sich mit diesen Damen zu messen?
Yeah, eigentlich schon zwei Jahre zuvor. Ich dachte daran, mich zu qualifizieren. Letztlich ist es schwierig beides zu vereinbaren. Aber ich wollte mich nicht verzetteln und habe mich entschieden meine Chancen nicht aufs Spiel zu setzen.
Wie ich schon sagte, es war mein wichtigstes Ziel Gold im Straßenrennen zu gewinnen. Es ist das Größte, was du im Straßenrennsport bei den Frauen erreichen kannst. Es hat geklappt und ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe.
Denkst du, es wird schwierig zwischen Straße und Mountainbike hin und her zu wechseln? Für Val di Sole und Vallnord zum Beispiel.
Nun, ich weiß es nicht. Ich werde versuchen zuhause und während der Straßenrennen ein Gefühl für das Bike zu bewahren. Es wird schwierig, weil wir zuhause keine Berge haben, da ist es völlig flach, es hat keine Felsen. Ich habe versucht es in mein Programm so zu integrieren, dass ich zeitig bei den Rennen bin.
So, dass ich ein paar gescheite Trainingseinheiten dort absolvieren kann. Das Giant-Team fährt frühzeitig zu den Rennen und ich werde mitgehen, um mit ihnen trainieren zu können. Aber ich weiß nicht, wie es gehen wird. Ich denke, direkt vom Straßenrad aufs Mountainbike, das wird nicht funktionieren. Und andersherum auch nicht.
Von den Juniorenzeiten weiß ich, dass ich damals ein paar Probleme hatte den Rhythmus wieder zu finden. Kraft und Intensität sind okay, aber die Geschwindigkeit in den Rennen ist was anderes. 50 km/h hast du nicht in einem MTB-Rennen, nicht pedalierend jedenfalls.
Hast du für die beiden Weltcups eine konkrete Vorstellung, was du erreichen willst?
Nein. In diesem Jahr geht es nicht um Resultate. Ich werde am Start nicht vorne sein, das muss ich bedenken. Die größte Herausforderung wird sein, die Strecke sauber zu fahren, keine Fehler zu machen und in der Lage zu sein meine physische Kraft zu nutzen.
Wirst nach diesen zwei Weltcups dann entscheiden, wie es weiter geht?
Ja. So wie ich es jetzt sehe, werde ich mit Mountainbike weiter machen. Dieses Jahr dient dazu eine Entscheidung zu treffen und das ist es immer noch. Aber so wie ich das im Moment empfinde, würde ich gerne weiter machen.
Mountainbike hat mehr mit dem Material zu tun, mehr mit dem Bike. Bist du auch an der Technik interessiert?
Ja. Im Mountainbike war ich da bis jetzt nie so drin. Im Straßenrennsport weiß genau was grade aktuell ist, was ich brauche, das Gefühl auf dem Rad und so weiter. Aber auf dem Mountainbike habe ich nicht gewusst, was gut für mich ist.
Als ich eine Juniorin war, bin ich ein 26-Zoll-Bike gefahren, jetzt fahre ich ein 29er. Das ist weitaus komfortabler und stabiler. Das ist ein schönes Gefühl, wenn du nach einigen Jahren zurückkommst. Im Giant-Team haben wir top Material und ich kann mir sicher sein, dass alles bestens funktioniert. Im Cross kenne ich das mit den Reifen, aber im Mountainbike ist es wieder anders. Ich will das lernen.
Hast du schon was verändert?
Ich bin schon von einem schmalen Lenker auf einen etwas breiteren gewechselt. Auf dem Straßenrad habe ich 42 Zentimeter und die Leute hier (beim Mountainbiken) fahren mit 66. Ich bin also von 58 beim Mountainbike auf 62 gewechselt. Sie meinten, 58 das wäre viel zu wenig (lächelt). Alles ist neu und ich lerne jeden Tag. Ich frage einfach alles und es ist gut Profis um mich herum zu haben.
Unterstützt dein Team-Manager auf der Straße deinen Weg in den Mountainbike-Sport?
Es ist geschickt, dass Rabobank beide Teams hat* und ich auf dem gleichen Material und im gleichen Trikot fahren kann. Als ich die Idee hatte Mountainbike zu fahren, bin ich zum
Team-Manager und zum Teamchef gegangen. Sie sagten, gut, wenn du das willst, werden wir dich unterstützen. Lass uns drüber reden, mach einen Plan und verfolge deinen Traum. Es ist wirklich toll, dass sie so viel Vertrauen in mich haben.
Ich will nichts riskieren. Ich weiß, was ich auf der Straße kann, ich weiß, was ich im Cross kann, aber ich will meine Karriere nicht ruinieren in einem dummen Downhill auf dem Mountainbike.
Das ist auch ein Grund, warum ich beim ersten Cyprus Sunshine-Cup-Rennen in Voroklini nicht gestartet bin. Wir sind einen Tag vorher angekommen und ich war mir nicht sicher, was ich kann. Dann kam noch das schlechte Wetter und ich denke, ich hätte nicht die Nerven dafür gehabt.
Leo van Zeeland sagte, dein Straßen-Team-Manager Koos Moerenhout würde ihn umbringen, wenn du dich bei einem Sturz richtig verletzt.
Ja, er war besorgt darüber. Ich bin in Barcelona schon ein paar Mal gestürzt (lacht). Nicht in den schwierigsten Passagen, es waren mehr dumme Stürze. Und hier auf Zypern bin ich im Training auch gestürzt. Sicher, in Straßenrennen sind mehr Leute um dich herum. Wenn jemand vor dir stürzt, hast du keine Chance. Im Mountainbike hast du es selber in der Hand. Wenn du gut bist auf deinem Bike, dann ist das okay. Aber für mich ist es immer noch ein Risiko.
*Rabobank ist im Oktober wegen der Dopingenthüllen aus dem Profi-Radsport ausgestiegen. Das Damen-Straßenteam, für das Marianne Vos fährt, wird trotzdem weiterhin auch mit dem Namen unterstützt. Das Mountainbike-Team erhält zwar das zugesagte Geld, darf aber Rabobank nicht mehr im Namen führen.