Nino Schurter im Interview: Raus aus der Komfortzone
Cross-Country-Weltmeister Nino Schurter hat seine Feuer-Taufe in einem Pro-Tour-Team im Straßen-Rennsport hinter sich. Danach hat sich Scott-Odlo-Biker mit acrossthecountry.net über seine Erfahrungen bei der Tour de Romandie unterhalten. Der Schweizer erzählt im Interview von den Überraschungen, die er erlebt hat, von seinem Kontakt mit den anderen Ex-Mountainbikern im Feld, von Nervosität, Rollen-Wechsel und vom medialen Wirbel, den sein Intermezzo im Straßenmetier in der Schweiz ausgelöst hat.
Nino, wie würdest Du in aller Kürze Deine Eindrücke von der Tour de Romandie zusammen fassen?
War spannend und lehrreich. Und es hat Spaß gemacht. Das Wetter war nicht immer so super, wir haben viel gefroren.
Die dritte Etappe mit den vier Bergwertungen, das wäre der Tag für Dich gewesen?
Das war ein bisschen schade. Das war die einzige Etappe, wo es richtig lange Berge drin hatte. Nach dem zweiten Berg war ich mit 28 Leuten vorne. Am dritten Berg ist mir anfangs Anstieg die linke Kurbel abgefallen.
Wie bitte? Die Kurbel abgefallen?
Ja. Ich weiß nicht, wie das geht. Das war schade. Ich musst das Rad wechseln. Ich war dann 30, 40 Sekunden hinter der Gruppe und habe probiert durch die Wagenkolonne durch noch mal Anschluss zu finden. Aber wenn es Berg hoch geht, dann hilft dir die Kolonne auch nicht viel.
Hattest Du den Eindruck, dass Du da hättest noch länger mitfahren können?
Mit den ganz schnellen Bergfahrern wäre ich nicht mitgekommen, aber mit den besten 15, 20 wäre ich schon mitgekommen. Wenn es lange Berge sind, ist halt ein anderer Typ Fahrer gefragt, als ein Mountainbiker. Am ersten Tag (nach dem Prolog) hatte ich ein wenig Mühe mit dem Rhythmus, aber das habe ich eigentlich vermutet. Aber wenn es so hügelig war, fühlte ich mich ziemlich gut und konnte auch im Finale vorne mitfahren. Ich habe gehofft, dass es mal auseinander reißt. Aber das ist nicht passiert.
„Erst unterhalb Grundlage
und auf einmal geht es Vollgas los“
Wenn Du von Rhythmus sprichst, was meinst Du da konkret?
Manchmal fährst du so langsam, dass du zu frieren beginnst. Auf der ersten Etappe war ich die ersten eineinhalb Stunden mit dem Puls unterhalb von meinen Grundlagen-Werten gefahren. Ich musste hinten noch Kleider holen, weil ich gefroren habe. Und auf einmal geht es Vollgas los. Wenn es nicht richtig steil hoch geht, vielleicht fünf, sechs Prozent und es geht mit 27 Stundenkilometer da hoch, das ist ein Rhythmus, den ein Biker nicht wirklich kennt. Und desto steiler die Anstiege waren, desto besser fühlte ich mich.
Hast Du im Team Aufgaben bekommen?
Nur einmal kurz. Wir haben für Albasini geschaut, dass wir geschaut, dass das Feld reduziert wird. Da musste ich einmal einen Aufstieg ein bisschen Führen gehen. Sonst konnte ich eigentlich immer für mich schauen, mal mitfahren und sehen, was kann ich überhaupt? Das Team wusste auch nicht, wo können sie mich überhaupt einsetzen. Ich wusste es auch nicht wirklich, so durfte ich halt mal mitfahren.
Weißt Du jetzt besser was Du kannst?
Ja. Das nächste Mal kann ich viel entspannter an den Start gehen. Ich war schon ein bisschen angespannt. Ich kannte das Team nicht, ich wusste nicht, wie das abläuft. Jetzt kann ich entspannter ran gehen und weiß, dass ich da gut mitkomme. Vielleicht kann ich mal in eine Ausreißer-Gruppe gehen und mal mehr wagen.
Hat es Appetit auf mehr gemacht?
Hat schon Spaß gemacht. Wetter war halt ein bisschen schlecht, wenn man friert, da gibt es schon Schöneres. Die Atmosphäre, das Renn-Feeling, das hat schon Spaß gemacht. Ich freue mich, dass ich noch die Tour de Suisse fahren kann. Dann bin ich aber auch froh, dass ich wieder mehr aufs Mountainbike fokussieren kann. Aber es ist ein cooles Erlebnis.
„Ich glaube, das ist gut
für meine ganze Entwicklung“
Ich glaube, ich kann daraus einiges lernen und erhoffe mir auch Fortschritte. So gefordert hat mich schon lange nichts mehr. Du fährst immer die gleichen Rennen, es ist immer ähnlich. Das hat mich jetzt aus einer Komfort-Zone raus geholt. Das war sicher nicht schlecht. Was jetzt nicht heißt, dass es unbedingt gut sein muss für die nächsten Rennen, aber doch für meine ganze Entwicklung.
Gab es Kontakt zu den anderen Mountainbikern im Feld?
Ja, ich habe viel mit Jean-Christophe (Peraud) geredet, er ist ganz gut drauf. Mit Jakob (Fuglsang) habe ich einige Male gequatscht, mit (Alexis) Vuillermoz. War lustig. Es waren ziemlich viele Biker da (lacht).
Youri Trofimov (MTB-U23-Weltmeister 2005) war noch da. Das ist ja auch ein alter Bekannter.
Das war lustig. Ich wusste gar nicht, dass der auch mit fährt. In einer Bergetappe, ich ziemlich Anschlag am Berg, er: ach ‚hallo, wie läuft’s?’ (lacht)
Hast Du das Gefühl, dass die schon geschaut haben, was so ein Nino Schurter macht?
Ja. Ich war ich positiv überrascht wie viel die Straßenfahrer über uns Biker wissen.
Bisher hast Du das Straßenmetier nur von der Außenansicht gekannt. Gibt es etwas, was Dich mit den neuem Einblick überrascht hat?
Wie entspannt das abläuft im Team. Eigentlich ziemlich ähnlich, wie bei uns im Biken auch. Es ist eine ziemlich relaxte Atmosphäre bei Orica GreenEdge.
Es war für Euch ja auch sehr erfolgreich, mit den drei Etappensiegen von Michael Albasini und einmal im Gelben Trikot.
Das war schon auch überraschend, auch für ihn selber. Ich war mit ihm im Zimmer und vor der letzten Etappe, die er gewonnen hat, war er ziemlich müde. Aber im richtigen Moment, die richtige Gruppe und dann hat er das Finale ziemlich dominiert.
„Der mediale Wirbel hat mich
nervös gemacht“
Es war schon cool zu sehen. Auf der Straße muss man viel Routine haben, die Taktik, die richtige Gruppe. Dann ist alles möglich, wenn man die richtige Form hat. Ich glaube nach ein paar Tagen sind alle ein bisschen kaputt, ähnlich wie an der Cape Epic. Da muss sich auch erst dran gewöhnen. Das kennen wir als Cross-Country-Biker nicht so. Da kann es sein, du hast, die ersten zwei, drei Stunden das Gefühl, es läuft nicht. Und dann geht es doch.
Im Mountainbike stehst Du seit Jahren an der Spitze, bist der Mann, den man schlagen muss. Wie war es jetzt für Dich praktisch nur mit zu schwimmen, einer von vielen zu sein?
Es war mal eine andere Situation. Sonst gehe ich an die Rennen, um zu gewinnen. Ich glaube, das tut mir auch mal gut, dass ich mal nicht als Favorit gehandelt werde, sondern ein anderes Ziel im Fokus ist. Ich glaube, auf die ganze Karriere bezogen, ist das nicht schlecht, wenn man mal eine andere Rolle einnimmt.
Du hast Dich vermutlich schon im Voraus drauf eingestellt?
Klar. Das war mir auch lieber so. Ich will ja nicht irgendwo hingehen, wenn ich nicht weiß, was ich drauf habe und die Leute erwarten zu viel. Die meisten haben das positiv aufgenommen und nicht zu viel von mir erwartet.
Wie hast Du denn die mediale Situation erlebt?
Es war ziemlich viel Interesse da in der Schweiz. Das hat mich auch ein bisschen nervös gemacht. Am Tag des Prologs haben sie noch eine Medienkonferenz für mich organisiert. Damit die, mit mir sprechen können, die das wollen. Ich dachte, ja, es sind, drei, vier und am Ende waren es 20, die da waren. In der Schweizer Medienlandschaft hat das schon Wirbel gemacht. Darum war ich auch anfangs ziemlich nervös. Viele haben was erwartet von mir. Das musste ich ein bisschen bremsen und erklären, dass das Resultat* für mich zweitrangig ist. Sondern, dass es darum geht, Erfahrungen zu sammeln und zu lernen. Dass ich keine realistischen Chancen habe, da vorne mitzufahren.
Wie machst Du Dich jetzt fit für die Weltcups?
Jetzt ist erst mal Erholung angesagt und Solothurn bereite ich sicher nicht optimal vor. In Nove Mesto möchte ich wieder in Top-Form am Start stehen.
Man sagt ja, dass so eine Straßenrundfahrt nach zirka zwei Wochen zündet.
Ich denke für meine physische Verfassung war das sicher gut. Bis auf die Bergetappe war es auch ein ziemlich spritziges Fahren. Schnell, langsam, schnell. Die Bergetappe war fünf Stunden lang ein Rhythmus, das ist sicher nicht optimal für’s Biken brauche. Aber es gibt mir noch einmal Härte. Wenn ich mir dann noch ein bisschen Spritzigkeit hole, dann bin ich fertig für die zwei Weltcup-Rennen.
Da willst Du sicher wieder um den Sieg mitfahren, oder?
Ja, sicher will ich um den Sieg oder einen Podest-Platz mitfahren. Der Absalon hat es ja fast ein bisschen zu leicht gehabt (lacht). Aber er ist natürlich auch wieder in einer top Form.
*In der Endabrechnung war Nino Schurter 42. , der Tour-de-France-Gewinner 2013, Chris Froome, gewann. Ein 18. Rang auf der zweiten Etappe war sein bestes Tagesresultat.