20 Köpfe für 2020 (16): Ein Pionier und Abenteurer

Wolfgang Renner über seinen Weg vom Kunstradfahrer zum
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Die Nummer 16 der Serie 20 Köpfe für 2020 greift noch mal weit zurück in die Geschichte des Mountainbike-Sports, bzw. des Sportgeräts. Wer sich mit dem Thema Mountainbike ein wenig intensiver beschäftigt, der weiß: Wolfgang Renner hat das erste Mountainbike in Deutschland gefertigt. Im schwäbischen Magstadt und unter der Marke Centurion.

Das verhalf dem Sport zum ersten großen Entwicklungsschub. Doch darüber hinaus war der 72-jährige Schwabe auch auf anderen Ebenen mit Pionier-Geist unterwegs. Über einen, der lieber im Hintergrund bleibt, aber trotzdem häufig vorn dabei war.

Pünktlich auf die vereinbarte Minute klingelt das Telefon und Wolfgang Renner meldet sich. Ja, Pünktlichkeit, sagt er, verlange er von seinen Mitarbeitern und er selber wolle es auch sein. Auch wenn das nicht immer gelinge. Leben und Arbeiten wird ja auch immer komplexer, sagt der Reporter dahin. Woraufhin der Unternehmer in Sachen Fahrrad mit seinem nächsten Satz aus der Ebene des Geplänkels unmittelbar ins Lebensphilosophische verlagert:

Je länger man die Dinge betrachtet, desto einfacher werden sie.

Was für ein Einstieg in unser Gespräch. Wie meinen Sie das?

Beim ersten Blick sind die Berge immer steil, je länger man sie betrachtet und wenn man sie in Angriff nimmt, werden sie flacher. Fast alles ist machbar. Okay, die Berge werden immer steiler, je älter man wird (lacht). Aber nein, die menschliche Wahrnehmung täuscht.

Vielleicht denkt Wolfgang Renner dabei an seine Touren im Himalaya – an einer hat auch mal Radsport-Legende Eddy Merckx teilgenommen – oder an seine erste Alpen-Überquerung mit dem Mountainbike. Vielleicht denkt er auch an die Vielzahl an Herausforderungen, die er als Unternehmer gemeistert hat.

Das BMX-Rad hat er in Deutschland lanciert, die erste BMX-Bahn in Deutschland hat er gebaut, das erste Mountainbike in Deutschland auf den Markt gebracht, die Rennrad-Zeitschrift TOUR mit gegründet. Im ersten Moment scheinen sich unüberwindbare Hürden aufzubauen, doch dann steigt der Radsportler in die Pedale und meistert die Berge Meter um Meter.

Das beschreibt sicher einen Teil von Renners Persönlichkeit. Damit verbunden ist der Pionier-Geist. Offen zu sein für Neues, das müsse man sich bewahren, sagt er. Und Mut beweisen. Wie 1982, als er mit dem „Centurion Country“ das erste Mountainbike auf den deutschen Markt brachte.

Ihr erste Begegnung mit dem Sport-Gerät Mountainbike, die fand 1980 bei der Messe in Long Beach, Kalifornien, statt.

Ich habe das dort gesehen, ja. Die haben in Kalifornien ja die Räder umgebaut, die so genannten Klunker. Die hatten dicke Reifen und brutale Radstände.

Was heißt das in Zahlen?

Sitzrohr-Winkel von 70 oder 69 Grad und eine Hinterbau-Länge, da konntest du zwei Fäuste zwischen Sitzrohr und Reifen durchstecken. Das war mir nicht sportlich genug. Ich habe gleich dort eine Handskizze gemacht, die Maße reingeschrieben und den Japanern (von Centurion) gegeben.

Ekkehard Teichreber (ehemaliger Vize-Weltmeister im Cyclo-Cross) war damals mit dabei. Die Japaner haben uns einen Rahmen gebaut. Centurion wurde damals von der Firma Western States in den USA groß vertrieben und deshalb hatten wir die Chance in größeren Stückzahlen zu produzieren. Dann kam das erste Gerät rüber, das steht heute noch in Magstadt und fährt sich immer noch – ziemlich sportlich sogar.

Was hat Sie denn damals überzeugt an den Mountainbikes, die Sie dort gesehen haben?

Was mich überzeugt hat? 1976 bin ich durchs Karwendel-Tal geradelt. Mit dem Cross-Rad und Schlauchreifen. Ich hatte drei Platten. Ich bin gar nicht zum Ende gekommen, weil ich keine Reifen mehr hatte. Da habe ich gesehen, dass alte Mittenwalder mit so alten Böcken, Hercules vielleicht oder NSU, also mit normalen Stadträdern ins Tal reingefahren sind, damit sie nach dem Bergsteigen nicht alles wieder raus latschen mussten. Ich dachte, die sind nicht so blöd. Du brauchst einfach ein Rad mit dickeren Reifen.

Ich hatte aber einfach keine Zeit dafür. In Kalifornien waren die Leute schon mehr freizeitorientiert und hatten Zeit zum Basteln. Joe Breeze (einer der MTB-Pioniere) und wie sie alle heißen. Sie sind ja mit dem Lastwagen hoch gefahren und mit den Klunkern wieder runter. Ich bin mit Gary Fisher (ein weiterer der Pioniere) und Uli Stanciu (Gründer Zeitschrift Bike-Magazin) später mal die Original-Strecke da runter gefahren.

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Das erste MTB auf dem deutschen Mark: Das Centurion Country

Was da in Kalifornien vor sich ging, das hat man in Europa nicht mitbekommen?

Nicht so richtig. Es gab ja kein Internet und auch keine Zeitschriften in der Art. Wenn du auf einer Messe warst, hattest du ein Jahr Vorsprung. Höchstens wenn jemand Verwandte dort hatte, hat man was mitgekriegt. Es gab kein Handy, kein Fax, nur Telex mit den Lochstreifen. Nach Amerika zu telefonieren war wie eine Expedition zu starten (lacht).

Die ursprünglichen Mountainbikes, die „Klunker“ wurden von ihren kalifornischen Erfindern zum Bergabfahren benutzt. Wolfgang Renner wollte mit seinem Mountainbike ja auch bergauf fahren können. Specialized brachte mit dem Stumpjumper 1981 das erste Mountainbike in Massenproduktion auf den Markt. Allerdings erst mal nur auf den amerikanischen. Bis das Fahrrad in Europa landete, dauerte es noch. Da hatte Wolfgang Renner sein Centurion Country bereits auf den Markt gebracht.

Sie hatten nach den Erfahrungen im Karwendel-Tal also einfach keine Zeit, um sich eine entsprechende Entwicklung zu bauen?

1977 fuhr Dietrich Thurau bei der Tour de France in Gelb. Da kam Eddy Kahlich, ein Tscheche, zu mir und sagte: Wolfgang, musst du mir helfen, der Thurau fährt in Gelb, müssen wir machen eine Zeitschrift (lacht). Dann haben wir die TOUR gegründet (zu Beginn RAD).

Sie haben dann ja auch journalistisch gearbeitet, haben fotografiert und geschrieben. War das auch eine Passion, das Schreiben?

Puhh..

Oder eher ein Muss?

Ein Muss. Fotografiert habe ich immer schon gerne, aber Schreiben…Deutsch war immer mein absolut schlechtestes Fach in der Schule, da hatte ich einen Dreier. Es ist mir schwer gefallen. Dadurch, dass ich das nicht so schnell machen konnte, ohne zu überlegen. Wir hatten ja auch keinen Computer, mit dem du korrigieren konntest. Eddy Kahlich hat das Layout gemacht und zusammen geschnipselt. Wenn du was ändern musstest war das eine Katastrophe.

Die TOUR hatte schnell viel Erfolg.

Ganz schnell. Die TOUR wurde gegründet, da war Jochen Möller Chefredakteur. Der war Chef beim Ehapa-Verlag, der Readers Digest herausgegeben hat. Jochen Möller war ein Lebemann. Er hat gleich eine Villa in Stuttgart angemietet, neue Redaktionsräume. Ich habe gesagt, finanziell steige ich da nicht ein. Dann hat es der Lütze-Verlag in Reutlingen gekauft.

Sie haben sich also nie finanziell beteiligt?

Nein, ich habe nur fotografiert, Artikel geschrieben und mich um die Technik gekümmert. Einmal habe ich eine TOUR fast alleine geschrieben. Da habe ich zu Eddy gesagt, so geht das nicht. Wenn du heute die Texte liest, da lachst dich kaputt (lacht). Aber wir hatten ein paar Bögen in Farbe, die Leute haben drauf gewartet.

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Für die TOUR als Fotograf unterwegs. Wolfgang Renner hat auch ein Faible für 3D-Fotografie ©Archiv Renner

Zurück zum Mountainbike, das Sie deshalb erst mit Jahren Verspätung gebaut haben. Was war denn der Impuls das dann doch auf den Markt zu bringen?

Der Impuls war  tatsächlich das Karwendel-Gebirge (lacht).

Die ursprünglichen Klunker waren ja nur zum Berg runterfahren. Sie wollten aber ein Bike, mit dem man bergauf fahren kann. Auf die Idee kamen auch noch andere.

Ja, da war Specialized mit dem Stumpjumper, Joe Breeze, da waren schon einige in Amerika drüben.

Aber sie waren noch nicht so verbreitet.

Erst mal nicht, aber sie kamen relativ schnell nach Europa. Auf einen Schlag tauchten Marken auf, die auf den Zug aufgesprungen sind. Ich hatte zuvor ja schon BMX in Deutschland auf den Markt gebracht und das war schon ein Run. Und die Leute dachten, wenn der Renner ein MTB auf den Markt bringt, müssen wir da mitziehen. E

s gab noch mal eine Delle etwa 1984, 1985 als die Taiwanesen produzierten und die Qualität teilweise schlecht war. Der richtige Hype ging dann los als die TOUR die ersten Mountainbike-Sonderhefte brachte. Ich bin dann das Iditarod Bike Race in Alaska gefahren und 1989 hat Uli Stanciu das Bike-Magazin gegründet. Dann gab es einen richtigen Hype. Die TOUR hat das nicht richtig gemacht, nur Sonderhefte. Mit der eigenen Zeitschrift ging es schwupp..

Sie haben ja in der TOUR auch schon über Mountainbike geschrieben. Wie wurde dieses neue Sportgerät denn von der Straßenradsport-Fraktion aufgenommen?

Ich komme ja vom Cyclo-Cross-Rennsport. Da warst du es gewohnt in den Wäldern zu fahren. Ma wurde angeguckt wie ein Außerirdischer. Wie kann man auch mit so schmalen Reifen, mit solchen Rädern im Winter durch den Wald fahren? Der Cross-Sport war zu der Zeit in Deutschland unwahrscheinlich populär. In der Hauptsache durch Rolf Wolfshohl (dreifacher Weltmeister). Der kam im Jahr zehn Mal im Fernsehen, am 6. Jahr wurden Rennen in voller Länge und live übertragen.

Ich habe in Mannheim studiert und bin mit meinem Cross-Rad mit den Mannheimer Cracks wie Willi Altig oder Jürgen Tschan. Die Cross-Fahrer hatten so ein negatives Image. Das war am Anfang mit dem MTB auch so, aber das wurde dann als eine Mode akzeptiert. Es war In, dass jeder Tennisspieler ein Mountainbike kauft. Damit sind die zur Eisdiele um zum Tennisplatz gefahren. So richtig cool in den Bergen rumfahren und Trails, das haben vielleicht 10 Prozent gemacht. Die richtigen Straßenfahrer, die waren technisch bei weitem nicht so toll. Dann kam John Tomac.

Der Straßenfahrer war und Mountainbike-Rennen gewann.

Dann haben die gemerkt, die sind ja technisch viel besser wie wir. Das ist ja heute nicht mehr unbedingt so. Wenn man einen Peter Sagan (dreifacher Straßen-Weltmeister und zwölffacher Tour-de-France-Etappensieger, Junioren-Weltmeister auf dem MTB 2008) sieht, der kann auf dem Hinterrad fahren. Das ist eine andere Generation. Aber es war damals eine Art Kult-Gerät.

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Dreimal deutscher Meister im Cyclo-Cross: Wolfgang Renner ©Archiv Renner

Es war also kein Problem in der TOUR über Mountainbikes zu schreiben?

Nein. Anders als etwa als man in den Mountainbike-Zeitschriften begann über E-Bikes zu schreiben. Da gab es richtig Widerstände. Heute sieht das ja anders aus. Wenn du im Karwendel mit einem normalen Bike rumfährst, fragen sie dich ja schon: wo ist dein Motor. Die Ressentiments gab es im Straßenrennsport gegenüber den Mountainbiker bei weiten nicht so.

Es gab ja viele Straßenfahrer, die MTB-Rennen gefahren sind und baff waren. Achtung, fertig los und 120 Prozent, das lag denen auch nicht so. Mike Kluge hat das geschafft als Spitzenmann, aber ich kenne viele andere, denen das nicht gelang. Noch extremer war das, wenn sie zum Cross gegangen sind. Ein Mathieu van der Poel ist da eine Ausnahme.

Das Mountainbike war für Sie und für Centurion eine Erfolgsgeschichte. Wenn Sie zurückblicken, unter welcher Perspektive haben Sie das betrieben? Mit der Leidenschaft für den Renn-Sport, als Abenteurer, als Konstrukteur oder doch aus der unternehmerischen Sicht?

Im Nachhinein würde ich sagen: ich war zu stark verliebt in die Technik, in den Sport und habe zu wenig das Wirtschaftliche gesehen. Die Amerikaner haben immer zuerst das Wirtschaftliche gesehen und den Sport dafür benutzt. Ich habe es andersherum gemacht (lacht)…Das mache ich heute so nicht mehr.

Gab es da einen Moment der Erkenntnis?

Der Lerneffekt war da als wir das „No Pogo“ auf den Markt gebracht haben, es das Bike des Jahres geworden ist und den Shimano Design Contest gewonnen haben, aber mit einem italienischen Rahmen-Hersteller zusammen gearbeitet haben. Die haben immer zu spät oder gar nicht geliefert. Ich hätte wie die Amerikaner nach Taiwan gehen sollen und sagen: baut mir die Räder. Hab’ ich nicht gemacht und geglaubt, ich bin selber groß genug. War ein wirtschaftlich ein Fehler. Ich war einfach zu enthusiastisch.

Es wäre also besser gewesen damals schon mit Merida zusammen zu arbeiten?

Ja. Der Vorteil von Taiwan ist, dass rund um Taipeh und Taichung auch die ganze Zubehörteile-Industrie entstanden ist. Die Zugriffszeiten sind dadurch sehr kurz. Wenn du früher in Deutschland die Sattelstütze mit dem falschen Durchmesser bekommen hast, hat es drei Monate gedauert, bis du eine neue bekommen hast. Dann war die Saison vielleicht schon gelaufen und du hast alte Räder gehabt. Die Materialbeschaffung war das Hauptproblem.

Der Enthusiasmus für den Sport wurde Ihnen ein wenig in die Wiege gelegt, wenn auch in etwas anderer Form. Ihr Vater war Kunstradsportler?

Richtig.

Das ist ein Sport, mit dem man kein Geld verdienen kann. War das eher was Künstlerisches?

Kunstradfahren ist schon was Feines. Vielleicht kann man das so vergleichen. Kunstradfahren ist wie Geige und Radrennen fahren ist wie..

Gitarre spielen?

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Die edlere Art des Radfahrens: Kundstradsport mit Wolfgang und Jürgen Renner ©Archiv Renner

Oder du trommelst, keine Ahnung. Ich will jetzt den Vergleich nicht bringen, andere Instrumente sind

ja auch hohe Kunst (lacht). Aber Kunstradfahren war halt was Edleres. Man ist da halt reingewachsen. 1957 habe ich begonnen, da gab es ja nicht viel, da hat man noch in Ruinen gespielt.

Sie haben mit Ihrem Zwillingsbruder Jürgen Zweier-Kunstradfahren betrieben. Wie lange?

Bis zum 19. Lebensjahr. Wir waren zweimal Deutscher Meister, einmal Zweiter, einmal Dritter. Zwei Tage nach meinem 18. Geburtstag bin ich mein erstes Cross-Rennen gefahren. In Bad Randringshausen, das ist bei Paderborn. Weiß ich noch wie heute.

Das war von Magstadt aus auch nicht der nächste Weg.

Der Karl Stähle, ein Vetter zweiten Grades, ist damals schon Cross-Rennen gefahren und war richtig, richtig gut. Er war fünf Jahre älter und hat mich mitgenommen. Damals gab es noch keine Autobahn, die hat vor Heilbronn aufgehört (lacht). Das war eine Weltreise und ich war gleich Zweiter. Das stand dann im Mitteilungsblatt, Karl Stähle hat seinen Nachfolger gefunden.

Das war dann tatsächlich so. Karl Stähle war dreimal in Folge deutscher Meister im Cyclo-Cross (1967 bis 1969) und sein Verwandter und Vereinskamerad beim RV Pfeil Magstadt holte die Titel von 1970 bis 1972. Zuhause bei Renners kam die Aktion allerdings nicht so gut an und Wolfgang Renner ließ dann schon erahnen, dass er seinen eigenen Weg gehen würde, egal wie steil er sein würde.

Damit war die Kunstrad-Karriere dann beendet?

Mein Vater hat das im Mitteilungsblatt gelesen, er wusste nicht, dass ich das Cross-Rennen gefahren bin. Er sagte dann, entweder fährst du Cross-Rennen oder machst Kunstradsport. Wenn du Cross-Rennen fährst, kannst du ausziehen.

Und Sie haben eine Entscheidung getroffen.

Ich habe zu ihm gesagt, dann ziehe ich aus. So war das. Das war eine harte Zeit.

Wir sind aber noch ein Jahr Kunstrad gefahren, aber mein Bruder hatte dann auch andere Interessen. Er hat die Eiger Nordwand bestiegen, den Skilehrer gemacht. Es gab auch noch keine Weltmeisterschaften im Kunstradsport und fünfmal in der Woche trainieren für einen deutschen Meistertitel? Na ja. Das war dann nicht mehr so meine Welt.

Stichwort Welt. Der Wechsel vom Kunstrad in der Halle zum Wintersport im Schlamm, das wirkt schon gravierend. Da gibt es nicht viel Schnittmenge, außer vielleicht noch der Radbeherrschung.

Technisch war ich beim Cross allen überlegen.

Das haben Sie also mitgenommen?

Ja. Heute ist das kein Problem mehr, die sind technisch alle nicht schlecht. Aber damals hatte ich einen großen Vorteil.

Hat das dann auch entsprechend Spaß gemacht?

Es war einfach eine andere Welt. In der Natur zu radeln, Dinge zu sehen, in ganz Deutschland Rennen zu fahren. Rolf Wolfshohl zu treffen, das war ein Vorbild. Er war zwar ein besonderer Typ, aber technisch und fahrerisch war er top. Rolf hat auch viele Fehler gemacht im Leben.

Vor ein paar Jahren hat er sich mir gegenüber geöffnet und erklärt wie das war als er mit 19 als Profi nach Frankreich kam. Warum er uns nichts gezeigt hat, weil er vor uns Angst hatte. Anfangs hat er uns überrundet, dann nicht mehr und irgendwann habe ich ihn abgehängt. Klar, er war ja auch sieben Jahre älter.

Konnte man mit dem Cross-Sport was verdienen? Sie haben ja studiert.

Ich habe Elektro-Technik studiert und tatsächlich mit dem Sport das Studium finanziert. Da bist du nicht reich geworden, aber du konntest dein Zimmer bezahlen und so.

Wo es noch mehr Geld zu verdienen gab, das war im Straßenrennsport. War das nie ein Thema für Sie?

Ich habe Elektrotechnik studiert und das ging mit dem Straßenrennsport nicht zusammen. Im Cross konntest du mit Talent sehr viel machen. Für die Straße hatte ich keine Zeit um fünf Stunden zu trainieren. Ich wollte erst mal ein Studiengang fertig machen und dann auf die Straße gehen. So wie Klaus-Peter Thaler. Dann habe ich einen Autounfall gehabt.

Der Unfall war mit einem Porsche. Wie sind Sie denn in jungen Jahren zu einem Porsche gekommen?

(Lacht). Jetzt werden Sie neugierig. Ich habe mit Radfahren schon Geld verdient und dann habe ich nebenher bei einem Tuner gearbeitet, bei Karle Armbrust in Renningen. Der hauptsächlich Porsche getunet und habe mir das erarbeitet. 1972 war ich in der Olympia-Halle Chef von einem Team, wir haben in 20 Minuten einen Porsche-Motor gewechselt. Deswegen bin ich Porsche gefahren.

Die Sport-Karriere war mit dem Autounfall im Alter von 25 Jahren beendet, intensive Belastungen waren nicht mehr drin. Wolfgang Renner studierte noch BWL, übernahm eine Uhrenarmband-Manufaktur aus der Familie und 1976 fragt ihn sein ehemaliger Rennfahrer-Kollege Ekkehard Teichreber, der für den Radvertrieb Messingschlager arbeitet, ob er nicht japanische Komponenten vertreiben will. Renner macht das, erst als Nowak Radsport-Artikel, später umbenannt zu Centurion und im gleichen Jahr noch entsteht aus japanischer Fertigung der erste Centurion-Rahmen.

Damit sind die Centurion Bikes geboren und die Radsport-Unternehmer-Karriere von Wolfgang Renner nimmt Fahrt auf. Der Schwabe ist der Erste, der BMX-Bikes, die in den USA bereits boomen, nach Deutschland bringt. Federführend bringt er die Disziplin in den nationalen Radsport-Verband, wird BMX-Fachwart und sorgt dafür, dass in Magstadt und in Bremen die ersten BMX-Bahnen entstehen. Auch mit dem Mountainbike ist er in Deutschland der Erste. Er organisiert Ende der 80er-Jahre auch MTB-Rennen und 1990 bringt er mit einem Coup Dynamik in die Verbands-Strukturen.

Die eigene Karriere war also beendet. Aber Sie haben den Sportarten BMX und Mountainbike entscheidende Impulse gegeben. Die Verbände UCI und BDR haben sich ja Zeit gelassen mit der Aufnahme der Biker in ihre Strukturen. Es gab ja schon vor 1990 internationale Wettkämpfe. Dann kam Münsingen.

(Lacht). Das Funktionärswesen war verknöchert und neuem nicht aufgeschlossen. Die sagten, die Disziplin soll sich erst beweisen, ob das was wird. Dann kam halt Münsingen. Wenn der Gaul vorwärts nicht in den Stall geht, muss man ihn halt rückwärts reinschieben (lacht).

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Münsingen in den frühen Tagen des MTB-Sports. ©Archiv Peter Schaupp

War das auch ein wenig strategisch gedacht? Nach dem Motto: wenn wir eine deutsche Meisterschaft machen, dann können sie gar nicht mehr anders?

Der Hans Klug (Abteilungsleiter Rad der TSG Münsingen, die bereits seit 1987 bereits ausrichtete) kam zu mir und meinte, er wolle ein größeres Rennen machen, was man da denn machen könnte. Ich sagte, mach‘ eine deutsche Meisterschaft.

Er hatte Angst, dass sie ihm dann die Lizenz nehmen würden. Ich habe beschwichtigt und gesagt, Hans, du organisierst das Rennen und ich mach’ den Rest. Platt gesagt, habe ich den Hans benutzt, weil mir das Spaß gemacht hat. Ich war als Funktionär immer auf Seiten der Sportler, weil ich selber einer war.

So einfach war es aber nicht.

Ich hab’ zum Hans gesagt, jetzt machen wir eine Ausschreibung im RADSPORT (Verbandszeitschrift). Er hat gezweifelt, dass das durchgeht, aber ich habe gesagt: lass mich nur machen.

Eine Antwort auf den Antrag ließ seitens BDR auf sich warten. Im Januar war für das Rennen im April immer noch nichts passiert, die Vorbereitungen waren aber längst angelaufen. Es wurde dann eine „inoffizielle“ deutsche Meisterschaft draus gemacht.

Sie hatten gute Kontakte, die dann hilfreich war.

Durch die Arbeit für die TOUR habe ich den Fotografen Hennes Roth gut gekannt, der damals für den Verlag gearbeitet hat, der den RADSPORT gedruckt hat. Ich habe Hennes angerufen und gesagt, du wir haben da noch eine Anzeige, die wird fast nicht fertig. Wann läuft denn bei euch die Rolle an? Ja, wenn du um 15 Uhr die Folie bringst, kommt sie noch rein. Ich sag: okay, es kommt ein Bote vorbei. Am nächsten Tag war die Anzeige mit der Ausschreibung für die DM im RADSPORT (lacht).

Was für ein Coup!

Dann war die Hölle los (lacht). Fritz Ramseier (damals Bundessportwart im BDR, †) hat getobt, er würde alle sperren. Mike Kluge rief mich an, ich sagte, nein ihr fahrt alle, keiner wird gesperrt. Ich glaube es gab ein Preisgeld von 1000 DM, also ziemlich viel. Alle waren da, alle. Es gab einen Film im Fernsehen über diese deutsche Meisterschaft. Der BDR ist dann eingeknickt und im gleichen Jahr noch eine eigene deutsche Meisterschaft (in Kirchzarten) gemacht.

Das hat der Disziplin dann Bahn gebrochen.

Das gab so einen richtigen Schwung, das war ein Rückenwind.

Die Rennen fanden unter widrigsten Bedingungen statt. Münsingen sollte in den 90er-Jahren einen Ruf als Matsch-Rennen pflegen und bekam irgendwann den Titel „Paris-Roubaix des Mountainbike-Sports“. Von fast 1000 Startern schrieb die Lokalpresse. 218 Fahrer gingen ins Rennen der Herren, das Mike Kluge gewann, nur 20 kamen ins Ziel! Es ging kaum noch ein Rad rum. Bei den Frauen siegte Anneliese Weber aus Darmstadt. Über den Coup können Wolfgang Renner und Hans Klug heute noch herzhaft lachen.

Ihr Enthusiasmus für den Sport ist eine Seite. Doch da gibt es auch den Abenteurer in Ihnen. Da ist zum Beispiel diese erste Alpenüberquerung mit dem Mountainbike. Woher kam die Idee dazu?

Ich war 1987 zum ersten Mal mit Andi Heckmaier in Tibet. Von Lhasa nach Kathmandu. Da habe ich zum Andi gesagt, über die Alpen fahren, das wäre auch mal toll. Organisier das doch mal. Er hat das alles recherchiert. Damals ist man ja noch mit Kompass-Karten gefahren.

Er hat das organisiert und ich bin mitgefahren. Von Oberstdorf über den Schrofenpass, da musste man den Bock hoch tragen. Andi ist, glaube ich, das erste Mal mit Klickpedalen gefahren und ist ständig auf die Nase geflogen. Sechs Tage waren wir unterwegs. Die Route ist heute noch als Heckmaier-Route bekannt.

Und was war die Erkenntnis von dieser Tour?

Dass du mit dem Mountainbike tolle Ziel erreichen kannst. Du kannst dir selbst ein Abenteuer organisieren. Damals war das noch was Außergewöhnliches. Die Hüttenwirte waren noch nicht gewohnt, dass da einer mit dem Bike ankommt (lacht). Da war man auch wieder ein Exote.

Geschäftlich waren Sie zumindest an einem Punkt auch noch mal ein Exote, bzw. Pionier. Der Versuch mit dem Thermoshape-Verfahren zur Rahmenherstellung ging aber ein wenig schief und Sie haben viel Geld verloren.

Ein wenig ist gut, die Thermoshape-Geschichte war ein Fehler. Wir haben die Rahmen von Battistello machen lassen, aber das war nicht zuverlässig. Unabhängiv von der Thermoshape-Sache, wusste ich, wir müssen was ändern.

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Merida-Cup in Taiwan. Oben: José Hermida, rechts von ihm Wolfgang Renner und im Vordergrund Merida-Chef Michael Tseng ©Archiv Renner

Das führte dann zur Zusammenarbeit mit Merida

Der Ike Tseng (Chef von Merida, †) war auf einer der ersten Eurobike-Messen in Friedrichshafen und kam zu mir an den Stand. Er sprach ganz schlechtes Englisch. Wir hatten das Bike des Jahres und er dachte, na ja, an so einem Taiwan-Hersteller ist der Renner nicht interessiert. Und ich dachte, mit 20000 Räder im Jahr, große Firma Merida, die sind vermutlich auch nicht interessiert an uns. Aber nach der Thermoshape-Geschichte habe ich Thomas Klotzbücher kennengelernt, der hat mich zu Merida gebracht.

Thomas Klotzbücher aus Schwäbisch Gmünd hatte damals unter dem Titel Merida Europe quasi den Europa-Vertrieb der taiwanesischen Marke unter seinen Fittichen. Merida galt eher als Billig-Marke und Klotzbücher versuchte das zu ändern. Dazu baute er als Marketing-Einheit ab 2000 auch ein Cross-Country-Team auf. Begonnen hat er das Ganze mit einem Einzelsponsoring von Sabine Spitz, doch 2001 kommt bereits Irina Kalentieva dazu und 2002 dann Gunn-Rita Dahle-Flesjaa.

Das Trio steht im Weltcup zum Teil auf den Plätzen eins, zwei und drei. Multivan stieg als Co-Sponsor ein und unter dem Titel Multivan-Merida Biking Team prägte die Equipe 15 Jahre das Cross-Country-Geschehen mit. Der Spanier Jose Antonio Hermida und der Schweizer Ralph Näf wurden ebenfalls zu Gesichtern der Marke Merida,. Wolfgang Renner hatte da längst Merida Europe übernommen und es entstand die Merida-Centurion GmbH.

Sie haben mit Centurion bereits in den 90ern auch Sportler gesponsert.

Hansjörg Rey (Trial-Weltmeister und Freeride-Pionier) hatte seine ersten Trial-Räder von uns. Mit Diddie Schneider haben wir ein Freestyle-Team gemacht, Uli Rottler (Straßen- und Cross-Profi), die Gebrüder Betz oder den Bahn-Sprinter Michael Hübner. Auch den Triathleten Thomas Hellriegel, erster deutscher Ironman-Sieger.

In den 2000ern wurde das Team Alb-Gold von Centurion ausgerüstet, heute ist es das Marathon-Team Centurion-Vaude. Prunkstück aber war das Multivan-Merida Biking Team. Wie bedeutsam war denn das Sponsoring für die Marken?

Schon bedeutsam, das war kein Mäzenatentum. Für Sportler ist ein Mäzenatentum ja auch nicht befriedigend. Die wollen, dass der Sponsor von ihrer Arbeit auch was hat, das ist eine Form der Wertschätzung. Mir hat es aber natürlich auch Spaß gemacht.

Multivan-Merida war ja nicht nur äußerst erfolgreich, sondern auch von Persönlichkeiten geprägt.

Das war perfekt durchorganisiert.

Wie sehr hat Ihr Rennfahrer-Herz dafür geschlagen?

Sehr. Ich war ja immer dabei. Mit José (Antonio Hermida, Spanien) war ich sehr eng, bin ich heute noch. Mit Ralph Näf. Bei Tests bin ich mit denen Rad gefahren. Das war eine tolle Zeit. Die Mountainbiker waren etwas anders als der Straßenbereich. Das war familiärer. Die haben selber auch noch am Rad rumgeschraubt. Ich bin auch mit der Mannschaft das Cape Epic gefahren (gemeinsam mit Ex-Straßenprofi Raimund Dietzen). Ich habe alles verfolgt, nicht nur unsere Fahrer. Es ging auch darum, Nachfolger zu finden.

Das ist nicht so richtig gelungen.

Wir hatten Julian Schelb (Münstertal), der leider aus privaten Gründen extrem zurückgeworfen wurde. Rudy van Houts (Niederlande), Thomas Litscher (Schweiz), Ondrej Cink (Tschechien). Aber es gab bei den Herren niemand mehr, den wir aufbauen konnten. Nicht zu einem absoluten Spitzenmann.

Da vorne war die Ausnahme Nino Schurter (Schweiz), Julien Absalon (Schweiz), der schon älter war und Jaroslav Kulhavy (Tschechien) durften wir nicht anpacken (weil er für Specialized fuhr, an dem Merida beteiligt ist). José, Gunn-Rita und Ralph habe Merida verkörpert. Das geht nicht, wen du nur zwei Jahre bei einem Team bist.

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Auch heute noch eine gute Beziehung: Wolfgang Renner und José Hermida, der im Jahr 2010 für das Team den WM-Titel holte ©Archiv Renner

Waren diese Umstände auch der Grund warum Ende 2016 das Team nicht mehr weiter geführt wurde?

Es war ein Mix aus einigen Dingen. Es gab keine Sportler, die in diese Fußstapfen treten konnten. Die Erfolge waren so groß, dass sie nicht mehr zu steigern waren. Die Importeure waren verwöhnt, Podium war Minimum, aber du kannst Sportler nicht schnitzen. Irgendwann gab es auch einen Knick im Absatz von Mountainbikes und aus Taiwan kam die Forderung ein Straßenteam zu sponsern. Als José sagte, er würde seine Karriere beenden, war klar, dass wir aufhören.

Mit der Marke Centurion sind Sie im Sport ja noch vertreten

Das hat Bedeutung gehabt und wir hatten tolle Erfolge. Viele Transalp-Siege. Ohne die gebrochene Kettenstrebe bei Jochen Käß hätte es (mit Markus Kaufmann) vielleicht sogar einen Cape-Epic-Sieg gegeben. Das tut mir heute noch weh.

Sie waren mit Merida auch beim Weltcup in Albstadt präsent. Was hat der Event im Bullentäle für Sie für eine Bedeutung?

Das ist eine tolle Veranstaltung, tolle Zuschauer. Es war einer der Events, den du promoten konntest. Da konnte man Händler einladen, einfach mehr draus machen. Ich finde es super schade, dass jetzt die WM den Bach runter gegangen ist wegen der Corona-Geschichte.

Waren Sie bei allen sieben Albstadt-Weltcups?

Ja, bei allen.

Sie sind ja jemand, das kann man in verschiedenen Artikeln nachlesen, der nicht das Rampenlicht sucht.

Ich war auch in Albstadt und habe mein Zeug bezahlt (lacht). Obwohl ich eingeladen war. Die wussten gar nicht, dass ich da bin.

Ist es Ihnen lieber, wenn Sie quasi undercover den Sport genießen können?

Ich stelle gerne meine Mitarbeiter in den Vordergrund.

Ihre Fahrer haben jedenfalls immer mit einem riesigen Respekt von Ihnen geredet.

Da kommt vielleicht noch dazu, dass ich bis vor ein paar Jahren noch sehr gut Rad gefahren bin. Wenn wir Tests gemacht haben, war ich irgendwann fast gleich schnell wie die Jungs.

Wie oft sitzen Sie heute noch auf dem Rad?

Ich fahre fast immer Mountainbike, Rennrad selten. Immer Samstag und Sonntag. Bis vier Stunden, kreuz und quer. Manchmal weiß ich gar nicht mehr wo ich bin (lacht). Übers Feld und durch den Wald, das ist herrlich. Die Landschaft, die Wolken, zur Zeit der Raps, da sind alle Sinne beteiligt. Hören, Sehen, Riechen, alles ist dabei.

 

Kurzporträt: Wolfgang Renner

Alter: 72

Heimatort: Magstadt

Sportliche Erfolge: Zweifacher Deutscher Meister im Zweier-Kunstradfahren mit seinem Zwillingsbruder Jürgen, dreifacher Deutscher Meister im Cyclo-Cross (1970-1972).

Wegmarken und Pionier-Leistungen:

BMX-Räder nach Deutschland gebracht

Erstes Mountainbike auf dem deutschen Markt: Centurion Country

Erster Alpen-Cross mit dem Mountainbike gemeinsam mit Andi Heckmaier

Mit-Gründung der Zeitschrift TOUR

Initiator der ersten (inoffiziellen) Deutschen Cross-Country-Meisterschaft in Münsingen 1990

Offenlegung: Der Autor hat den Text für die Medienarbeit der inzwischen abgesagten WM 2020 in Albstadt erstellt.

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