Andreas Seewald: Vom Slalomfahrer zum Kletterkünstler
Der WM-Achte und eine Erfolgsspur mit Brüchen
2018 war er bei der Marathon-WM in Auronzo di Cadore als Achter bester Deutscher, den Schweizer Klassiker Grand Raid hat er gewonnen, genauso wie den Ultra Bike in Kirchzarten und doch segelt Andreas Seewald in der Mountainbike-Szene im Vergleich zu anderen Bikern von ähnlichem Kaliber, etwas unter dem Radar. Zeit sich dem 27-jährigen Lenggrieser ,der auch als Bergläufer und Skitouren-Wettkämpfer von sich reden gemacht hat, in einem Gespräch etwas anzunähern.
Aus Lenggries kommen alpine Skirennläufer wie Olympiasiegerin Hilde Gerg oder Weltmeisterin Martina Ertl und viele mehr. Wer in der 10000-Einwohner-Gemeinde in Oberbayern aufwächst, der wird fast automatisch mit dem alpinen Skirennsport konfrontiert. Auch Andreas Seewald. „Der Klassiker“ sagt er.
Beim SC Gaißach kurvte er im Winter um die Slalomstangen, im Sommertraining wurde gelaufen – und Mountainbike gefahren. Also ein Stück weit die Grundlage dafür gelegt, was danach kam.
Ja, bestätigt Seewald, bei Ausdauertests der Skirennläufer sei er immer einer der Besten gewesen. Im Vergleich auf der Skipiste lief es dagegen nicht immer optimal. Nachdem er mit 16 den Sprung in den Verbands-Kader nicht schaffte, hörte er mit dem alpinen Skirennsport auf. Neben der Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik betätigte er sich sportlich vor allem mit Bergsteigen und Klettern.
Ein, zwei Jahre sei das nur „Ausflugsport“ gewesen, wie er das selber nennt. Was der Impuls dahin war? „Gute Frage“, runzelt Andreas Seewald die Stirn, „ich glaube, es fing damit an, dass ich das Radfahren mit einer Bergtour verbunden habe. Dann hab ich einfach nur Radtouren gemacht.“Mit 17 hatte er sein erstes eigenes Mountainbike und begann regelmäßig größere Runden zu fahren.
2011 heftete er sich dann beim Tegernsee-Marathon erstmals eine Startnummer an den Lenker, ging auf die Langdistanz und gewann die U23-Wertung. Damit war für ihn selbst auch klar: je länger, desto besser.
„Das Lange hat mich immer gereizt“
„Ich war immer total dünn“, sagt Andi Seewald. Was im alpinen Skirennsport nicht so günstig ist, kommt ihm beim Bergauf-Fahren (und –Laufen) entgegen. „Ich war eben immer eher der Ausdauer-Typ. Daher kam auch die Idee gleich die Langstrecke zu probieren. Aber es ist für mich auch vom Kopf her reizvoll.“
Deshalb ging er zwei Jahre später bei der Salzkammergut-Trophy auch gleich über die Langdistanz von 211 Kilometer. „Da hatte ich eine Menge Defekte und bin ziemlich kaputt gegangen, aber das Lange hat mich von Anfang an gereizt“, erklärt Seewald, der das Rennen 2015 und 2016 gewinnen konnte.
Erst 2014 löste er eine Lizenz, warum, darüber ist er sich nicht mehr ganz sicher. „Ich glaube, es ging darum, dass man bei den großen Rennen als Lizenzfahrer immer im ersten Block steht“, schätzt Seewald, der damals für den Lenggrieser Fahrradladen Radl Rasti in die Rennen ging.
Mit der Lizenz seien dann auch „die ersten gescheiten Ergebnisse“ gekommen. Zum Beispiel ein 15. Platz beim Val di Fassa-Marathon in Italien, einem Rennen der UCI Marathon Serie. Das bedeutete dann auch die Qualifikation für die WM. „Da habe ich mir ziemlich was drauf eingebildet“, sagt Seewald und lacht.
Bei der WM im Grödnertal (Sella Ronda) wurde er bei der WM als viertbester Deutscher 16. und spätestens da wurde man in der Szene aufmerksam. Bei Centurion-Vaude hatte man das Talent des Quereinsteigers schon vorher erkannt. Allerdings kam er nur im damaligen „B-Team“ unter und bekam nicht so viele Einsätze bei großen Rennen.
Berglauf: Vom Trainings-Modul zur WM
Daraus resultierte wiederum, dass Seewald seine Berglauf-Aktivitäten intensivierte. Bergläufe waren Trainingsalternative, man könnte auch sagen Trainingsnotwendigkeit. Denn am Abend war es im Winterhalbjahr immer schon dunkel, wenn er von der Arbeit heimkam. Um nicht in der Nacht Rad zu fahren, wurden die Berge vor der eigenen Haustür, der Geierstein und das Brauneck per Pedes erobert. „40 Minuten Vollgas Berg hoch“, sagt Seewald.
Mittlerweile wurden seine Trainingspläne auch schon von Björn Kafka geschrieben, der damals auch Markus Kaufmann und heute z.B. Sascha Weber, Alban Lakata, Martin Gluth und Karl Platt unter seinen Fittichen hat.
Was man im Training übt, kann man ja auch als Wettkampf machen. Beim Karwendel-Berglauf wurde er 2016 prompt Dritter und gleich angesprochen, ob er sich nicht als Kandidat für die Berglauf-Nationalmannschaft sehen würde. Nun ja, warum nicht. Als Vierter der DM ging es zur WM nach Bulgarien, die er als 21. abschloss.
2017 allerdings durchkreuzte dann eine Knie-OP („eine alte Verletzung vom Skifahren“) diese Aktivitäten. Seither ist es mehr Skitouren-Training geworden und auch das wurde zum Wettkampf-Sport. Bei der DM in der Disziplin “Vertical”, also nur bergauf, holte er sich die Bronze-Medaille.
Berglauf schließt er für die Zukunft nicht aus, aber dann nur noch die Berghoch-Variante.
„Ein ziemlicher Exot“
Seewalds Sportler-Biographie ist von gewissen Brüchen geprägt. Als ob eine Treppe, die nach oben führt, plötzlich zu Ende ist, er aber quasi daneben gleich wieder einen anderen Tritt findet, der ihn auf die nächste Stufe bringt.
Irgendwie wandelt er mit dieser kurvenreichen Geschichte ein wenig am Rand der Mountainbike-Szene. Kein Sonderling, aber eben jemand. der nicht stromlinienförmig seine Karriere bestritten hat, einer der auf anderen Wegen zum Ziel kommt.
Immerhin, seit 2017, als er beim Kreidler Werksteam anheuerte, konnte er sein Arbeitspensum reduzieren. Was prompt einen positiven Effekt hatte.
Hätte sich das Team am Ende genau diesen Jahres nicht aufgelöst, wäre der Anpassungsprozess ans Lager der Mountainbiker eventuell schneller gegangen. So landete er beim Team Rocklube und setzte seinen Trend fort.
Das von Julian Philipp geführte Team mit Dominik Schwaiger, Martin Seewald und Tim Weismantel (Neuzugang von Texpa-Simplon) ist rund um München verstreut und versucht ein gutes Setup zusammen zu bekommen. Manchmal trifft man sich zum Training, aber große Sprünge sind nicht zu machen. Bei der WM in Auronzo di Cadore hat ihn Ex-Kreidler-Teamkollege Markus Bauer betreut.
„Ich wollte auf jeden Fall weiter machen, aber wenn es was werden soll, das wusste ich, muss ich mehr investieren“, erklärt Seewald im Blick auf seine Berufstätigkeit. Zum Beispiel in Zeit für Technik-Training in Bikeparks, in Zeit für die Regeneration. Oder Trainingslager. „In dem Status, in dem ich mich rumschlage, da bin ich ein ziemlicher Exot“, weiß er.
Mit 27 noch nicht am Ende
Im Juni beginnt er einen neuen (Teilzeit-)Job. Und die Leistungskurve soll weiter nach oben gehen. „Ich hoffe schon, dass es noch nach oben geht. Mein Hauptziel ist die WM, die Strecke dort sollte mir liegen und im Herbst habe ich generell meine besten Ergebnisse“, skizziert Seewald seine Erwartungen. Im besten Fall könne er „ein richtig gutes Ergebnis“ erzielen und damit dem Team die Tür für Sponsoren zu eröffnen. Daran, dass er bei einem großen Marathon-Team einen Vertrag bekommt, glaubt Seewald nicht so richtig. Sich noch mehr auf den Sport zu konzentrieren, würde einen echten Profi-Vertrag erfordern.
„Da mache ich mir keine großen Hoffnungen. Es geht jetzt primär darum einfach meine Ergebnisse zu machen. Berufsradfahrer, ich weiß nicht. Wenn du Weltmeister bist, vielleicht bei einem ausländischen Team“, räsoniert Seewald. „Aber ich weiß gar nicht, ob ich das wollen würde.“
Kreidler, ja, da wäre „richtig was dahinter“ gewesen, da hätte er sich das vorstellen können. Aber sich auf eine Team-Struktur zu verlassen, kann auch heißen, verlassen zu werden. Da wäre ihm „was eigenes“ dann schon lieber.
Abseits dieser Überlegungen, lässt der Oberbayer aber keinen Zweifel daran, dass er mit seinen 27 Jahren noch nicht am Ende ist. „Ich will wissen, wie weit es geht. Ich habe jedes Jahr mehr gemacht und auf viel verzichtet. Wenn man einem Nationalkader angehört, wird einem viel abgenommen. Ich mache alles selbst, mit viel Liebe zum Detail und mache da auch Fortschritte.“
In der Saison 2019 geht sein Team mit Specialized-Bikes an den Start. Das Arbeitsgerät dürfte also kein Hindernis sein.