Deutscher Vizemeister Ben Zwiehoff wechselt auf die Straße

Der Cross-Country- und Marathon-Fahrer aus dem Ruhrgebiet tauscht das Mountainbike gegen das Straßenrad und unterschreibt einen Profi-Vertrag bei Bora – hansgrohe

Es ist ein herber Rückschlag für die deutsche Cross-Country-Szene: Ben Zwiehoff (Centurion-Vaude), als amtierender Deutscher Vizemeister einer der renommiertesten deutschen Mountainbiker, hängt das Mountainbike an den Nagel, um als Bergspezialist zum Straßen-Profiteam Bora – hansgrohe zu wechseln.

Ben Zwiehoff (Centurion Vaude) © Armin M. Küstenbrück
Ben Zwiehoff (Centurion Vaude)
© Armin M. Küstenbrück

Irgendwie gelang es Ben Zwiehoff nie, das „große Ding abzuschießen“, wie es Lado Fumic einst formulierte. Der „Deutscher Vizemeister“, den er sich 2019 hinter Max Brandl (Lexware) in Wombach verdiente, ist wohl der höchste offizielle Titel, den der Jura-Student (Fernuni Hagen) in seiner langen MTB-Karriere errang. Dabei war er seit Juniorenzeiten in Deutschland immer ganz vorne mit dabei: Zwiehoff holte als Junior Bronze 2012 bei der Deutschen Meisterschaft in Bad Säckingen (hinter Lukas Baum und Georg Egger), 2018 ebenfalls Bronze in der Eliteklasse in St. Ingbert (hinter Manuel Fumic und Georg Egger) und zuletzt 2019 Silber in Wombach. International waren es vor allem die europäischen Staffelwettbewerbe, bei denen Zwiehoff Medaillen sammeln konnte: 2014 wird er in St. Wendel als U23-Fahrer in der Staffel Vize-Europameister, ebenso 2016. 2015 holt er sogar Gold zusammen mit Manuel Fumic, Max Brandl und Helen Grobert im italienischen Chies d’Alpago. 2017 und 2019 verpassen die Deutschen und damit auch Ben Zwiehoff, mittlerweile Elite-Fahrer, knapp das Podium und werden jeweils Vierte. 2016 ist international wohl das erfolgreichste Jahr für den Ruhrpott-Biker: bei der Europameisterschaft wird er im schwedischen Huskvarna in der U23-Klasse Vierter, bei der Weltmeisterschaft im tschechischen Nove Mesto na Morave Siebter. 2019, bei der Europameisterschaft im tschechischen Brünn, wird Zwiehoff 13. in der Eliteklasse und erreicht damit die deutsche Norm für die Olympischen Spiele in Tokio 2020. Genauso lang wie die Liste seiner Erfolge ist allerdings wohl auch die Liste seiner Stürze und technischen Defekte, die oftmals Toppplatzierungen verhinderten.

Ben Zwiehoff
Ben Zwiehoff
© Armin M. Küstenbrück
© Armin M. Küstenbrück

Viertbester Deutscher in der Weltrangliste
Aktuell belegt Ben Zwiehoff in der UCI Weltrangliste als viertbester Deutscher hinter Manuel Fumic (22.), Max Brandl (24.) und Georg Egger (35.) den 41. Platz.

An den Olympischen Spielen in Tokio – auch wenn sie 2021 tatsächlich stattfinden sollten – wird Zwiehoff wohl nicht als Mountainbiker teilnehmen. Er wechselt zum 01. Januar 2021 zu 100 Prozent auf die Straße. Vielleicht – aber das ist nur eine Vermutung des Autors – könnte er auch im olympischen Mountainbike-Rennen starten, wenn er für das Straßenrennen am Mount Fuji nominiert wird. Denn dort werden auf jeden Fall Bergfahrer gesucht! Aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt Kaffeesatzleserei.

„Mein bisheriges Karriereziel als Mountainbiker war immer die Teilnahme an den Olympischen Spielen“, wird Zwiehoff in der Pressemitteilung seines neuen Teams zitiert. „Doch ich habe irgendwann realisiert, dass ich mit meinem Klettertalent auf der Straße vielleicht mehr erreichen kann. Deswegen bin ich unheimlich dankbar für die Chance, die mir das Team Bora – hansgrohe gibt.“

Schon mal mittrainiert: Ben Zwiehoff im Dezember 2019 auf Mallorca © Alfons Benz / EGO-Promotion
Schon mal mittrainiert: Ben Zwiehoff im Dezember 2019 auf Mallorca
© Alfons Benz / EGO-Promotion

Erste Kontakte zu Bora – hansgrohe schon im Dezember
Erste Kontakte mit dem Straßenteam hatte Zwiehoff bereits vor knapp einem Jahr auf der Radsportinsel Mallorca. „Jetzt kann ich es kaum erwarten, von der Erfahrung des Teams zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Ich bin hoch motiviert, im Gebirge als Helfer zu den Erfolgen des Teams beitragen zu können. Die Tour de France als größtes Radrennen der Welt war schon immer ein Traum von mir, mal sehen, ob ich es schaffe, da einmal dabei zu sein.“

Bei Team-Manager Ralph Denk ist er dabei wohl in besten Händen. Denk selbst hatte Anfang diesen Jahrtausends nach Ende seiner eigenen Straßenrennsport-Karriere ein erfolgreiches Mountainbike-Team, das Ralph Denk Racing Team, bei dem unter anderem Carsten Bresser unter Vertrag stand, als er 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen teilnahm. Nachdem das T-Mobile Mountainbike-Team 2004 aufgelöst worden war, nahm Denk  ab 2005 den Niederländer Bart Brentjens und die beiden Deutschen Jochen Käß und Stefan Sahm unter Vertrag, jetzt unter dem Namen von Hauptsponsor Giant. Man kann also durchaus sagen: Ralph Denk hat auch ein Auge für Mountainbiker. Mit dem slowakischen Sprintstar Peter Sagan, Gewinner des Grünen Trikots bei der Tour de France 2018 und 2019, hat er immerhin den Junioren- Europa- und Weltmeister 2008 auf dem Mountainbike in sein Reihen. Im selben Jahr wurde Ben Zwiehoff Landesmeister in Nordrhein-Westphalen – in der U15-Klasse.

Ralph Denk: „Wir sehen enorme Möglichkeiten“
„Ben ist seit Jahren Teil der deutschen MTB Nationalmannschaft. Er feierte dort immer wieder Erfolge, aber es fehlt ihm vielleicht ein wenig an Explosivität“, sieht Ralph Denk auch die Schwächen von Zwiehoff, der vor allem als leichter Bergfahrer die Truppe um Peter Sagan verstärken soll. „Auf der Straße, besonders in den Bergen, sehen wir da enorme Möglichkeiten. Ich habe immer gesagt, dass wir uns auch in anderen Disziplinen und Sportarten nach Talenten umsehen. Nun freuen wir uns mit Ben so einen Athleten auf seinem Weg zu begleiten.“

Deutsche Meisterschaft 2012 in Wombach: Junioren: 1. Lukas Baum 2. Georg Egger 3. Ben Zwiehoff © Armin M. Küstenbrück © Armin M. Küstenbrück
Deutsche Meisterschaft 2012 in Wombach:
Junioren:
1. Lukas Baum
2. Georg Egger
3. Ben Zwiehoff
© Armin M. Küstenbrück

Doch noch ist die Mountainbike-Saison 2020 nicht vorbei, im Gegenteil: dank Corona ist sie länger denn je. Derzeit bereit sich Zwiehoff auf die Marathon-DM im Odenwald in knapp zwei Wochen vor. Allerdings sind seine Hoffnungen etwas getrübt. Bei seinem Sturz beim Swiss Epic vor wenigen Wochen zog er sich eine Verletzung am Schleimbeutel im Knie zu, die genäht werden musste und noch nicht zu 100 Prozent ausgeheilt ist. Vor allem davon hängt nun ab, wie die restliche Mountainbike-Saison und damit zumindest vorläufig die vielleicht restliche Mountainbike-Karriere von Ben Zwiehoff aussieht, dr offiziell bis Jahresende noch beim oberschwäbischen Team Centurion-Vaude unter Vertrag steht.

Zwiehoff in einer Reihe mit Sagan, Fuglsang, Kessiakoff – und vielleicht van der Poel?
Ben Zwiehoff ist natürlich nicht der erste Mountainbiker, der auf die Straße wechselt. Neben dem schon erwähnten Peter Sagan ist es aktuell der erfolgreiche Däne Jakob Fuglsang vom Team Astana, der seine Wurzeln auf dem Geländefahrrad hat. 2007 wurde Fuglsang Cross-Country-Weltmeister in der U23-Klasse in Fort William / GBR, ehe er auf die Straße wechselte. 2016 holte er Silber bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auf der Straße, 2019 gewann er den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich und in diesem Jahr die Andalusien- und die Lombardei-Rundfahrt. Sein ehemaliger Team-Kollege bei Siemens-Cannondale, der Schwede Fredrik Kessiakoff, Dritter in der Elite-Klasse bei den Cross-Country-Weltmeisterschaften 2006 in Rotorua auf Neuseeland, war auf der Straße etwas weniger erfolgreich und hängte seine Karriere 2014 an den Nagel. Bis dahin hatte er an acht Tagen das gepunktete Trikot des besten Kletterers bei der Tour de France 2012 getragen und diverse Zeitfahren für sich entscheiden. Seit 2020 ist Kessiakoff allerdings wieder zurück im Mountainbike-Business: als Nationaltrainer von Schweden. Und Mathieu van er Poel ist ohnehin sowohl im Cyclo-Cross als auch auf der Straße als auch im Mountainbike zuhause – und das sogar fast gleichzeitig!

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