Eine Sympathieträgerin sagt „Adjö“

Das Team Ghost Factory Racing hat in einer Presse-Mitteilung zum Jahresende den Abschied von Alexandra Engen angekündigt. Und zwar in doppelter Hinsicht. Die Schwedin, die sich in ihrer Karriere insgesamt dreimal ein Regenbogen-Trikot überstreifen durfte, wird zu keinem anderen Team wechseln, sondern ihre Laufbahn als Leistungssportlerin beenden. Per Video-Botschaft sagt sie Auf Wiedersehen.

 

Knapp 30 Jahre, das ist eigentlich kein Alter, in dem Mountainbikerinnen ihr Rennsport-Gerät an den berühmten Nagel hängen. Doch bei Alexandra Engen musste man seit ein paar Jahren mit dem schwedischen Wort für „Auf Wiedersehen“ rechnen. Jetzt sagt sie tatsächlich „Adjö“.

„Es ist die richtige Entscheidung und ich bin damit zufrieden“, lässt sie gegenüber acrossthecountry.net wissen.

Mit ihr wird eine Persönlichkeit aus der Cross-Country-Szene verschwinden, die mit ihrem Wesen viele Spuren hinterlassen hat. Viele Konkurrentinnen können Geschichten erzählen. Von ihrer positiven Einstellung, ihrer Hilfsbereitschaft, ihrer Fairness, auch von ihrer offenen, ehrlichen Haltung. Eine echte Sympathieträgerin.

Jenny Rissveds nach Deutschland gelotst

Ehrgeizig und kämpferisch, auch durchsetzungsfähig, wie es auf Top-Niveau fast zwingend ist, hat sie ihre Wettkämpfe gefahren. Siege und Erfolge wollte sie aber nie um jeden Preis. Von Fairplay weiß sie nicht nur, wie man es schreibt, sondern auch, wie man es praktiziert.

Einmal, zum Beispiel, auf Zypern, fuhr Tereza Hurikova in Führung liegend unweit des Ziels eine extra Runde, so dass Alexandra Engen als Erste die Linie passierte. Die Schwedin befand, dass Hurikova die verdiente Siegerin wäre und sorgte dafür, dass die Tschechin vor ihr auf Position eins gesetzt wurde.

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Unterstützung für die spätere Olympiasiegerin. Jenny Rissveds mit Alexandra Engen auf dem Podium ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Alexandra Engen denkt immer über das eigene Ich hinaus. Sie war es die 2011 Jenny Rissveds mit nach Deutschland lotste, damit die damalige Juniorin als Gastfahrerin bei Rothaus Poison-Bikes gegen die mitteleuropäische Konkurrenz Rennen fahren konnte. 2016 wurde ihre Landsfrau in Rio Olympiasiegerin.

Engens ansteckende Fröhlichkeit und ihre Bereitschaft, sich im Sinne des sozialen Miteinanders mit der ihr eigenen Gradlinigkeit einzusetzen, waren eine Bereicherung für ihr jeweiliges Team und darüber hinaus.

Mag sein, dass diese Sensibilität, ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft auf einer anderen Seite des Mensch-Seins zum Handicap wurden.

Alexandra Engen registrierte Ende 2013 erstmals eine gewisse „körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung“. Die Ergebnislisten im Frühjahr 2014 machten erst mal Glauben, dass sie im Winter genügend Kraft getankt hatte. Sie konnte Platz fünf beim Weltcup in Pietermaritzburg, sowie Sprint-Siege in Cairns und Nove Mesto feiern. Doch im Sommer holten sie die Symptome wieder ein und sie beschloss eine Pause einzulegen.

2015 kein Weltcup-Rennen

Danach versuchte sie sich, mit geduldiger Unterstützung des Teams Ghost Factory Racing, aus dieser mentalen Erschöpfung, Depression oder Burnout, wie sie es im Video selber nennt, behutsam wieder an die vorige Leistungsfähigkeit heranzutasten. „Ich bin so dankbar, dass ich die Unterstützung bekam, ich denke, es sagt viel über Ghost“, betont Engen. 2015 fuhr sie kein Weltcup-Rennen, 2016 verbuchte sie einen 20. Platz in Cairns, 2017 dann einen 13. Platz in Nove Mesto.

Die Woche danach, in Albstadt musste sie dann aber krank verzichten. Beim Finale im Val di Sole wurde sie 16. und insgesamt verbuchte sie sechs Saisonsiege bei kleineren Rennen in Skandinavien. Insgesamt war eine Aufwärtstendenz zu erkennen, aber immer wieder gab es auch Rückschläge.

Sie habe nicht das Gefühl, dass sie wieder diese hundert Prozent leisten können, die sie selbst von sich erwartet. Und natürlich auch ein Profi-Team. Und hundert Prozent, weniger gibt es nicht für Alexandra Engen. Sie müsse lernen, „behutsam“ (gentle) mit sich zu sein. Mit diesem Anspruch an 100 Prozent konnte man sie im Team auch sehr fordernd wahrnehmen.

Thomas Wickles, Team-Manager der Equipe, offenbart  auf Facebook: „Wir haben es uns gegenseitig nicht immer ganz einfach gemacht und trotzdem so viel zusammen erreicht. Danke dir dafür und alles was wir gemeinsam erfahren durften, es war mir eine Ehre.“ Das Team respektiere ihre Entscheidung.

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3x Weltmeisterin: Alexandra Engen ©Maasewerd

Alexandra Engen fuhr seit der Saison 2012 bei Ghost Factory Racing. Schon zuvor stand sie zwei Jahre beim Team Rothaus (zuerst Cube, dann Poison-Bikes) in Deutschland unter Vertrag und lebte ein paar Jahre in Freiburg.

Zahlreiche Siege fuhr Alexandra Engen für ihre deutschen Teams ein. Darunter einge Bundesliga-Siege und U23-Weltmeister-Titel 2010 für Rothaus-Cube. 2012 wurde sie zur ersten Eliminator-Weltmeisterin der Geschichte, 2013 verteidigte sie ihren Titel.

Doch auch im Cross-Country wurde immer stärker. 2012 wurde sie Sechste bei den Olympischen Spielen in London, 2013 eroberte sie als Fünfte in Albstadt erstmals das Weltcup-Podium und 2014 wiederholte sie jenes Resultat in Pietermaritzburg (siehe oben).

 

 

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