Elisabeth Brandau zwischen Karriere-Stopp und Super-Saison

Interview: Im Tunnel macht Rad fahren erst richtig Spaß

Sie hat eine famoses Jahr (fast) hinter sich gebracht, ist nach der Geburt ihres zweiten Kindes in der Weltrangliste von 482 auf acht nach vorne gestürmt und hat zwei Deutsche Meister-Titel geholt. Doch wenn Elisabeth Brandau im ausführlichen Gespräch das Jahr Revue passieren lässt, wird rasch klar: sie wandelte an etlichen Klippen entlang und dass es die Rennfahrerin Brandau noch gibt, stand mehrfach auf der Kippe. Eine bemerkenswerte Geschichte über den Schlüssel zum Erfolg, ein Zelt aus dem Supermarkt, von Rippen- und Umbrüchen und warum die 32-Jährige trotz entsprechender Angebote auch 2019 nicht in einem Profi-Team fahren wird.

 

Ein kleines Café in Freiburg, unweit des Radlabors, wo die MTB-Nationalmannschaft in diesen Tagen im November die alljährliche Kick-Off-Leistungsdiagnostik absolviert. Snack und Kaffee stehen gerade erst auf dem Tisch, die erste Frage ist noch gar nicht gestellt, da steigt Elisabeth Brandau schon mit einem Kern-Satz ins Interview ein:

„Ich mach das, weil ich Spaß daran habe und Radfahren meine Leidenschaft ist, ich mach das nicht, weil ich Profi sein will.“

In der Verabredung für das Treffen hat die Schönaicherin schon kund getan, dass sie weiter selbstorganisiert in den Farben ihres eigenen Teams EBE-Racing fahren will, in dem außer ihr keine weiteren Leistungssportler unterwegs sind. Und damit die Angebote von Teams abgesagt hat.

Sie weiß natürlich, das ist aktuell die zentrale Frage. Man war gespannt, wo sie ihre Karriere fortsetzen wollte. Denn nachdem sie quasi solo und mit Low-Budget als Achte der Weltrangliste in die Weltspitze vorgedrungen ist, war das „der logische Schritt“, wie sie selber anmerkt.

Den sie auch beinahe getan hätte, nachdem sie begonnen hatte diese Angebote zu sortieren. Und vor allem die Zeit hatte, sich Gedanken zu machen und diese atemberaubende Saison wirken zu lassen.

Es dauerte lange, doch irgendwann registrierte Elisabeth Brandau bei diesem Nachdenken, dass für ihre Persönlichkeit diese (scheinbare) Logik nicht greift. Nach diesem Einstiegssatz beginnt sie zu erläutern, was da so alles dran hängt.

„Das ist auch ein Grund, warum ich bei Primaflor Mondraker abgesagt habe, obwohl sie mir 2018 mit Material sehr geholfen haben und mir in Zukunft mit meiner familiären Situation entgegen gekommen wären.“

 

In ein Profi-Team zu wechseln wäre doch gewissermaßen die Logik des Leistungssports?
Ja. Meine Partner haben mich aber so lange unterstützt und jetzt fahre ich gut. Die Motivation, die ich durch die jahrelange Unterstützung hatte, will ich ihnen auch zurückgeben. Das ist im Sport vielleicht untypisch, aber die Hobby-Fahrer in meinem Team haben mich motiviert nach der zweiten Schwangerschaft überhaupt zurück zu kommen. Sie haben mich mitgenommen zum 24-Stunden-Rennen, bei dem ich wieder Renn-Luft geschnuppert habe. Die haben mich bei Laune gehalten.

Du verzichtest deshalb auf die besseren Bedingungen, die dir ein Profi-Team bieten würde?
Schon zu Straßenzeiten habe ich lange Zeit gebraucht, um mich mit Leuten wohl zu fühlen. Das ist bei mir so. Ich muss mich einer Situation erst mal mental anpassen. Auch wenn ich kurzfristig zu den Rennen fahre, ist es für mich ganz schwer die Energie zu halten. Besonders bei wichtigen Rennen, in denen Druck da ist. So wie an der EM in Glasgow. Wenn ich da quasi über Nacht hin geh’ und nur kurz die Strecke angucke, das geht für mich im Kopf schlecht. Die Anreise war für mich einfach zu kurzfristig. Ich brauche Zeit, um mich zu akklimatisieren, mich zurecht zu finden. Aber ich muss das natürlich auch lernen, weil es bei Olympia vermutlich auch nicht anders ist.

Und das wolltest du nicht in einer Team-Struktur?
Weil ich weiß, dass ich da länger brauche, dachte ich mir: die Saison war mega geil, mein zweites Comeback. Aber ich muss das jetzt noch mal machen, ich muss das Niveau halten. Das ist eine Herausforderung, die groß genug ist. In einem Team zu fahren, wäre für mich eine zweite Herausforderung. Ich habe mir gesagt: ich brauche das nicht die nächsten zwei Jahre. Wenn ich dann weiter fahre, kann ich es mir schon vorstellen. Aber jetzt sehe mich da noch nicht. Ich habe die Aufgabe mein Niveau zu halten, da habe ich Respekt vor.

Das war dir aber erst mal nicht klar, als du die Angebote sondiert hast?
Das habe ich erst vor kurzem realisiert. Ich konnte das im September noch nicht fassen, auch nicht was ich dieses Jahr geleistet habe. Das hat Zeit gebraucht. Und mit der Zeit kam auch die Frage: kann ich das noch mal?
Und wie? Was brauche ich dazu? Für mich ist es wichtig, ein gewohntes Umfeld zu haben. Mir langt es schon, wenn ich mich zweimal im Jahr auf die Nationalmannschaft einstellen muss. Da macht es für mich mehr Sinn mich öfter mit dem BDR unterwegs zu sein, damit ich bei den wichtigen Rennen auf ein gewohntes Umfeld treffe und in dem dann alles eingespielt ist. Hätte ich ein Angebot angenommen, wäre es so gewesen, dass ich die Weltcups mit einem Profi-Team, die kleinen Rennen mit meinem Mann Marco und die Meisterschaften mit dem BDR machen muss. Das war mir eine Baustelle zu viel. So fiel die Entscheidung gegen das Profi-Team.

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Unterstützung von Ehemann Marco (rechts): Elisabeth Brandau ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Ist das Budget 2019 dann wieder so auf Kante gestrickt?
Es sieht besser aus. Meine bisherigen Sponsoren haben mir gesagt, sie würden das begrüßen, wenn ich in meinem Team weiter fahre und jeder hat noch ein bisschen was drauf gelegt. Tune war voll dahinter, auch Pedalo hat gesagt, sie würden gerne mit mir weiter machen. Vittoria, die Firma Narr aus Balingen, Poc ebenso. Dann war ich nicht mehr weit entfernt von dem, was ich bei einem Profi-Team habe. Okay, die Reisekosten natürlich nicht, aber wir haben ja den Camper. Klar, ich gehe ein Risiko ein, aber wenn du selbstständig bist ist das halt so.

Und der Bike-Sponsor?
Sagen wir mal so: es ist noch offen, da ich natürlich auch die finanzielle Seite berücksichtigen muss.
Aus dem März stammt eine Anekdote, die illustriert, wie unprätentiös und im positiven Sinne hemdsärmelig Elisabeth Brandau die Saison 2018 angegangen ist. Da war das HC dotierte Rennen im spanischen Banyoles, nahe Barcelona. Sie brauchte Punkte, hatte aber kein Geld.

„Ich kann aber nicht in ein Rennen gehen und denken, ich muss gewinnen, damit ich das Geld fürs Hotel habe. Ich habe mir dann gesagt, ich mach das halt mit Minimal-Aufwand – ich hätte mich nie in den Top-Fünf gesehen – und wenn es nicht ideal läuft, dann hätte ich das Zelt und den Flug verhauen. Ich hatte das Glück, dass Niclas Ranker, einer aus meinem Team dort zum Trainieren war und ich mit dem im Auto zum Rennen fahren konnte. Deshalb habe ich gesagt, okay, dann kann ich das machen. Ich dachte, wenn die keinen Platz haben, dann penne ich halt am Strand. Und so war es dann auch. Keine zehn Kilometer entfernt war so ein Carrefour-Supermarkt. Da gab es dann ein Zelt im Angebot für 15 Euro und einen Schlafsack hatte ich dabei.

Ich habe mich an den Strand gelegt, von Niclas Rankers Familie habe ich noch eine Hundedecke bekommen, die ich unten drunter gelegt habe, damit die Kälte nicht so hoch steigt. Jo, und das war’s. Im Campingplatz habe ich dann geduscht, das war so halb legal (lacht).

Elisabeth Brandau hat das Rennen gewonnen

Ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Catharine Pendrel (Olympia-Bronzemedaillengewinnerin und 2-fache Weltmeisterin) war da, aber ich bin halt gefahren. Das war der Vorteil, ich wusste vorher nicht wer meine Gegnerinnen sind. Sonst hätte ich mich wieder verglichen und Erwartungen gehabt. Das versuche ich auch den jüngeren Sportlern mitzugeben. Dass es auch auf andere Dinge ankommt wie nur Watt-Leistung. Ich habe natürlich auch gehofft, dass mein Leistungstest jetzt besser ist als letztes Jahr. Ist er aber nicht, eher schlechter (lacht).

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13. beim Weltcup in Südafrika ©Sebastian Sternemann/EGO-Promotion

Blenden wir mal zurück zum Anfang der Saison. Oder eigentlich in die Cross-Saison, die du nach der Geburt deines zweiten Kinds in Angriff genommen hast. Du bist locker, ohne große Erwartungen da rein..
…mit gar keinen. Das ist das, wovor ich 2019 am meisten Angst habe (weil jetzt Erwartungen da sind)

War das tatsächlich der alleinige Schlüssel dafür, dass du so erfolgreich warst?
Hmm. Ich habe mir nicht den Druck gemacht mit Olympia, sagen wir mal so. Ich wollte ein Jahr gucken, ob ich überhaupt wieder zurückkomme. Alle haben gesagt, mit zwei Kindern und so, das geht nicht. Wenn ich zurückschaue, 2016, immer wenn es darauf ankam, habe ich verkackt. Auch die Deutsche Meisterschaft im Cross-Country dieses Jahr war extrem hart. Das war (als Favoritin) nicht einfach. Hätte ich mir keinen Druck gemacht, wäre es lockerer gegangen. Ich war extrem verkrampft. Ich glaube, das macht viel bei mir aus. Ich muss jetzt einfach.., nein, ich muss es ja gar nicht. Es ist ja mein eigener Wille. Ich dachte immer, ich muss es mir noch mal beweisen, auch das mit Olympia.

Denkst du das jetzt immer noch?
Nee, eigentlich ist es mir völlig egal, auch wenn das der Bundestrainer vielleicht nicht hören will (schmunzelt). Ich habe gemerkt, dass ich Spaß am Rad fahren hab. Und wenn das läuft, dann kann ich auch über mich hinaus wachsen. Für mich bedeutet Rad fahren, ich komme zwei, drei Stunden raus. Das hört sich vielleicht komisch an als Mama, aber ich habe dann eine Zeit lang einfach meine Ruhe. Ich kann mich im Training mental und körperlich ausbelasten und das brauche ich. Ich wäre nicht glücklich, wenn ich keinen Sport machen kann.

Rad fahren hat also für Dich nicht nur eine leistungsportliche Bedeutung?
Auch jetzt, wenn ich zwei Nächte einfach schlafen kann, wie hier beim Kick-Off der Nationalmannschaft, bin, ist das pure Entspannung. Ich versuche mich auch weiter zu entwickeln, meine eigenen Grenzen zu verschieben. Es ist nicht einfach, aber ich brauche auch die Rückschläge, damit ich was lerne und mich weiter entwickle.

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Betrachtet ihre Rennen kritisch, auch starke Wettkämpfe: Elisabeth Brandau ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Noch mal zurück zu meiner Frage. Du hast den Druck angesprochen, den du dir nicht gemacht hast. War das der Schlüssel zu dieser eindrucksvollen Saison?
Die Erwartungshaltung spielt eine Rolle, um Beispiel bei der WM im Cross. Hätte mir jemand gesagt, dass ich Top Fünf fahre, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt. Natürlich kam mir der Kurs entgegen, das darf man nicht vernachlässigen. Aber ich habe versucht mein Training gut umzusetzen und Spaß zu haben.
Und bei Risiko-Sachen, fahrtechnisch, habe ich dieses Jahr immer zurückgezogen. Ich hab’s probiert, aber wenn ich es nicht konnte, wie an der WM und in Kanada, dann habe ich es gelassen. In Kanada habe ich mir Druck gemacht, weil ich da mit dem Team unterwegs war (Primaflor Mondraker) und ich wollte ihnen was zurück geben. Ich habe während der Saison immer wieder versucht auf Reset zu drücken, mich zu fragen, warum ich Rad fahre. Einfach weil ich Spaß habe. Für mich war das immer so, schon früher als ich mit meinem Bruder unterwegs war.

So bald ich es für jemand anders mache, oder dass ich damit Geld verdiene, dann fahre ich nicht mehr gut. Ich sag immer: ich bin ein guter Hobbyfahrer. Aber das brauche ich für meinen Kopf (lacht), für meine Einstellung. Ich brauche die Freiheit, damit ich Bock drauf habe. Sobald ich keinen Bock mehr habe, dann fahre ich auch nimmer.

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Erster großer Sieg auf dem MTB: Elisabeth Brandau wird 2008 in Singen Deutsche Meisterin im Marathon ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

 

Um Elisabeth Brandau als Sportlerin in etwa einordnen zu können, muss man wissen: Sie war als Juniorin erfolgreiche Straßenrennfahrerin, Deutsche Meisterin am Berg und WM-Teilnehmerin. Dann hörte sie auf, fuhr drei Jahre lang keine Rennen, sondern nur zum Spaß. 2006 kaufte sie ihr erstes Mountainbike, wurde 2007 Deutsche Hobby-Meisterin im Marathon und ein Jahr später „richtige“ Deutsche Meisterin. Das gelang ihr noch zweimal. Außerdem wurde sie 2012 Deutsche Meisterin im Eliminator Sprint und sie war 2010 Vierte und 2011 Fünfte der Marathon-WM. 2015 wurde sie Mutter eines Sohnes (Max) und 2017 kam Alexander auf die Welt.

2016 fuhr sie als Siebte beim Weltcup in Albstadt zum ersten Mal in die Top-Ten. Nach dem Jahr Schwangerschaftspause wurde sie 2018 erstmals Deutsche Cross-Country-Meisterin und beendete die Weltcup-Gesamtwertung auf Rang zehn.

2011 fährt sie für das Haibike-Sabine Spitz Team, 2012 organisiert sie mit Sponsor notebooksbilliger.de eine eigene Equipe. 2013 formiert sie das EBE-Racing Team. In ihrer Comeback-Saison 2018 wird sie in erster Linie von ihrem Ehemann Marco Brandau unterstützt und fährt- last minute – auf Mondraker Bikes, aber ohne Team-Anbindung. 

 

Insider wussten schon lange, in dir steckt ein super Motor und man immer darauf gewartet, dass es sich dauerhaft in Ergebnissen ausdrückt. Das gelang dir erst dieses Jahr..
…es lag vermutlich auch am Umfeld. Ich brauche meine, zwei, drei Leute und mehr brauche ich nicht.

Rein körperlich, gab es da Unterschiede zu früheren Jahren?
Ich glaube, ich muss die Leistungstests noch mal raus suchen. Ich vermute aber, dass ich fast die gleiche Leistung hatte. Ich war mal ein bisschen leichter, aber sonst? Fahrtechnisch habe ich schon versucht zu arbeiten. Ich bin da auch etwas verhaltener ran gegangen, habe mich auch mal überholen lassen und gedacht, egal, dich hole ich am Berg wieder. Das ist dann halt kein aggressives Rennen fahren.

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Auf dem Weg zum ersten Weltcup-Podium: Elisabeth Brandau ©Lynn Sigel/EGO-Promotion

Das hast du in Albstadt so exerziert, als du bei diesen widrigen Bedingungen konsequent die B-Linie genommen hast – im Gegensatz zu vielen anderen.
Ich habe halt versucht ganz auf mich zu fokussieren. Ich muss immer aufpassen, dass ich mich nicht so beeindrucken lasse, zum Beispiel davon, was andere (Fahrerinnen) in sozialen Medien posten. Ich habe den Fehler vor der Marathon-WM gemacht und habe mir zu viel Gedanken gemacht. Auch weil ich die Strecke nicht gekannt habe. Anstatt, dass ich einfach hingefahren wäre. Bestimmt wäre ein gutes Ergebnis rausgekommen, aber ich wollte mehr und habe versucht mich zu vergleichen. Wenn ich mich nur auf mich konzentriere und nicht daran denke, was die anderen für ein Fahrrad haben oder fünf Kilo weniger…ich bin halt kein Leichtgewicht, das ist ja auch so ein Thema. Das muss ich lernen auszublenden.

Das ist auch ein Grund, warum ich in meinem Team bleiben will. Ich kann das noch nicht sauber alleine lösen. Da fehlt mir das Selbstbewusstsein, um zu sagen: Leute, leckt mich alle am A…

Um dich dann ganz auf dich zu konzentrieren
Ja. Annika (Langvad) kann sich zum Beispiel ganz auf sich fokussieren, anders geht das nicht. Aber ich bin ein Typ, dem das schwer fällt, ein Helfer-Typ. Aber das will ich auch nicht verlieren. Wenn mich jemand im Team um Hilfe fragt, bin ich da. Ich kann da nicht nein sagen. Dann würde ich mich fragen, ob ich ein Ego bin. Deshalb ist es besser, ich bleibe in meinem Umfeld. Klar, wenn jetzt eine Leo (Leonie Daubermann) oder eine Lia (Lia Schrievers) im Nationalteam kommen, dann helfe ich ihnen schon auch, aber das sind junge Sportlerinnen. Ich muss lernen auf mich zu schauen, aber es geht nicht von heute auf morgen. Wahrscheinlich ist das meine Lebensaufgabe (lacht). Das kannst du im Sport halt gut lernen, weil du es musst. Das brauchst du auch, wenn du Selbständig bist. Dass es dieses Jahr besser geklappt hat, ist ja schon gut.

Ein anderes Thema bei dir ist das, nennen wir es mal organisiertes Chaos, das dich immer irgendwie umgibt, auch darin begründet, dass du, bzw. ihr so viel selber macht. Besteht die Chance dass es dieses Jahr besser wird?
(Lacht). Weiß ich nicht. Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Und Marco (ihr Ehemann) auch gefragt, ob er sich sicher ist, dass wir es machen sollen. Es tut auch der Beziehung nicht gut, wenn manche Sachen nicht laufen. Wir sollten eine Checkliste machen. Auch wenn wir ein Hobby-Team sind, müssen wir professionell arbeiten. Aber ich habe auch gemerkt, dass Marco dieses Jahr viel dazu gelernt hat, ich habe gelernt und das hat uns brutal zusammengeschweißt. Ihm macht es Spaß und er motiviert mich auch. Hätte er das nicht getan, dann wäre ich nicht mehr da. Zum Cyclo-Cross hat er mich motiviert. Ich habe dann gesagt, okay, nach der Deutschen Meisterschaft höre ich auf, dann kam die WM und ich dachte, dann fahre ich die noch und dann höre ich auf. Dann kam der Weltcup in Südafrika und danach wollte ich aufhören.

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Am Limit: Elisabeth Brandau ©Lynn Sigel/EGO-Promotion

Wie? Eine Pause oder ganz aufhören?
Ja, ganz aufhören. Weil ich immer so am Limit war. Ich habe immer nur in Schritten gedacht. Anfangs ging es um die Deutsche Meisterschaft im Cross, dann nimmst halt die WM noch mit. Dann sagte Speedy (Bundestrainer Peter Schaupp), er würde mich nach Südafrika (zum MTB-Weltcup) mitnehmen. Ich dachte, na dann brauchst ja keine Pause machen. Also fahre ich nach Südafrika und war dann so gut (Platz 13). Na, dann konnte ich auch nicht aufhören. Ich habe bis Mai gedacht, bis Albstadt und Nove Mesto und wollte meine Heilpraktiker-Prüfung zu Ende bringen.

Was dir dann auch gut gelungen ist.
Danach wusste ich dann gar nichts mehr. Dann kam im Juni noch der Rippenbruch (im Training auf der DM-Strecke in St. Ingbert). Das war das Zeichen, dass etwas im Umbruch ist, dass sich was verändert. Da ging es darum: will ich überhaupt weiter fahren?

Bist du dann aber doch. Warum?
Ich bin nach Val di Sole gefahren mit dem Gedanken, wenn ich (wegen der Rippen) nicht fahren könnte, dann wenigstens um den jungen Fahrerinnen helfen zu können. Das war ausschlaggebend dafür, dass ich überhaupt weitergemacht habe. Sonst wäre ich nicht nach Val di Sole gefahren. Der Rippenbruch kam mir dann fast zugute, also mental, weil ich mir halt gesagt habe: ich habe ja nix zu verlieren. Dass es da (10. im XCC und 8. im XCO) und dann in Andorra (9. und 10.) so gut lief, hat den Ausschlag gegeben, dass ich überhaupt weiter gemacht habe.

Den Weltcup in Mont Sainte Anne, nach der EM in Glasgow, hätte ich dann auslassen sollen. Durch den ganzen Tumult mit dem Bike (das nicht angekommen ist), lief das nicht gut. Und wenn ich zwei Wochen von zuhause weg bin, dann ist die Woche danach Vollgas. Weil die Kinder dann auch einen Anspruch an mich haben. Das hat mich dann gekillt und ich konnte die WM nicht mehr gut genug vorbereiten. Kanada war gut, ich habe viel gelernt, aber wenn ich noch mal in der Situation wäre, würde ich es nicht mehr machen. Die Kinder sind halt noch klein, auch wenn es Monat für Monat einfacher wird. Doch ich bin halt kein Übermensch.

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Erfolgreich in Val di Sole ©Max Fuchs/EGO-Promotion

Bei allem fällt dennoch auf, dass du dennoch einen sehr hohen Anspruch an dich hast. Im Ziel kommentierst du meistens erst mal mehr deine Fehler als die erfreulichen Aspekte deines Rennens.
Ja, das stimmt. Das war immer so. Aber das ist jedoch auch der Grund, warum ich mich weiter entwickle. Ich ruhe mich nicht auf meinen Leistungen aus. Klar ist das auch ein Nachteil (nicht einfach genießen zu können) , aber ich schöpfe daraus auch die Motivation was zu verbessern. Mich regt auf, wenn Fehler zwei oder gar dreimal passieren. Wie vor kurzem beim Cross-Rennen in Magstadt. Da rege ich mich auf, dass die Bremsen an einem von drei Rädern nicht eingefahren sind. Ich wechsle, fahre um die erste Kurve und lande im Zaun. Da ärgere ich mich trotz Sieg, weil das ein Anfängerfehler ist. Ich habe halt nicht alle drei Räder eingefahren. Aber das legt sich auch wieder. Ich habe auch lange gebraucht, um die Saison zu realisieren, um zu begreifen, was ich geleistet habe.
Ich bin immer weiter gefahren. Damit gerechnet, wie es dieses Jahr läuft, habe ich nicht. Einen Plan hatte ich nicht. Für die Zukunft muss ich unbedingt lernen, dass ich einen Plan B habe, der aber so weit im Hintergrund ist, dass er Plan A nicht stört (lacht). Sonst machst den Plan A nicht richtig. Auch so eine Aufgabe.

 

Während der Saison wirkte Elisabeth Brandau oft atemlos, getrieben, auf Gratwanderung. In Gesprächen erlebte man sie auch zweifelnd, manchmal müde, hin und wieder auch hadernd. Letztlich war sie jedoch immer in der Lage eine gewaltige Energie zu mobilisieren und sich zu überwinden.

Jetzt formt sich das Erlebte, das Geleistete zu einer Portion Gelassenheit. Als ob bei der bald 33-Jährigen im Herbst die Blüte in einen Reifeprozess übergegangen wäre. Es sind eine ganze Menge Erkenntnisse, die da aus ihrem Mund purzeln.

 

Du sagst, du hast lange gebraucht, bis du realisiert hast, was dir gelungen ist? Du hast immer einen Makel gefunden, auch bei der EM (5.) und bei der WM (8.).
Ja, ich bin trotzdem unzufrieden mit der WM und der EM. Nicht mit meiner Leistung, aber mit den Umständen. In La Bresse hat’s der Marco abgekriegt, obwohl ich da wohl selber dran schuld war. Ich bin wohl mit dem Schaltwerk wohl irgendwo hängen geblieben. Aber im Rennen wusste ich das noch nicht.

Beim Weltcup-Finale hattest du einen außergewöhnlich guten Start.
Ja, aber dann war ich zu verkrampft. Da wollte ich zu schnell zu viel. Aber das muss ich auch lernen, mit einem guten Start mental locker zu sein und mich da zu halten. Wenn ich einen schlechten Start habe, dann fahre ich immer gut. Aber wenn ich vorne bin, dann habe ich Schwierigkeiten ohne Stress zu fahren. Das wird noch eine Aufgabe sein, der ich mich nächstes Jahr stellen muss. Wenn ich dann weiß, ich könnte aufs Podium fahren, ist eine Blockade drin. Ich weiß nicht, woher das kommt. So lange ich das nicht gelöst habe, werde ich auch nicht aufs Podium fahren. Ich glaube das hat mit dem Selbstwert zu tun. Ich habe vielleicht den Motor wie die anderen, aber das Selbstbewusstsein fehlt mir noch. Obwohl man mir das nach außen gar nicht anmerkt.

Hast du schon einen Ansatz dafür?
Hilfreich wäre, wenn Marco mich im Rennen begleitet, so wie das Kenneth (Flesjaa) bei Gunn-Rita (Dahle-Flesjaa) macht. Das lenkt meine Gedanken auf mich selbst und ich komme in den Tunnel. Ich muss im Tunnel fahren, dann macht das Radfahren richtig Spaß. Dann kriege ich auch die Ergebnisse. In Val di Sole hat mich mein Mentaltrainer Michael Deutschmann zum ersten Mal besucht bei einem Rennen. Das hat mir geholfen und es wurde ein geiles Rennen, weil bin ich in meinem Tunnel gefahren bin. Ich brauche das.

 

Sie hat ihren Snack verspeist, die Kaffee-Tassen sind leer. Der Gedanke Nachschub zu bestellen findet keinen Platz beim Ritt durch Landschaft ihrer (Sportler)-Seele. Zwei-, dreimal ist zu spüren, dass in ihr etwas in Bewegung gerät, dass sie manchen Druck aus den vergangenen Monaten, manche Grenzüberschreitung noch mal nachempfindet, dass sie noch mal am beschriebenen Limit entlang wandelt – und sich beim Reden, beim distanzierten Nacherleben auch die Anspannung löst.

 

Du sprichst davon, dass der Spaß dein Motiv ist. Wie passt das zusammen mit der Fehler-Orientierung in deinen Statements?
Ich bin überehrgeizig.

Das klingt eher verbissen.
(Lacht) Ja, ich weiß. Ich brauche den Spaß und die Lockerheit, um die guten Ergebnisse zu fahren. Aber um die guten Ergebnisse zu fahren, musst du auch eine gute Vorarbeit geleistet haben. Das ist ein Prozess. Der Erfolg ist das Resultat aus dem, was Du davor schon gemacht hast. Der Weg ist das Ziel. Du kannst nicht zuhause auf der Couch liegen, du brauchst einen i

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Meine Kinder mögen mich, ob ich Podium fahre oder nicht ©Rebecca Sadowsky/EGO-Promotion

nneren Antrieb und den habe ich halt. Ich brauche den Spaß, um den Antrieb umzusetzen.

Gibt es die Momente der Freude? Zum Beispiel als du in Albstadt auf dem Podium gestanden bist?
(Schmunzelt). Ich habe gemerkt, dass der Unterschied zwischen Platz fünf und zehn der ist, dass du hinterher mehr Stress hast (lacht). Meine Kinder mögen mich genauso und ich habe in dem Moment.., also ich glaube in Albstadt habe ich viel richtig gemacht,…das macht mich schon glücklich, dass ich das mal so abrufen konnte.

 

Spürst du denn diese Freude, im Ziel oder auf dem Podium?
Ja, ich habe ich mich schon gefreut auf dem Podium. Aber in dem Moment realisierst Du das nicht, das habe ich die ganze Saison nicht. Das kommt erst jetzt, dass du dich hinsetzt und denkst: puhh. Ich brauche immer Zeit, bis was wirkt. Es ist eigentlich wie eine Superkompensation, es dauert bis es ankommt. Die habe ich halt bei mir zuhause nicht, weil zu viel drum herum ist. Das war auch bei der WM nicht da. Mein Level war auf 180, also bis 300 geht’s (lacht), dann kommt die Silbermedaille mit dem Team, da war noch alles super. Dann bin ich komplett runter gesackt. Ich war auch müde, am Freitag hatte ich Beine, da ging gar nichts mehr. Ich sollte mich erholen von der Silbermedaille, aber da war nichts mehr da. Das war vermutlich auch der Grund dafür, warum ich am Sonntag am Start nicht gut reingekommen bin.

Ich muss jetzt halt schauen, dass ich mit einem niedrigeren Stresslevel zu den Rennen komme. Dann passiert so was auch nicht mehr und ich kann mich mehr über Dinge freuen. Dann wird’s auch reell. Bei mir ist halt alles durch getaktet. Die Haare schneide ich zwischen Duschen und Zähne putzen. So etwa.

Seit kurzem sind beide Kinder in der Tagesstätte und im Kindergarten und ich habe morgens erst mal gedacht: so, was mach’ ich denn jetzt? Ich muss erst wieder lernen, Pausen zu machen. Dann bin ich vielleicht auch gelassener. Dann kann ich die Freude mehr empfinden. Ich habe eigentlich gar keine Zeit für Emotionen. Ich versuche mich innerlich auf einem Level zu halten, sonst klappt das System zusammen. Ich denke auf dem Fahrrad viel über mich nach, aber ich habe gar nicht die Zeit, das wirken zu lassen.

Sind es also die eigenen Vorstellungen, dich so kritisch dir selbst gegenüber machen?
Wenn du Ansprüche an dich hast, kommst du auch weiter. Du denkst über dich nach und lernst viel. In der Heilpraktiker-Ausbildung geht es auch viel um die Psyche, aber du musst es bei dir selbst auch sehen. Das macht die Sache nicht einfacher. Wenn du die Dinge mal an dir siehst. Manchmal würde ich gerne weniger wissen (lacht).
Aber irgendwann wirkt es dann. Ich schreibe jeden Morgen eine Art Tagebuch, was mich bewegt, meine Ziele, meine Werte…

..du meinst nicht deine Leistungsdaten..
..nein, meine persönlichen Werte. Das ist auch mit ein Grund, warum ich mich gegen ein Team entschieden habe. Ich habe gemerkt, dass ich für Langfristigkeit stehe.

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WM-Silber mit der Staffel ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Und was sind die Ziele?
Ich glaube Olympia ist gar nicht mein Ziel, bei mir geht es um andere Dinge. Aber das habe ich dieses Jahr erst gemerkt. In der fünften, sechsten Klasse ging es in der Schule um Athen und ich habe Olympia als Thema genommen. Das habe ich neulich beim Ausmisten gefunden. Ich habe die fünf Ringe ausgeschnitten und so. Also irgendwas hat mich da hin gebracht, irgendwas hat mich geführt. Es führen viele Wege nach Rom, aber du wirst da hinkommen. Es ist ein Teil von dem, was ich halt lernen soll.

Wenn ich Marco anschaue, er ist das Gegenteil von mir, das andere Extrem. Da muss etwas sein, womit ich lernen muss umzugehen. Oder auch mich anzunehmen und trotzdem andere zu respektieren, andere Charakter zu respektieren. Es geht nicht darum, Erster, Zweiter oder Fünfter zu sein, da geht es darum selber den Prozess bestmöglich zu durchlaufen. Wenn du da dein Weg hast, dann bist du glücklich und es ist egal, ob du ganz oben stehst. Es ist nicht jeder dazu da Olympiasieger zu werden. Die einen haben es einfacher, die anderen weniger.

Du meinst, im Grunde geht es beim Versuch dich für Olympia zu qualifizieren um etwas ganz anderes, um eine persönliche Weiterentwicklung?
Die Grenzen sind im Kopf. Wenn du dich von Erwartungshaltungen frei machen kannst, dann kannst du Grenzen verschieben. Sofern du es schaffst die Erwartungen los zu lassen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Man fällt ja schnell wieder in alte Muster zurück. Die Perioden, die Wellen werden aber mit der Zeit immer glatter. Bei Kindern ist das krass, die haben keine Erwartungen. Ich würde gerne ein bisschen Kind sein (lacht). Manchmal zeigt dir der Bauch schon wo es lang geht, du musst nur auf ihn hören. Das ist aber schwer, wenn du ein Kopf-Mensch bist (seufzt).

"DM war extrem hart": Elisabeth Brandau in St. Ingbert ©Armin M: Küstenbrück/EGO-Promotion
„DM war extrem hart“: Elisabeth Brandau in St. Ingbert ©Armin M: Küstenbrück/EGO-Promotion

Du scheinst in diesem Jahr viel gelernt zu haben
Ich habe mega viel gelernt. Nicht nur im Sport. Dass ich bei der Heilpraktiker-Prüfung durchgefallen bin, das ist das Beste, was mir passieren konnte. Da habe ich aber auch was fürs Radfahren gelernt (lacht).

Und zwar?
Die Prüferin hat zu mir gesagt: Sie haben ein bestimmtes Wissen, Sie können alles machen, aber Sie haben null Struktur. Das ist auch in meinen Leben manchmal so. Und ich brauche die Struktur. So wie man in der Anamnese (Professionelle Erfragung von relevanten Information) langsam und in Ruhe mit der Person reden muss. Das ist im Sport auch so. Du brauchst deinen Plan. Für die Wiederholung der Prüfung habe ich im Mai noch mal einen Vorbereitungskurs gemacht. Ich glaube, das hat mir auch viel gebracht. Ich habe die Prüferin natürlich gehasst in dem Moment als die mich hat durchfallen lassen. Aber ein halbes Jahr später sage ich, eigentlich hätte ich sie umarmen müssen dafür. Sie hat mir was aufgezeigt, was ich gar nicht sehen wollte.

Die Sachen, die dir am meisten zuwider sind, das sind deine größten Baustellen. So war das auch mit dem Team. Ich kann das auch anders lösen, aber ich weiß, dass es eine Baustelle ist.

Das Handy hat sich gemeldet, die letzte Trainingsgruppe geht bald weg. Sie verabschiedet sich und macht sich auf den Weg. Oder im übertragenen Sinne: Elisabeth Brandau geht Ihren Weg weiter.

 

 

 

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