EM in Bern: Ein Fazit

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Großartige Kulisse: Katrin Leumann auf der Zielgerade. ©Marius Maasewerd/EGO-Promotion

Die Mountainbike-Europameisterschaft in Bern ist Geschichte. Mehr als 15000 Zuschauer auf dem Gurten erlebten am Sonntag eine Werbung für den Mountainbike-Sport. Ein Fazit.

Eine Bilanz drängt sich nach dieser Europameisterschaft geradezu auf. Vermutlich, möglicherweise, sehr wahrscheinlich war es die Beste, die es je gegeben hat. An was misst sich das?
An der Organisation? An der sportlichen Attraktivität? Am Zuschauer-Aufkommen? Am Gesamtkonzept? An der Atmosphäre? An allem zusammen!

Die Europameisterschaften wurden in den vergangenen Jahren immer wieder an Orten ausgetragen, die für den MTB-Sport eher ungewöhnlichen sind. Ob in Zoetermeer an der Ski-Halle, im Weltkultur-Erbe in Kappadokien oder in Israel. Zuletzt, 2012, auch unter etwas ungewohnten Umständen in Moskau.

Bern war auch ein ungewöhnlicher Ort, aber dazu später. Organisatorisch war von OK-Chef René Walker und seinen Leuten ein hohes Niveau zu erwarten, schon weil Walker in Sachen Bike-Events viel Erfahrung und die Swiss Bike Trophy an Ort und Stelle ja auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat.
Bei einem Großanlass, wie man in der Schweiz zu sagen pflegt, bleiben immer Dinge zurück, die verbesserungswürdig sind. Besonders wenn man’s in einer gewissen Größenordnung zum ersten Mal macht. Dennoch liefen die vier Tage weitgehend reibungslos über die Bühne.
Beim Team-Relay und beim Eliminator Sprint hätte man sich zum Beispiel eine bessere Beschallung gewünscht, so dass die Menschen an den zielentfernten Streckenteilen auch informiert sind.

Der Bundesplatz, damit sind wir beim ungewöhnlichen Ort, war natürlich eine Trumpfkarte. Man stelle sich vor in Berlin würde um den Reichstag herum ein Mountainbike-Rennen ausgetragen…
In diesem Fall ging das Motto „mit dem Sport zu den Menschen gehen“ vollkommen auf. Die pittoreske Berner Innenstadt, ein Weltkulturerbe, ist am Abend natürlich voll von Menschen. Für ein Staffel-Rennen gab es noch nie eine so große Kulisse und auch der Eliminator Sprint am Freitag war super besucht.

Über die Strecke werden sich die Geister streiten, war es doch bis zur Zielgerade fast nur Warmfahren. Aber das ist eine andere Diskussion. Auf zwei großen Bildschirmen konnte man das Ganze prima verfolgen, auch ein Pluspunkt.
Gut möglich, dass Thomas Frischknecht Recht hat, wenn er sagt, dass diese beiden Abend-Events den Zuschauerzuspruch für die beiden folgenden Tage auf dem Gurten angeheizt haben, „weil die EM im Gespräch war“, sprich: auch in den Medien.
„Viele Leute haben den Sport entdeckt“, heißt es in einer Bilanz bei SRF3. Das gilt übrigens auch für die Trial-Spezialisten, die ihre ganzen Wettkämpfe in der Innenstadt austrugen und ein Publikum hatten wie noch nie.

Der Gurten ist die zweite spezielle Location. Logistisch eigentlich ein Handicap, weil die Zuschauer nur per halbstündigem Spaziergang oder per Gurtenbahn zum Start-Zielgelände kommen. Die Befürchtungen, dass dadurch der Zuschauerstrom ausbleiben würde, bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil: Die Kulisse war riesig. 40000 insgesamt an allen Tagen, inklusive Trial. Mehr als 15000 gaben die Veranstalter für den Sonntag auf dem Gurten an. Eine realistische Zahl, wenn man die Menschenmassen erlebt hat, die sich da auf dem Berner Hausberg tummelten, der eigentlich zur Gemeinde Köniz gehört.
Am Sonntagnachmittag blieb kaum eine Stelle an der Strecke unbesetzt und die Schweizer Zuschauer sorgten mit ihren Kuhglocken und anderen Gerätschaften für eine grandiose Atmosphäre.
Natürlich wurde es vor allem laut, wenn ein Fahrer mit dem weißen Schweizer Kreuz vorbeikurbelte, aber nicht ausschließlich.

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Live und in Farbe auf dem Groß-Bildschirm: Der Herren-Start. ©Marius Maasewerd/EGO-Promotion

Auch hier oben wieder zwei riesige Bildschirme und am Sonntag Live-Übertragungen. Auch per Livestream im Internet. Die Veranstalter sprachen von über 20000 Usern, die sich die Übertragungen live anschauten.
„Es war der beste Bike-Anlass, den wir in der Schweiz jemals hatten“, sagt mit Bike-Legende Thomas Frischknecht einer, der es wissen muss. Er war ja von Anfang an dabei.

Das mediale Aufkommen war beträchtlich. Der Mountainbike-Sport hat in der Schweiz mit den Erfolgen von Nino Schurter noch einmal eine Aufwertung erhalten. Die Medaillen, auch die im Team und im Eliminator, wurden im Radio verkündet, dazu kurze Features gesendet. Und am Sonntagabend war Nino Schurter Studiogast in SF Sportpanorama, wo es 20 Minuten lang und sehr kundig um die EM ging. Auch da ist die Schweiz dem Rest der Welt wohl ein gutes Stück voraus.
Swiss Cycling spricht im Moment mit potenziellen Weltcup-Orten, die den Schwung weitertragen können. Das wäre aber frühestens für 2015 der Fall.

Sportlich betrachtet, gab es wie nicht anders zu erwarten, hochklassige Rennen zu erleben. Kritik gab es an der Strecke, respektive vor allem an zwei Streckendetails. An der Holzpassage mit den drei Sprüngen sah man viele Stürze, vor allem im Training. Auch der Sprung über die Steinmauer barg ein Risiko. Für Adelheid Morath und Anja Gradl ein zu Großes, beide brachen sich das Schlüsselbein.

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Super Bilder, aber kritisch diskutiert: Lisi Osl auf der gebauten Holzpassage. ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Tereza Hurikova, Mallory Barth an der Holzpassage (North Shore-Passage), die russische Juniorin Olga Terentyeva im danach folgenden Drop, trugen mehr oder weniger schwere Verletzungen davon. Und einige andere auch. Vielleicht kein Zufall, dass es vor allem Frauen traf. Auch Weltmeister Nino Schurter hatte in einem Interview im Vorfeld schon Skepsis geäußert, was die Damenwelt und die Hindernisse angeht.

Das ist aber kein singuläres Berner Thema, auch in Albstadt und in Nove Mesto gab es gravierende Stürze. Den Vorwurf keine B-Linien angeboten zu haben, kann man den EM-Organisatoren jedenfalls nicht machen. Die zuschauer-freundliche Streckenführung ist dazu ein sehr positiver Aspekt am Kurs.

Unterm Strich bleibt eine eindrucksvolle Europameisterschaft im Gedächtnis, „ein geiler Event“, wie nicht nur Simon Stiebjahn auf seiner Facebook-Seite bemerkte. Die Latte für St. Wendel 2014 liegt hoch. Sehr hoch.

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