Interview mit Bruno Diethelm: Da ist eine Kultur des Willens entstanden

Schweizer Nationaltrainer über seine Rolle, seine Maßstäbe und das Erfolgsrezept

Bruno Diethelm (59) ist seit sechs Jahren Nationaltrainer im Land der weltweit erfolgreichsten Cross-Country-Spezialisten. Regelmäßig kommt der Schweizer mit Nachwuchs-Bikern aus seinem Land nach Zypern, um am Afxentia Etappenrennen teilzunehmen. Kürzlich wurde er in seinem Heimatland Dritter bei der Wahl zum Trainer des Jahres. Im Interview gibt der bescheidene Mensch preis, warum er zum Cyprus Sunshine-Cup kommt, nach welchen Maßstäben er gemessen werden möchte und was er (auch) für das Schweizer Erfolgsrezept hält.

Bruno, du bist bei der Wahl zum Trainer des Jahres in der Schweiz Dritter geworden. Hinter einem Fußball-, und einem Eishockey-Trainer. Was bedeutet dir das?
Für mich ist das schön als Anerkennung für den Mountainbike-Sport und generell den Radsport in der Schweiz. Toll, dass der Sport so wahrgenommen wurde. Es freut mich nicht wegen mir, sondern wegen dem Sport.
Grundsätzlich hat das damit zu tun, dass wir in der Schweiz eine wirklich tolle Weltmeisterschaft hatten und ein paar Journalisten mehr kamen als sonst (schmunzelt). Das Schweizer TV hat einen guten Job gemacht und schon ein paar Wochen vorher Beiträge gebracht. Eine gewisse Sensibilisierung braucht es. So waren nicht nur viele Leute vor Ort, sondern trotz des guten Wetters auch die TV-Zuschauerzahlen sehr gut.

Du siehst das also weniger als eine Auszeichnung für dich selbst, sondern mehr als Anerkennung für die Sportart?
Im Sport sind so viele Leute dafür verantwortlich, der Verband, der uns eine Plattform gibt. Swiss Cycling hat die WM initiativ in die Schweiz geholt. Ich, der da ein bisschen rumsteht und guckt, spielt da keine so große Rolle.

Das ist dann doch ein wenig Understatement, Herr Diethelm. Aber a propos «Gucken und Rumstehen», was macht denn der Nationaltrainer der Mountainbiker eigentlich konkret.
Von außen wird das so wahrgenommen. Der hat ein schönes Leben, fährt zu den Rennen, hat keinen Stress, keine Belastung und wird bezahlt.

Und wie ist es tatsächlich?
Es ist genau so (lacht). Nein, mein Vorteil ist, dass ich meine Passion leben darf. Ein großer Teil meines Jobs ist es zu planen, vorzubereiten, zu organisieren. Ich muss die Augen und Ohren offen haben für die Fahrer und für Entwicklungen. Ich muss schauen, welche Inputs man einbringen kann, damit wir einen gewissen Vorsprung halten können.

Woher kommt den dieser Vorsprung?
Die Schweiz ist nicht so groß und wir haben eine große (Leistungs-)Dichte, bei Damen und bei den Herren. So bald ein gewisses Volumen da ist und Fahrer miteinander umgehen könnnen, die sich pushen können, dann geht es vorwärts. Das sieht man im Cyclo-Cross-Sport in Belgien und Holland. Du musst kämpfen, dass du eine Position hast. Manchmal sehen Fahrer das negativ, weil es schwierig ist in der Schweiz an die WM zu kommen, aber wenn du es geschafft hast, dann weißt du, dass du auch international konkurrenzfähig ist. Also bereit für die Challenge.

Um so weit zu kommen, war die Rollen-Modelle wie Thomas Frischknecht und Christoph Sauser (beide Weltmeister und Olympia-Medaillengewinner) sicher auch wichtig, oder?
Es hat sich entwickelt. In der Zeit mit Ralph Näf (Anfang der 2000er) gab es eine Gruppe junger Fahrer, die es plötzlich auch geschafft haben bei Weltcup-Rennen gute Resultate zu fahren. Zum Teil waren das in der Öffentlichkeit noch

180706_02640_by_Kuestenbrueck_ITA_ValDiSole_XCC_ME_DiethelmB
Bruno Diethelm bescheiden: „Nur Gucken und Rumstehen.“

unbekanntere Sportler und das wurde eine Motivation. Das hat Perspektiven aufgezeigt, was eigentlich möglich ist. Diese Beispiele gibt es immer noch, diejenigen, die es schaffen. Das ist Motivation für viele andere es auch mit der Berufsausbildung den Weg zu gehen. Das gibt dir auch die Härte.

Habt Ihr in der Schweiz da spezielle Programme?
Es gibt immer mehr Möglichkeiten, zum Beispiel bei der Ausbildung einen Nachmittag frei zu bekommen, es gibt auch Sportschulen. Aber das sehe ich nicht unbedingt als Vorteil. Der Wille, für meine Ziele kämpfen, ist das Entscheidende. Da ist eine sehr gute Kultur entstanden.

Worin drückt sich das aus?
Wir machen zum Beispiel jedes Jahr einen U23-Tag, bei dem die aus der U19 kommenden Fahrer informiert werden. Beim Swiss Bike Cup verzichten wir dieses Jahr auf die U23-Kategorie. Da waren die Jungen zuerst skeptisch, meinten, ihre Erfolgsmöglichkeiten wären geringer. Schlussendlich aber war da eine sehr positive Stimmung.

Sie sagten: Wenn wir das positiv angehen, wenn wir bereit sind durch diese Schule (der Elite-Rennen) zugehen, haben wir wieder einen Vorteil. Es ist härter, aber wir erreichen ein anderes Niveau. Weltranglistenpunkte sind wichtig, aber sie nutzen auch nichts, wenn du letztlich die Power nicht hast.

Weltranglistenpunkte sind für junge U23-Fahrer in der Tat dort schwer zu holen.
Wir wollten die Felder in der Elite wieder größer haben. 2019 werden drei Rennen des Swiss Bike Cup im Schweizer Fernsehen live gesendet. Das ist super für den MTB-Sport und alle die involviert sind. Dafür sollten auch die Teilnehmer-Felder groß sein. Das haben auch die Jungen dann so gesehen.

Du sprichst von Inputs, die du einbringst. Um was geht es da?
Materialtechnisch zum Beispiel. Die sind nicht immer von mir, es gibt viele Leute, die da mitarbeiten. Reifentests, Felgenbreite zum Beispiel. Und es kommen Events, wie die Olympischen Spiele in Tokio, wo andere klimatische Bedingungen herrschen.

Gibt es einen Knowhow-Transfer zwischen den Sportlern aus verschiedenen Teams?
Ganz sicher. Was Reifen angeht, zum Beispiel. Vielleicht nicht so im Detail bei den Spitzenathleten, aber das Wissen, die Erkenntnisse werden grundsätzlich weiter gegeben. Im Herbst haben wir ein Treffen mit den Teamchefs. Da gab es auch ein Referat über die ganzen Tests und es wurde aufgezeigt, welche Möglichkeiten die Teams haben das zu nutzen. Auch ohne viel Geld zu investieren.

Ist das ein Teil des Schweizer Geheimnisses?
Ja, für mich ist das auch die Offenheit, die man untereinander hat. Sicher bleiben kleine Geheimnisse, aber wie man Wissen austauscht, das ist schon beeindruckend. Vor den Olympischen Spielen in Rio hatten wir ein Treffen mit dem Olympiakader, 15 Athleten, plus Physios und Mechaniker. Wir hatten einen deutschen Referenten, Jonathan Briefs.
Er nennt sich Kommunikations- und Humorberater und hat auch mit den österreichischen Skispringern gearbeitet. Er war zwei Tage bei uns. Für ihn war es unglaublich beeindruckend, mit welcher Offenheit wir miteinander umgehen. Bei den Skispringern sei das nicht so gewesen. Ich sehe das als Teil des Schweizer Erfolgs, dass man Wissen weiter gibt.

Das hat doch sicher auch Grenzen zwischen den Konkurrenten?
Ganz sicher gibt es die, alles wird nicht erzählt. Gleichwohl ist eine Offenheit da.

Und deine Aufgabe ist es diese Plattform zum Austausch zu bieten?
Jedem Athlet seine Plattform, egal wo er gerade steht.

Gibt es in der Schweiz eine gemeinsame Trainingsphilosophie?
Die einzige Gemeinsamkeit ist: alle sind Mountainbiker (lacht). Recht viele Athlete dürfen in Magglingen Leistungstests machen. Das macht man in Deutschland natürlich auch. Aber wir sind überzeugt, dass wir uns da auf einem sehr hohen Niveau bewegen. Wir machen nicht nur Standardtests. Der Stufentest wird fast nicht mehr gemacht. Es wird von Magglingen, respektive Beat Müller, sehr viel Wissen mitgeteilt. Bei den Besprechungen nach den Tests dürfen Teamchefs und die persönlichen Trainer auch dabei sein und Fragen stellen. Der Athlet bekommt also nicht nur Blatt in die Hand. Man diskutiert dann, was man machen muss.

Da hat also doch jemand die Fäden in der Hand.
Durch Magglingen, ja. Und Beat Müller, der sich sehr ins Zeug legt und Entwicklungen beobachtet. Er gibt das Wissen weiter, aber es ist am Athleten selber, was er macht. Aber auf keinen Fall Einheitskost.

Du eröffnest die Saison mit jungen Fahrern auf Zypern. Was hast du für die Nachwuchs-Fahrer dort für Ziele?
Manchmal kommen die ganz Jungen hin und sagen, ja, das ist cool, wir fliegen Zypern um UCI Punkte zu holen. Ich sag dann, ich mag es dir von Herzen gönnen, aber, das Niveau dort ist ziemlich hoch. Außerden ist das Afxentia Etappen-Rennen anderes Format, eben kein Cross-Country. Für die Jungen geht es darum in solchen Sachen zu lernen. Schritt für Schritt, Tag für Tag Analyse zu betreiben, sich zu verbessern zum nächsten Tag. Aus Zypern sollen sie einen Rucksack mitnehmen mit Dingen, die sie gelernt haben.

Was macht den Cyprus Sunshine Cup für dich sonst noch zur gewünschten Mountainbike-Destination in dieser Jahreszeit?
Hoffentlich gutes Wetter, ein forderndes Gelände, eine mentale Herausforderung.

Hat das bisher auch geklappt?
Ja, doch! Manchmal hat man schon gedacht, dass ein besseres Resultat herausspringen müsste, aber insgesamt schon. Deshalb kommen wir ja immer wieder.

Magst du selbst die Insel?
Letztes Jahr waren wir einen Tag länger und hatten Gelegenheit was zu sehen. Ich war beeindruckt welche unterschiedlichen Gesichter die Insel präsentiert. So ursprünglich auf der einen Seite und so modern auf der anderen. Ich finde es cool dort zu sein. Wir können von Basel aus auch einfach da hin fliegen.

Du bist auch persönlicher Trainer von einigen Sportlern. Fabian Giger hat kürzlich erzählt, dass er (wieder) von dir trainiert wird. Wen hast du denn sonst noch unter deinen Fittichen?
Das finde ich nicht so interessant (lacht). Nein, ich mag es nicht so gerne, darüber zu reden, wie viele Sportler ich betreue. Es ist nicht wichtig. Ich wurde auch schon gefragt, wie viele WM-Medaillen ich schon gewonnen hätte. Ich selber noch keine, ist die Antwort. Das sind nicht die Sachen, die ich zähle, das ist kein Maßstab für mich. Ich hoffe, meine Arbeit wird anders beurteilt und wahrgenommen. Wenn mich Athleten anrufen und um Rat fragen, mit denen ich nicht arbeite, das schätze ich mehr.

Warum?
Es geht um eine persönliche Zusammenarbeit. Es ist eine Freude, die zu gestalten. Beziehungen zu Menschen sind so wertvoll, die kann man nicht kaufen. Ich habe an kleinen Sachen meine Freude. Nach dem Cyclo-Cross-Rennen in Meilen hat mir ein U19-Fahrer geschrieben, dass er dankbar ist, dass er an den Cross-Trainings mitmachen durfte. Das sind für mich Geschenke.

Was ist dir wichtig für 2019?
Die positive Energie von Lenzerheide mitzunehmen, den gemeinsamen Weg weiter zu gehen. Nicht nur mit den Sportlern, auch mit den Teams. Das hat sich für mich noch positiver entwickelt, mit den Sportlern noch offener geworden, man kann Sachen diskutieren. Diese Kultur weiter zu bringen, aber keine Einheitskost zu verabreichen. Jeder darf individuell seinen eigenen Weg. Das Ziel ist akzeptieren, aber gleichwohl für ein Ziel zu kämpfen. Und es ist mir wichtig die große Freude zu behalten, dass man den Sport ausüben darf.

Ihr habt im Trainer-Team zwischen Damen und Herren aufgeteilt. Edi Telser arbeitet mit den Damen, du mit den Herren. Hat sich das bewährt?
Ich denke, das ist eine gute Sache. Der Fokus ist ein wenig klarer. Gleichwohl gibt es Sachen die wir zusammen machen, die sich ergänzen. Es gibt Inputs, die ich wichtig finde.

Könnt Ihr gegenseitig voneinander profitieren?
Es gibt immer einen Austausch zwischen Edi und mir. Wir führen die Dinge zusammen, diskutieren bestimmte Sachen. Man muss ein gewisses Verständnis aufbringen für die Unterschiedlichkeit der Geschlechter, die jeweils andere Ansprüche haben. Es wird immer verglichen, aber Damen haben andere Voraussetzungen und müssen anders fahren. Das sind wertvolle Diskussionen, die uns beide weiterbringen.

Profil:
Bruno Diethelm ist 1959 geboren und lebt in Thun (Diethelm:«die schönste Stadt der Schweiz»). Ursprünglich hat er Maschinen-Mechaniker gelernt und ist selber aktiv Straßen-Rennen gefahren.
1993 gründete er das Parkpre Team, dem unter anderen Christoph Sauser in den Anfängen seiner Karriere für fünf Jahre angehörte. Diethelm durchlief etliche Ausbildungen im Trainer-Bereich, aber auch in Massage-Techniken. Um seinen Sportlern weiter helfen zu können.
Etliche Jahre betrieb Diethelm auch das Athleticum-Team und war zwei Jahre auch unterstützend im deutschen Team SKS-MiG tätig.
Zur WM 2012 wurde er Schweizer Nationaltrainer. Vor drei Jahren schloss er in Magglingen die Ausbildung zum Berufstrainer ab.
Das Interview wurde vom Autor für die Pressearbeit des Cyprus Sunshine Cup geführt. Diese Version gibt die volle Länge des Gesprächs wieder.

Facebook Auto Publish Powered By : XYZScripts.com