Kommentar: Entlarvend und alarmierend

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Die Entscheidung des IOC das Russische Olympische Komitee (ROK) nicht von den Olympischen Spielen in Rio auszuschließen hat zu kontroversen Reaktionen geführt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA kritisiert den Beschluss genauso wie die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA oder der Präsident von Swiss Olympic. Auf der anderen Seite gibt es auch Sportler, auch deutsche, die darauf verweisen, dass man saubere, unschuldige Athleten, die es in Russland bestimmt gibt, nicht den Weg zu Olympia versperren dürfe. Diese Argumentation geht an der Sachlage jedoch vorbei. Ein Kommentar.

 

Was die Cross-Country-Disziplin angeht, auf den sich dieser Blog ja konzentriert, gibt es hinsichtlich des aktuellen Themas Russland und staatlich organisiertes Doping zwei Personalien: Irina Kalentieva und Anton Sintsov, die für das olympische MTB-Rennen nominiert sind und die es nach Lage der Dinge wohl auch bestreiten dürfen.* Was allerdings auch unter olympischer Flagge möglich gewesen wäre. Sofern man das gewollt hätte.

Das was da aktuell in der Sportwelt über die öffentliche Bühne geht, das zieht den gesamten (olympischen) Sport und damit auch den Wettkampf-Sport auf dem Mountainbike nachhaltig in den Dreck. Der Anti-Doping-Kampf wird (sport-)politischen Interessen geopfert. Von einer Organisation, deren Präsident zum Amtsantritt 2013 eine „Null-Toleranz-Politik“ behauptet hat und die sich bei jeder Gelegenheit ihres ethischen Anspruchs rühmt. Der auch jetzt davon spricht, es sei „um Gerechtigkeit“ gegangen. Ach ja?

Wir bekommen in diesen Tagen vom IOC ein entlarvendes Schauspiel dargeboten, das alle in Alarmstimmung versetzen sollte, die irgendwie an ehrlichen und fairen Sport glauben und ihn als solchen betreiben wollen.

Natürlich, wer informiert sein wollte, der konnte immer wissen: das ist nur Propaganda, durch die man wahre Interessen verschleiert. Doch jetzt kann nicht mal mehr der Schein gewahrt werden. Und das wird wohl Konsequenzen haben. Was das Publikum angeht und was die Sponsoren angeht ebenfalls.

Die Olympische Charta sieht vor: Suspendierung!

Halten wir fest: Wir haben es mit staatlich organisiertem und staatlich vertuschtem Doping zu tun. Das ist (abgesehen vom Staatsdoping in der DDR) der Unterschied zu all den anderen Doping-Skandalen, die das Publikum kennen lernen durfte. Sei es nun – die Reihenfolge ist wahllos und natürlich nicht vollständig – der Balco-Skandal in den USA, der Fuentes-Skandal in Spanien, mehr oder weniger organisiertes Doping im Team Telekom oder bei US Postal, das universitär verankerte in Freiburg oder, oder, oder. Das was in Russland, mit Hilfe des Geheimdienstes, geplant und umgesetzt wurde, gehört in eine andere Dimension und erschüttert das System Leistungssport in seinen Grundmauern.

In der Charta der Olympischen Spiele heißt es im Kapitel 6, dass im Fall einer Verletzung der Charta, des Welt-Anti-Doping-Codes oder jeder anderen Regel im Falle eines Nationalen Olympischen Komitees (1.4) die Suspendierung von den Spielen und der provisorische Ausschluss erfolgen kann (durch das Exekutive Board) bis hin zum vollständigen Ausschluss (durch die Vollversammlung) aus dem IOC.

Kein Signal gegen Doping

Bereits im November hat die WADA in ihrem ersten Ermittlungsbericht das, was die Russen betreiben, „non-compliant“ (nicht konform) mit dem WADA-Code sei. Schon da wäre eine Maßnahme fällig gewesen. Stattdessen hat man seitens des IOC „Besorgnis“ geäußert und auf jede Konsequenz verzichtet. Und auf Zeit gespielt, bis man die Entscheidung treffen musste, die – so halbherzig, widersprüchlich und unglaubwürdig wie sie ist – an Deutlichkeit wiederum nicht zu wünschen übrig lässt. Deutlich wurde nämlich, dass das 15-köpfige IOC Exekutiv-Board mit seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach, kein Signal gegen Doping im Sinn hatte, sondern machtpolitische Interessen.

Nichts anderes als eine Suspendierung des ROK wäre angesichts der belegten „Qualität“ an Betrug angesagt gewesen. Denn die Vorgänge rütteln so massiv an der Glaubwürdigkeit des Wettkampf-Sports im Allgemeinen, dass es da kein bisschen Pardon mehr geben dürfte.

Adressat für die russischen Sportler sind ihre Funktionäre und Politiker

Die Rede von Einzelfällen, denen man gerecht werden müsste, die führt auf die falsche Fährte. Die kann es geben, natürlich, aber außerhalb des ROK. So wie es der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) vorgezeichnet hat. Adressat der sauberen russischen Sportler ist nicht das IOC, sondern es sind die Verantwortlichen in Russland.

Es gibt ja sogar russische Sportler, die das so deutlich aussprechen: Der Hammerwerfer Sergej Litwinow am Samstag in der ARD (also noch vor der IOC-Entscheidung, aber im Angesicht der Bestätigung des Ausschluss der russischen Leichtathleten):

„Man muss aussprechen, dass der Verband und das Ministerium schuld sind. Das sollte der Anfang sein, dann können wir da irgendwann vielleicht rauskommen. Ich höre bei uns immer nur, dass die IAAF und die WADA schlecht sind. Einen Klimawandel habe ich im Verband nicht gesehen. Der Verband ist schuld und muss jetzt alles machen, damit die Athleten wieder eine Chance bekommen.“

Traum zerstören? Wessen Träume werden vom wem zerstört?

Wenn jemand wie Basketballer Dirk Nowitzki davon spricht, dass man „einem russischen Athleten, der immer alles sauber gemacht hat, der seit vier Jahren oder sein ganzes Leben auf diesen Moment hinarbeitet, nicht einfach seinen Traum zerstören“, dann ist das, sorry, eine sehr verengte Perspektive.

Erstens, bei staatlich organisiertem Doping, ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige tatsächlich sauber ist, nachweislich geringer als bei anderen Athleten. Und wie würde Nowitzki das feststellen wollen?

Zweitens vergisst Nowitzki dabei die sauberen Athleten, die von einem nicht-sauberen russischen Athleten betrogen werden. Was sagt er all denen, die durch Russen, von deren Betrugs-System in Sotschi und anderswo um Medaillen gebracht wurden?

Und drittens übersieht er die oben genannte Dimension des Staatsdopings, die unbedingt drastische Maßnahmen erfordert. Von einem, „einfach“ einen Traum zerstören, kann also nicht die Rede sein. Es ist nicht einfach, es geht um viel, um sehr viel.

Anti-Doping-Kampf wird Macht-Interessen geopfert

Die drastischen Maßnahmen hat ja Thomas Bach auch angekündigt. Von den „härtest möglichen“ Sanktionen war die Rede. Diese, eine Suspendierung, hat zum Beispiel Kuwait schon getroffen, wegen anderer, geringerer Vergehen. Im Fall Russland: Eine Fenster-Rede.

Dass er vor der sportpolitischen Großmacht Russland in die Knie gehen würde, war angesichts Bachs persönlicher Karriere, respektive Biographie allerdings auch anzunehmen. Er spielt seit eh und je auf der Klaviatur, die man aus von diesem in der Schweiz ansässige Verein kennt. Mit all den Ungereimtheiten bei der Vergabe der Olympischen Spiele, mit all den Knebel-Verträgen für die Ausrichter, mit all den intransparenten und undemokratischen Abläufen, den Mega-Kosten.

Seine Wahl zum IOC-Präsidenten hing nicht unwesentlich an Putin und dessen Einfluss-Sphäre. Bis in Details belegt und nachzulesen ist das unter anderem bei Jens Weinreich.

Damit jetzt niemand auf die Idee kommt, es würde hier um Russland-Bashing gehen: Die Nationalität, das Land spielt da keine Rolle. Wenn es denn den eigenen Interessen dient.

Eins dürfte jetzt zumindest noch viel mehr Leuten klar geworden sein: Es geht bei Olympia nicht um den Sport, es geht noch viel weniger um die Sportler. Die sind nur Staffage für Macht-Politik und in Teilen auch persönlicher Bereicherung.

Ethische Kriterien? Gelten aber nur für Whistleblower!

Fast noch fataler, auf jeden Fall aber noch viel sagender, ist der Beschluss des IOC die Whistleblowerin Julia Stepanowa, die den Stein überhaupt erst ins Rolllen brachte, nicht unter neutraler Flagge starten zu lassen. Mit der Begründung, sie würde „ethischen Kriterien“ nicht genügen weil sie ja selber gedopt habe. Ethische Kriterien, die das IOC selbst mit seinen Entscheidungen nicht im Geringsten erfüllt. Als Feigenblatt hat man sie als Zuschauerin auf die Tribüne eingeladen. Super.

Unglaubwürdiger geht’s nicht mehr. Und entlarvender auch nicht, wo der russische Sportminister Witali Mutko das gut heißt und gleich noch fordert, dass man Stepanowa „auf Lebenszeit“ sperren müsse. Weil sie das Betrugs-System unter seiner Ägide aufgedeckt hat? Aha!

Unhaltbar ist auch die Maßgabe, dass schon einmal erwischte russische Sportler keine Chance bekommen dabei zu sein, während ein zweimal erwischter 100-Meter-Sprinter Justin Gatlin mit dabei sein darf. Das, so der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, Clemens Prokop, würde einer Klage auch nicht standhalten.

Abstimmung in der Spezialdemokratie: 13:0:1 und ein Ausschluss wegen Befangenheit

Die Abstimmung über die, nun ja: Maßnahmen, ging übrigens mit 13 Ja-Stimmen und einer Enthaltung aus. Die kam von Athleten-Sprecherin Claudia Bokel, einer deutsch-niederländischen Ex-Fechterin. Warum auch immer sie sich enthalten hat, immerhin hat sie schon im Vorfeld bereits eine  Stellungnahme für die Suspendierung abgegeben.

Der 15. im Gremium ist Craig Reedie, Vorsitzender der WADA. Er wurde wegen Befangenheit von der Abstimmung ausgeschlossen! Ausschließen können sie beim IOC also schon, wenn sie wollen. Nicht ausgeschlossen von der Abstimmung wurden hingegen Patrick Hickey. Der Ire ist Vorsitzender des Europäischen Olympischen Komitees, das 2015 erstmals in Baku Europäische Olympische Spiele veranstaltete und das, nach einer Absage aus Holland, 2019 gerne in, ja: Russland wiederholen würde. Und auch nicht Sergey Bubka, früherer Stabhochspringer aus, ja: Russland.

Jens Weinreich nennt das gerne „Spezialdemokratie“.

Es wäre an der Zeit, dass die Athleten ihren Verbandsfürsten auf die Füße treten, siehe Litwinow. Aber richtig. Bevor sich Publikum und Sponsoren abwenden, bevor es zu spät ist und von dem was wir heute noch als Leistungssport kennen, nicht mehr viel übrig bleibt. Der steht am Scheideweg. Sofern er nicht schon drüber hinaus ist.

*In einer ersten Version des Kommentars war nur von Irina Kalentieva die Rede, aber Russland hat bei den Herren als Nachrücker für nicht in Anspruch genommene Plätze auch noch Anton Sintsov nominieren können.

 

 

 

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