L’Alpe d’Huez: Weitgehend unbekannte Französin schlägt Welt-Elite

Lena Gerault siegt beim Coupe de France über Jolanda Neff, Milan Vader bei den Männer. Und in der UCI Junior Series zeigen die deutschen Juniorinnen und Junioren hervorragende Leistungen.

L’Alpe d’Huez kennt wohl jeder Radsportfan: die berühmten 21 Kehren von Bourg d’Oisans hinauf in das Skiressort auf 1.850 Metern gehören zu den bekanntesten im Straßenradsport und sind regelmäßig wesentlicher Bestandteil der Tour de France. Am Samstag waren allerdings nicht die Straßenfahrer zu Gast in den französischen Alpen, sondern die Mountainbiker, um sich zum ersten Lauf zum Coupe de France, der nationalen französischen Serie, zu treffen.

Die Startliste versprach spannende Rennen und die Zuschauer wurden auf der vor allem physisch anspruchsvollen Strecke in der Höhe nicht enttäuscht – vor allem, weil es nicht die Favoriten waren, die in den Elite-Kategorien gewannen. Bei den Frauen erlebten das Publikum sogar eine handfeste Überraschung: die weitgehend unbekannte Französin Lena Gerault schlug in einer fulminanten Schlussrunde Europameisterin Jolanda Neff (SUI / Trek Factory), Weltmeisterin Pauline Ferrand-Prevot (FRA / Canyon) musste sich sogar mit dem fünften Platz begnügen – und hatte schon fast zwei Minuten Rückstand auf die Siegerin.

Unbekannte Französin: Lena Gerault © Ralf Schäuble / EGO-Promotion
Unbekannte Französin: Lena Gerault
© Ralf Schäuble / EGO-Promotion

Gerault überrascht Neff
Dabei hatte es zunächst wie schon in beim Proffix Swiss Bike Cup in Leukerbad nach einem Zweikampf zwischen Neff und der jungen Französin Loana Lecomte (Massi) ausgesehen. Lecomte konnte sich als Dritte in der Elite-Klasse im Ziel über den Sieg in der U23-Klasse freuen. Doch in der vorletzten Runde schloss Gerault zu dem Führungsduo auf und zog ansatzlos an den beiden Überraschten vorbei, war stark am Berg und leistete sich in der Abfahrt keine Fehler mehr. Binnen einer Runde nahm sie Neff 26 Sekunden ab. Und am Ende musste sich wohl nicht nur Neff fragen: wer in aller Welt ist das?

Die 25-jährige Lena Gerault ist erst in diesem Jahr zum UCI-Team VTT VCA Anjos (VCA steht übrigens für den Velo Club Ambérieu, 50 km nordöstlich von Lyon) gewechselt, als amtierende französische Marathon-Meisterin.2016 hatte sie auf der Straße den Titel der U23-Meisterin geholt. Im Olympischen Cross-Country-Sport ist sie allerdings weitgehend unbekannt, im vergangenen Jahr beendete sie alle Weltcups zwischen Platz 35 und 42 – zeigte also eine konstante, aber keine herausragende Leistung. Im aktuellen UCI-Ranking wird sie auf Platz 96 geführt, vor Jahresfrist wurde sie – ebenfalls in L’Alpe d’Huez – bei den französischen Meisterschaften Sechste.

Sarrou sah wie Sieger aus
Bei den Männern schien der Sieger mit Jordan Sarrou (Absolute Absalon) ebenfalls früh festzustehen. Doch auch hier entschied die letzte Runde über Sieg und Niederlage. Nach drei von sieben Runden hatte Sarrou die alleinige Führung übernommen, dahinter lauerte eine Dreier-Gruppe von KMC-Orbea: der Schweizer Thomas Litscher , die Niederländische Meister Milan Vader und der Französische Meister Victor Koretzky. „Ich habe versucht, mein Tempo zu bestimmen, ohne mir zu viele Gedanken darüber zu machen, was da hinter mir vor sich geht“, sagte Sarrou nach dem Rennen gegenüber dem französischen Magazin Velovert. „Ich wusste natürlich, dass gleich drei Fahrer von einem einzigen Teams hinter mir sind“, beschrieb der aktuelle Siebte in der Weltrangliste die Situation.

Doch zunächst konnte sich Sarrou absetzen. In der vorletzten Runde schmolz sein Vorsprung aber wieder dahin, in der letzten konnte Milan Vader zu ihm aufschließen. „Als Milan zu mir zurückkam, war ich komplett leer.“ Vader zog an Sarrou vorbei und siegte letztlich mit elf Sekunden Vorsprung vor dem Franzosen. „Milan war heute definitiv sehr stark. Da war es mir unmöglich, dran zu bleiben“, zollte Sarrou dem Niederländer in französischen Diensten Respekt. Der dritte Platz ging an Thomas Litscher, Victor Koretzky (5.) musste noch Maxime Marotte (Cannondale Factory Racing) passieren lassen. Der einzige deutsche Starter im Männerfeld, Miron Lipp (Orbea-Serpentine) aus Rheinfelden, beendete das Rennen mit drei Runden Rückstand als 106.
Für die Franzosen war der erste Lauf zum Coupe de France gleichzeitig auch Generalprobe für die in zwei Wochen stattfindenden Französischen Meisterschaften in Ménuires, nur 50 Kilometer Luftlinie nordöstlich von L’Alpe d’Huez und als Skigebiet ebenfalls auf über 1.800 Metern über dem Meer. Da darf man durchaus gespannt sein, nicht nur, weil Meisterschaften ohnehin oft ihre eigenen Gesetze haben.

UCI Junior Series: Deutsche hervorragend

Baumloses Gelände auf 1.850 M.ü.d.M.: Finja Lipp fährt schnell bergab © Ralf Schäuble / EGO-Promotion
Baumloses Gelände auf 1.850 M.ü.d.M.: Finja Lipp fährt schnell bergab
© Ralf Schäuble / EGO-Promotion

Doch wichtiger als der Coupe de France in den Elite-Klassen war aus deutscher Sicht der in L’Alpe d’Huez ausgetragene Lauf der UCI Junior Series. Und dabei zeigten die deutschen Nachwuchstalente unter den Augen von Bundestrainer Marc Schäfer Bestleistungen, auch wenn es nur für eine einzige Medaille auf dem Podium reichte: Finja Lipp (Orbea Serpentine) konnte bei den Juniorinnen als Dritte aufs Treppchen steigen, ihr folgten unmittelbar Sina van Thiel (RSC Kempten) und Alexa Fuchs (Stevens) auf den Plätzen vier und fünf. Bemerkenswert: alle drei Sportlerinnen entstammen dem jüngeren Juniorinnen-Jahrgang 2003, sind also erst fast oder gerade 17 Jahre alt. Der Deutsche Meister Lennart Krayer (Lexware) musste wie schon in Leukerbad bei der Siegerehrung zusehen: in der Schweiz waren fünf Sportler geehrt worden, er war Sechster geworden. In L’Alpe d’Huez erreichte er immerhin den vierten Platz, dort wurden aber nur drei Fahrer geehrt. Sein Teamkollege Thore Hemmerling vervollständigte als Sechster die hervorragende Bilanz des Bundes Deutscher Radfahrer. Alle genannten Sportler haben damit die A-Norm für die Qualifikation zu den Europa- und Weltmeisterschaften auf Anhieb erfüllt.

„Alle drei [Juniorinnen]sind ein extrem gutes Rennen gefahren“, betont Marc Schäfer. „Dass die drei schnell sind, wusste ich die ganze Zeit schon, aber dass wirklich alle so eine tolle Leistung abliefern, hätte ich nicht erwartet.“ Großes Potential sieht Schäfer auch bei Kira Böhm (14., Walcher Racing Team), die in L’Alpe dHuez aber nicht ihre volle Leistung abrufen konnte. Die junge Sportlerin war beim Training in Leukerbad schwer gestürzt, hatte sich eine Gehirnerschütterung zugezogen und befindet sich nach einer kurzen Trainingspause jetzt ein bisschen im Rückstand.

Lennart Krayer auf dem Weg zu Platz 4 © Ralf Schäuble / EGO-Promotion
Lennart Krayer auf dem Weg zu Platz 4
© Ralf Schäuble / EGO-Promotion

Bei den Junioren waren die Positionen bereits früh gefestigt. Der siegreiche Franzose Mathis Guay hatte sich bereits in der ersten von fünf Runden von seinen Verfolgern abgesetzt und fuhr nach 1:05:12 Stunden mit einem Vorsprung von 56 Sekunden auf den Schweizer Janis Baumann (Monte Tamaro) über die Ziellinie. Der Dritte, der Franzose Adrien Boiochis hatte bereits 2:56 min Rückstand, Lennart Krayer als Vierter passierte neun Sekunden später die Ziellinie. Auch wenn er damit das Podium verpasst hatte, zeigte er sich nach dem Rennen mit seiner Leistung zufrieden.
Das konnte auch Thore Hemmerling von sich behaupten. Er war aus der ersten Startreihe gestartet und hatte sich auf Platz fünf einsortiert, bis ihn Krayer auf seinem eigenen Weg nach vorne einen Platz nach hinten verwies. „Ich konnte meine Startposition ins Ziel bringen“, sagte der Saarländer glücklich. „Der Bundestrainer hat nicht damit gerechnet, dass ich die WM-Norm heute schaffe, deshalb bin ich froh, ihm gezeigt zu haben, dass ich es kann.“ Der dritte Lexware-Fahrer im Nationalkader, Louis Krauss, kämpfte mit einem platten Reifen in der zweiten Runde und in der Folge mit einer schleifenden Bremse beim Ersatzlaufrad. Für ihn war es schon der zweite Platten in Folge, entsprechend enttäuscht war er dann auch über das Ergebnis. Stop&Go-Marderabwehr-Fahrer Ben Schweizer erreichte als 15. das Ziel in L’Alpe d’Huez und sicherte sich so eine von zwei notwendigen Erfüllungen der B-Norm, um für die geplanten Weltmeisterschaften in Saalfelden-Leogang / AUT Anfang Oktober nominiert zu werden.

Pechvögel im BDR
Krauss war aber nicht der einzige Pechvogel in den Reihen des BDR: Luca Effinger verlor mit der Veröffentlichung der neuesten Ausgabe der Weltrangliste sämtliche Punkte aus dem letzten Jahr und rutschte so in der Startaufstellung von Platz 30 auf Rang 70. Noch schlimmer traf es allerdings Michael Stocker von den KTM Youngsters Bayern: der 18-Jährige bemerkte auf dem Weg vom Aufwärmen zur Startaufstellung, dass sein Rahmen – warum auch immer – gebrochen war. „Hätten wir es zehn Minuten vorher bemerkt, hätten wir noch reagieren können“, meinte Bundestrainer Marc Schäfer. So musste Stocker zusehen, während die anderen um Junioren-Weltranglisten-Punkte kämpften.

Erreichjte WM-Norm: Thore Hemmerling © Ralf Schäuble / EGO-Promotion
Erreichjte WM-Norm: Thore Hemmerling
© Ralf Schäuble / EGO-Promotion
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