Operation Aderlass: Christina Kollmann-Forstner tritt nach

Die Doperin, die bis zu der Aberkennung des Titel als Marathon-Vizeweltmeisterin 2018 geführt wurde, behauptet in der Gerichtsverhandlung gegen den Arzt Mark Schmidt, dass „neun der zehn Besten schon mal akut oder zuvor wegen Dopings gesperrt gewesen“ wären, als sie selbst zur Weltspitze stieß

Es ist ein altbekanntes Schema, mit dem sich Doper*innen die Welt schön reden: „Die anderen machen das ja auch alle.“ Es mag natürlich sein, dass in dem Satz ein Körnchen Wahrheit mitschwingt. Aber – wie bei allen Straftaten – es muss halt eben in jedem Einzelfall individuell festgestellt werden.

Vergangene Woche saß die Österreicherin Christina Kollmann-Forstner auf dem Zeugenstuhl des Landgerichts München II. Ihr eigener Prozess ist längst vorbei: Sportrechtlich wurde die heute 32-Jährige für die Dauer von vier Jahren bis zum Ablauf des 27. Mai 2023 von der Teilnahme an Sportveranstaltungen jeglicher Art gesperrt, alle Ergebnisse nach dem 1. November 2016 gestrichen, Start- und Preisgelder in Höhe von über 40.000 Euro waren zurückzuzahlen. Strafrechtlich wurde Kollmann-Forstner zu acht Monaten Haft auf Bewährung wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Doping verurteilt worden, nachdem sie ein, so hat es das Gericht genannt, reumütiges Geständnis abgelegt hatte.

Jetzt ist sie selbst Zeugin gegen den mutmaßlichen Drahtzieher Dr. Mark Schmid, dessen Patientin – oder wohl eher: Kundin – sie war. Auch in München spricht sie offen über die Dopingpraktiken, über Blutdoping-Kuren, Wachstumshormone und getrocknete Blutblättchen. 2016 begann die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Radfahrerin, die zu dem Zeitpunkt schon eine Größe im Cross-Country-Sport in Österreich gewesen war: 2012 war sie hinter der damals erst 20-jährigen Lisa Mitterbauer Österreichische Vizemeisterin im Cross-Country geworden, ein Jahr später Staatsmeisterin im Marathon. Doch Kollmann-Forster wollte mehr, wollte international vorne mitfahren, Und weil sie glaubte, dass da vorne eh alle dopen würden, tat sie das auch: „Als sie in die Weltspitze vorstieß, seien neun der zehn Besten schon mal akut oder zuvor wegen Dopings gesperrt gewesen“, rezitiert die Süddeutsche Zeitung in der Ausgabe vom 25. November 2020 vor dem Landgericht München. „Und die zehnte Fahrerin? Das sei sie gewesen.“ Nach ihrer Aussage sei chemische Nachhilfe in dieser Preisklasse „nun mal Gang und Gäbe“ gewesen, die Athleten hätten offen darüber gesprochen. In manchen Teams aus „gewissen Ländern“ würde die gewisse medizinische Betreuung sogar mit angeboten.

Ja, es gibt sie, die Dopingfälle im Mountainbike-Sport, auch im Marathon: Die Italienerin Annabella Stropparo war 2007 schon positiv aufgefallen und zwei Jahre gesperrt worden. Ihre Landsfrau Mara Fumagalli war 2017 schon für sechs Monate gesperrt worden, ehe sie 2019 – sie war gerade im norwegischen Kvam Marathon-Europameisterin geworden – bei einem Routinetest erneut positiv getestet wurde. Vor wenigen Wochen wurde sie daraufhin für vier Jahre von der italienischen Antidopingagentur NADO bis zum 24. Juli 2024 gesperrt. Und 2016 fiel auch die Slowenin Blaza Klemencic (heute Pintaric) „positiv“ auf, just in jenem Jahr 2016, als auch Kollmann-Forstner ihre Dopingkarriere begann. Und die führte zu positiven Ergebnissen: Die Steirerin kürte sich am 13. August 2017 beim Škoda Horal Alto Marathon im slowakischen Svit zur Marathon-Europameisterin, gut ein Jahr später wurde sie im italienischen Auronzo di Cadore mit der Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften dekoriert. Rund 20 Watt Trittkraft habe ihre Nachhilfe ihr zusätzlich geschenkt, schreibt die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf die Aussage von Kollmann-Forstner.

Doch zumindest auf dem Papier ist die Assage von Kollmann-Forstner, neun von zehn Top-Fahrerinnen wären gedopt gewesen, nicht haltbar: Sportlerinnen wie Jolanda Neff, Annika Langvad, Gunn-Rita Dahle-Flesja, Maja Wloszczwoska , Sabine Spitz standen damals in den Ergebnislisten ganz vorne, doch keine einzige von ihnen ist bisher mit substantiellen Dopingvorwürfen belastet worden, wie Stefan Loibl vom BIKE Magazin betont. Und doch führt Kollmann-Forstner sie als Grund an, warum sie die Hemmschwelle überwunden hat und einen Arzt um Hilfe bat.

„Ich finde es schwach von ihr, dass sie so eine Aussage jetzt im Nachhinein tätigt. Aber das ist genau das Muster, dass viele Dopingsünder später als Legitimation für ihr Handeln bringen“, zitiert das BIKE-Magazin den ehemaligen Marathon-Weltmeister Alban Lakata. „Es mag sein, dass die ein oder andere, die zu dieser Zeit in der Marathon-Weltspitze mitgefahren ist, eine Doping-Vergangenheit hat. Aber in ihre Anschuldigungen schließt sie auch einige große Namen ein, die sich nie etwas zu Schulden haben kommen lassen.“ Eine so pauschale Aussage werfe kein gutes Licht auf den Mountainbike-Sport.

Lakata fordert im BIKE-Magazin seine Landsfrau auf, das richtig zu stellen. Das könnte natürlich auch heißen, dass sie konkret andere Sportler*innen benennt und des Dopings bezichtigt. Doch bislang hat sie es nur bei allgemeinen Vorwürfen belassen und letztlich wohl nur das eingeräumt, was ohnehin schon bekannt war. Aber auch dieses Muster ist bekannt.

 

https://www.sueddeutsche.de/sport/aderlass-prozess-doping-mountainbike-1.5125989-0

https://www.bike-magazin.de/mtb_news/szene_news/kollmann-forstner-doping-prozess-aderlass

 

Facebook Auto Publish Powered By : XYZScripts.com