20 Köpfe für 2020 (9): Ein geplatzter Olympia-Traum wird zur perfekten Story
Maja Wloszczowska über die polnische Blase, ein Dream-Team und „die mit dem gebrochenen Bein“
Sie ist eine Athletin, die jenseits ihrer Heimat nur selten porträtiert wurde. Dabei verkörpert Maja Wloszczowska seit 15 Jahre Weltklasse-Format. Die Polin hat aber nicht nur zwei olympische Silbermedaillen gewonnen, zwei Weltmeister-Titel geholt und gehört bei den UCI Mountainbike Weltmeisterschaften in Albstadt zu den Medaillenkandidatinnen. Sie prägt auch mit ihrer Persönlichkeit den Cross-Country-Sport und sie vertritt die Biker in Gremien des Radsport-Weltverbands UCI. Gründe genug, sich Maja Wloszczowska in der WM-Serie „20 Köpfe für 2020“ anzunähern.
Rein sportlich betrachtet, spannt sich die Erfolgsgeschichte von Maja Wloszczowska (sprich: Wloschowska) über zwei Jahrzehnte. Als Juniorin wurde sie 2000 und 2001 zweimal Vize-Weltmeisterin. Das Regenbogen-Jersey durfte sie sich aber nur zwei Jahre später erstmals überstreifen. Sie wurde 2003 im Alter von nur 19 Jahren die erste Marathon-Weltmeisterin der Geschichte. 2010 gelang ihr das auch im Cross-Country.
Maja Wloszczowska, es sind schwierige Zeiten, in denen wir uns zum Gespräch verabredet haben. Aktuell finden wegen der Corona-Krise keine Wettkämpfe statt und Sie sind zuhause in Jelenia Góra.
Ja, ich hatte Glück. Ich bin vom Trainingslager in Spanien noch nach Hause gekommen, bevor unsere Regierung die Grenzen dicht gemacht hat. Ich muss zuhause bleiben, aber um auf dem Bike zu trainieren, kann ich noch rausgehen.
In Sachen Corona waren Sie auch Teil der Telefon-Konferenz mit dem IOC, in der es Woche um die olympischen Spiele in Tokio ging. Seit zweieinhalb Jahren sind Sie als gewählte Athleten-Vertreterin Teil der Mountainbike-Kommission des Radsport-Weltverbands UCI, sowie in der Athleten-Kommission der UCI. Haben Sie den Eindruck, Sie können dort etwas bewirken?
Wir werden gefragt und ich habe den Eindruck, dass unsere Meinung wirklich was zählt. Seit ich 2017 gewählt wurde, konnte ich viele Male sagen, was wir Athleten zu bestimmten Fragen und Entscheidungen denken. Und sie respektieren unsere Meinung. Anfangs dachte ich, dass das nur eine politische Maßnahme war, weil große Organisationen zeigen müssen, dass sie so was haben. Aber tatsächlich funktioniert das.
Sie hatten Angst, dass es eine Show-Veranstaltung ist?
Ja, aber so ist es nicht. Wir können Fragen von Sportlern an die richtige Adresse weiterleiten und Diskussionen in Gang bringen. Ich freue mich, dass ich da was bewirken kann.
Sie haben für die Mountainbiker eine Facebook-Gruppe ins Leben gerufen. Da sind immerhin 96 Sportlerinnen und Sportler vertreten?
Ja, aber um ehrlich zu sein: manchmal, wenn ich eine Frage in die Gruppe gestellt habe, gab es nicht zu viele Antworten (lacht). Aber inzwischen schauen die Leute ein bisschen öfter in die Gruppe. Auf jeden Fall bin ich froh, dass wir das haben. Wenn es ein Problem gibt, dann können wir drüber reden.
Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass nur wenige Sportler über ihren eigenen Belange hinaus schauen. Wie sehen Sie das?
Ah, nein, das würde ich nicht verallgemeinern. Aktuell, wo es wegen des Corona-Virus um die Qualifikation für Olympia geht, da sehen die Athleten schon das große Ganze und sagen, dass die Welt größere Probleme hat als unseren Sport. Zumindest unsere Mountainbike-Community ist da sehr lebensnah, würde ich sagen. Das hat man auch gesehen, als das Cape Epic (renommiertes MTB-Etappenrennen in Südafrika) zwei Tage vor dem Start abgesagt wurde. Da habe ich keinen einzigen bösen Kommentar gefunden, alle haben das unterstützt.
Maja Wloszczowska wurde 2017 als Athleten-Vertreterin in die Mountainbike-Kommission des Radsport-Weltverbands UCI gewählt und sitzt auch in der Athleten-Kommission der UCI. Zudem ist sie auch Athleten-Vertreterin im polnischen Olympischen Komitee. Der Niederländer Leo van Zeland, sportlicher Leiter während ihrer Zeit im internationalen Team Giant Pro XC, nannte sie eine „echte Persönlichkeit“, ein Mensch, der für Werte steht und sie lebt.
Sie haben früh begonnen Rad zu fahren. Ihre sportliche Mutter hat Sie dazu animiert. Im Winter Skilaufen, im Sommer Rad fahren. Aber es hat gedauert, bis Sie tatsächlich zum Radsport kamen.
Das stimmt. Ich hatte Angst, dass die Schule drunter
leiden würde, wenn ich in einen Verein gehe und regelmäßig trainiere.
In der Schule gut zu sein, das war wichtig für Sie?
Ja, ja. Zu der Zeit war das so. Das ist für Kinder vielleicht nicht ganz gewöhnlich (lacht), aber ja, das war so. Als ich jung war, habe ich Schule geliebt.
Sie haben dann aber doch den Weg eingeschlagen und sind Rennen gefahren.
Beata Salapa war damals polnische Cross-Country-Meisterin und sie war Sport-Lehrerin an meiner Schule. Sie hat mich ermutigt, es zu probieren. So bin ich mal ins Training gegangen und es hat mir gleich so gefallen, dass ich bis heute dabei geblieben bin (lacht).
Sie haben in Polen auch einige Titel auf der Straße gewonnen und als Juniorin haben Sie im Straßenrennen bei der WM auch Bronze geholt.
Ich würde mich selbst nicht als Straßenfahrerin bezeichnen. Wir Mountainbiker trainieren auf der Straße und fahren von Zeit zu Zeit Rennen. Aber für mich war das immer nur Mittel zum Zweck, also Training. Ich mag Straßenrennen, aber es gab keine Möglichkeit das für eine längere Periode zu betreiben. Bedauern tu ich das allerdings nicht, weil den Mountainbike-Sport bevorzuge.
Ihr Selbstverständnis ist also das einer Mountainbikerin?
Definitiv. Mountainbiken bereitet mir viel mehr Vergnügen als auf der Straße zu fahren. Aber ich liebe auch unsere Community. Mir gefällt das, wenn beim Weltcup Männer und Frauen am selben Ort sind. Ich finde, wir sind da ein sehr gutes Vorbild. Ich mag die Leute und finde, wir Montainbiker leben mehr so ein Hippie-Leben (lacht). Das passt besser zu mir. Wir leben mehr Freiheit. Vielleicht sind wir die glücklicheren Menschen.
Okay, ich würde nicht sagen, dass die Straßenfahrer das nicht sind, aber ich denke, wir haben mehr Spaß. Bei den Männern ist das Geld natürlich ein Grund Straßen-Rennen zu fahren, aber ich habe gehört, dass auch Peter Sagan (dreifacher Straßen-Weltmeister aus der Slowakei, aber als Junior auch auf dem Mountainbike Weltmeister) lieber Mountainbiker wäre. Aber in seinem Fall ist das nachvollziehbar, dass er es nicht ist.
Für Frauen ist der Wechsel auf die Straße nicht so attraktiv?
Man kann erkennen, dass sich der Frauen-Rennsport auf der Straße sich gut entwickelt und sichtbarer wird. Aber ich würde niemals wechseln.
Sie haben die MTB-Community angesprochen. Kann es sein, dass Sie selbst bis zum Wechsel ins internationale Giant Team Ihren Sport ein wenig in einer polnischen Blase gelebt haben?
Ja, polnische Blase, das ist die perfekte Beschreibung. Ich habe mich in den polnischen Teams wirklich sehr wohl gefühlt und hatte viel Spaß mit den anderen Frauen. Aber wir waren international tatsächlich etwas isoliert. Unserem Team-Manager ging es damals vor allem um den Markt in unserem Heimatland und er hatte kein Interesse daran, dass wir mit anderen Teams in Kontakt waren.
Aber das andere Problem war die Sprache. Ich war die einzige im Team, die Englisch gesprochen hat. Wenn ich irgendwo hin wollte, dann musste ich alleine gehen. Das war sicher noch der wichtigere Grund. Aber ich hatte trotzdem schon Freunde in der Szene durch mein Rennen in Jelenia Góra. Dadurch habe ich viele Kontakte bekommen.
Aber wenn ich meine ganze Karriere anschaue und ich irgendwas bedaure, dann, dass ich nicht früher in ein internationales Team gewechselt bin. Ich meine nicht, dass sie im Blick auf die Resultate besser sind, aber für meine persönliche Entwicklung, war Giant die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.
Beim damaligen Giant-Team sind Sie auf Jolanda Neff getroffen.
Ja, da hatte ich auch Glück, dass wir ein so großartiges Team hatten. Jolanda war da, Marianne Vos, Pauline Ferrand Prevot und exzellente Jungs wie Fabian (Giger), Emil (Lindgren), Michiel (van der Heijden) und Henky (Henk-Jaap Moorlag). Das war die beste Zeit meines Lebens. Ich meine, jetzt bei Kross ist es auch schön, aber damals, das war ein absolutes Dream-Team.
Jolanda ist knapp zehn Jahre jünger als Sie…
..daran müssen Sie mich nicht erinnern (lacht).
Sorry..
..ja, zehn Jahre, das stimmt.
Aber offensichtlich haben Sie ein sehr gutes Verhältnis. Hat sich das über die Jahre verändert? Sie war damals noch U23-Fahrerin und sie konnte sicher von Ihnen was lernen, oder?
Hmm, das wäre zu viel der Ehre. Jolanda ist eine sehr, sehr kluge Person und sie kann von anderen Leuten lernen, was immer sie lernen will. Sie nimmt von allen Leuten etwas auf, die ihr begegnen und ich bewundere Ihre Fähigkeiten. Ich würde vielleicht sagen, dass ich ihre Entwicklung beobachten konnte.
Ich kann mich an unser erstes Team-Camp auf Zypern erinnern, als sie überlegt hat ob sie im Weltcup (vorzeitig) in die Elite wechseln sollte oder in der U23 bleiben. Sie notierte sich alle positiven und negativen Punkte auf einem Papier. Als junge Fahrerin war sie da noch ein bisschen überfordert (lost), aber ein Jahr später hat sie in der Elite schon die Gesamtwertung gewonnen.
Sie ist sehr schnell gewachsen. Aber es war großartig zu erleben, dass sie sich als Mensch nicht verändert hat. Das kann ich objektiv wirklich sagen. Innerhalb eines Jahres wurde sie ein Star, aber sie ist dieselbe geblieben.
Zu Beginn ihrer Karriere ist sie ihre Rennen gerne offensiv angegangen, bisweilen zu offensiv. Und sie hat mal gesagt, dass sie dann Ihren Rat befolgt hat, sich zurückzuhalten.
Ja, das kann sein. Sicher haben wir darüber geredet. Wenn ich ihr was zu sagen hatte, habe ich das auch getan. Aber wie gesagt, sie ist eine kluge Person und trotz des Umstands, dass ich mehr Erfahrung habe, konnte ich auch von ihr lernen. Sie gab mir auch gute Inputs. Ich erinnere mich, dass auch Fabian immer zugehört hat, wenn sie was sagte. Ich denke, sie hat nicht immer kluge Sachen gesagt (lacht), sicher nicht. Aber in vielen Punkten schon, wir haben alle voneinander gelernt.
Nachdem sich Giant als Sponsor zurückzog und Jolanda Neff für zwei Jahre bei Stöckli unter Vertrag war, sind Sie bei Kross noch mal für zwei Jahre zusammen gefahren.
Ich würde nicht sagen, dass wir die Gunst des Augenblicks genutzt haben, als sich Stöckli zurückgezogen hat. Aber ja, alle (Teams) haben mit Jolanda gesprochen. Sicher war es ein glücklicher Umstand, dass ich am Ende der Saison mein eigenes Rennen organisiert habe und dazu meine engsten Freunde (im MTB-Zirkus) für eine ganze Woche eingeladen habe. Jolanda, Nathalie (Schneitter) und Eva (Lechner). Wir haben eine super schöne Woche gehabt und es war sicher eine gute Gelegenheit für Jolanda, um herunter zu kommen.
Sie hatte so viele Optionen und es wäre schwierig gewesen, sich da zu entscheiden. Sie hat gesehen, dass sie viel Unterstützung von meiner Seite, aber auch vom Kross-Manager Tomas Szcierwinsky. Wir haben sie nicht gedrängt und es war das, was sie in dem Moment gebraucht hat. Als sie Kross verlassen hat, konnte ich das auch verstehen. Wir bleiben Freundinnen für’s Leben, egal für welche Teams fahren. Für mich ist es aber sehr wertvoll für eine Marke zu fahren, die ihre Bikes komplett in Polen produziert. Das ist für mich eine zusätzliche Motivation.
Sie haben Ihr Rennen in Jelenia Góra erwähnt, das „Maja Race“. Wie sehr sind Sie da tatsächlich involviert?
Die Idee dazu kam auf, als ich 2008 im Rathaus für meine Olympia-Medaille geehrt wurde. Wir dachten, es wäre ein guter Zeitpunkt meine Popularität zu nutzen und den Sport zu den Leuten in meiner Stadt zu bringen. Ich habe nach einem Organisator gesucht, aber die ersten Jahre waren hart. Ich habe nach der Strecke geschaut, Leute gesucht, die sie aufbauen, alle Fahrer eingeladen, die ganze Logistik verantwortet und war für die ganze Medien-Arbeit zuständig.
Ich musste den Leuten erst mal zeigen, wie man ein Cross-Country-Rennen organisiert, weil die bis dahin nur Marathons veranstaltet haben. Anstatt mich warm zu fahren, musste ich den Streckenposten zeigen, wo sie zu stehen haben. Das war ziemlich stressig (lacht). Organisieren, Rennen fahren und sich um das Publikum und die Medien kümmern, danach war ich immer erschöpft. Aber ich freue mich jedes Jahr, wenn all die Fahrer von überall aus der Welt kommen und sich in meiner Heimatregion wohl fühlen.
Sie haben Finanz- und Versicherungs-Mathematik studiert. Was war die Idee dahinter als Sie sich für diesen Studiengang entschieden haben?
Als ich mich dafür entschieden habe, war ich 19. In dem Alter weißt du nicht, wie sich deine Sportkarriere entwickelt. Ich hatte mir auch überlegt Sportmarketing zu studieren, aber vor allem meine Mutter hat mich dazu ermutigt etwas zu studieren, was eine sichere Zukunft hat. Ich würde aus heutiger Sicht nicht sagen, es war die richtige Entscheidung.
Sportmarketing würde jetzt vielleicht besser passen. Aber ich bereue das nicht. Es waren fünf harte Jahre, aber für meine persönliche Entwicklung war das gut. Es hat mich gezwungen, meine Augen offen zu halten und nicht nur auf meinen Lenker zu starren. Ich kam in Kontakt mit Leuten, die sich für Radsport nicht interessiert haben und ich musste meinen Kopf anstrengen.
Wollen Sie nach Ihrer Karriere in dieser Branche arbeiten?
Um ehrlich zu sein: selbst wenn ich wollte, wäre ich nicht in der Lage dazu. Ich habe mein Studium vor zwölf Jahren beendet und habe keinerlei Praxis. Ich müsste noch ein, zwei Jahre lernen, um da wieder einzusteigen. Auf der anderen Seite bin ich als Sportlerin in einer angenehmen Situation. Es gibt einige Möglichkeiten für mich, um in der Welt des Sports zu bleiben, was ich von ganzem Herzen auch will.
Haben Sie bereits Pläne, was Sie nach Ihrer Karriere machen?
Ja, ich habe eine Bucket-List von Dingen, die ich gerne tun würde (schmunzelt). Aber es ist nicht ein Job. Ich hoffe, ich habe ein paar Ersparnisse, um mein Leben ein bisschen zu genießen. Ich habe den Sport immer sehr ernst genommen und speziell mit meinem schwachen Immunsystem musste ich immer alle riskanten Aktivitäten vermeiden. Eigentlich bin ich das ganze Jahr in Quarantäne (schmunzelt).
Es sind ein paar Dinge, die ich gerne tun würde. Skitouren oder Kite Surfing, Reiten, zu großen Konzerten gehen. Das habe ich vor zu tun. Aber was den Job angeht, werde ich versuchen meine Bekanntheit zu nutzen, so lange sie noch da ist. Ich habe jetzt schon viele Anfragen von Unternehmen für Bike-Events und Reden zu halten. Vielleicht kann ich auch meine Erfahrungen auf der ganzen Welt nutzen, um Bike-Camps zu veranstalten. Wir werden sehen.
Haben Sie eine Entscheidung getroffen, wann Schluss sein soll?
Ja, 2020 soll meine letzte Saison werden. Aber wenn die olympischen Spiele verlegt werden, dann wird mich das in ein großes Dilemma stürzen (Das Interview wurde vor der Entscheidung die Spiele zu verlegen geführt). Ich würde meine Karriere gerne mit Olympia beenden. Wir werden sehen. Wenn sie dieses Jahr stattfinden, dann werde ich meine Karriere als Weltcup-Fahrerin sicher beenden. Vielleicht fahre ich dann noch ein paar Hobby-Rennen, vielleicht das BC Bike-Race (in Kanada) oder in Kolumbien.
Maja Wloszczowska erlebte im Laufe ihrer Karriere auch einige dramatische Enttäuschungen. 2001 als Juniorin, war sie bis kaum 200 Meter vor dem Ziel auf dem Weg zum Titel. In Vail, Colorado, lag sie vor der Britin Nicole Cooke an der Spitze als sie in die falsche Richtung fuhr. Das hatte damit zu tun, dass zeitgleich die männlichen Junioren auf der Strecke waren. Zwei Tage vor dem Beginn der MTB-WM wurden am 11. September 2001 die Anschläge auf das World Trade Center verübt. Dadurch wurde der ursprüngliche Zeitplan zusammen geschoben und alle Cross-Country-Rennen an einem Tag ausgetragen. Darauf angesprochen, reagiert Maja Wloszczowska auch heute noch emotional.
2011 verlor sie den WM-Titel durch einen Defekt in der letzten Runde, 2016 die Silbermedaille, ebenfalls durch einen Defekt in der letzten Runde und Bronze dann hauchdünn im Sprint gegen die Kanadierin Emily Batty.
Sechs Millionen Leute sollen in Polen das olympische Damen-Rennen in Rio gesehen haben. Wie sehr sind Sie als Mountainbikerin in Polen bekannt? Erkennen Sie die Leute auf der Straße?
Hmm, das hängt davon ab, wo. In meiner Stadt kennen mich die meisten Leute. Jelenia Góra hat 70.000 Einwohner. Wenn ich nach Warschau gehe, dann kann ich meistens immer noch anonym durch die Stadt laufen. Manchmal erkennt mich jemand, aber es ist nicht so, dass ich darunter zu leiden hätte.
Als Mountainbiker haben wir ja meistens Helm und Brille auf, so dass man uns in normaler Kleidung nicht erkennt. Wenn ich meinen Führerschein zeigen muss, kann es schon passieren, dass es heißt: ‚oh, Maja’ (lacht). Ich würde sagen, ich bin so bekannt, dass es mein Leben nach dem Sport ein bisschen einfacher macht, aber nicht so, dass es mich belästigt.
Vermutlich sind für Ihre Bekanntheit die beiden olympischen Silbermedaillen 2008 und 2016 am meisten verantwortlich.
Ja, die haben alles um 180 Grad gedreht. Aber ich hatte auch das Glück in einer bekannten TV-Show dabei zu sein. Das hat mich sicher einem größeren Publikum bekannt gemacht. Aber es waren sicher die Medaillen, ja….obwohl, wenn ich jetzt darüber nachdenke…als ich jetzt vom Trainingslager in Spanien zurückgekommen bin, haben sie mir am Flughafen wegen des Corona-Virus Temperatur gemessen und mich kontrolliert. Dann sagte einer: „Oh, sind Sie die mit dem gebrochenen Bein“? (Lacht)
Er spielte auf London 2012 an, als sie sich zwei Wochen vor den olympischen Spielen im Trainingslager den Knöchel gebrochen haben.
Das war drei Tage lang in allen polnischen Medien. So was hast du sonst nicht, auch nicht mit der Goldmedaille. Ich bin jetzt halt die mit dem gebrochenen Bein.
Es war damals bestimmt eine riesige Enttäuschung, aber – pardon – es war aus dieser Perspektive der beste Zeitpunkt, um sich das Bein zu brechen. Nach der Saison hätte das vermutlich höchstens halb so viele Leute interessiert.
(Lacht). Ja, aber noch besser, dass ich wieder zurückgekommen bin und in Rio noch mal eine Medaille gewonnen habe. Das war die perfekte Story. Die gibt es übrigens auch als Video, 40 Minuten über meinen Weg nach Rio.
Maja Wloszczowska wurde von Marek Galinski gecoacht. Ihr Landsmann war in seiner aktiven Karriere selbst einer der besten polnischen Mountainbiker und erzielte auch im Weltcup einige starke Resultate. Galinskis Name ist eng mit dem polnischen Mountainbike-Sport verbunden, er gehörte zu den prägenden Figuren, nicht nur im Sattel. Im März 2014 starb er als 40-Jähriger bei einem Autounfall. Maja Wloszczowska bezieht sich immer wieder auf die Arbeit und ein Credo von Galinski.
Sie haben Mathematik studiert, aber ich Sie mögen Bücher von Paulo Coelho. Das eine ist sehr analytische und logische Disziplin, was Coelho schreibt, ist sehr spirituell. Wie findet das in Ihrer Persönlichkeit zusammen?
Ich glaube an Energie und dass es der Glaube daran, etwas erreichen zu können, leichter macht. Ich würde sagen, das ist Psychologie. Es öffnet deine Augen für die Möglichkeiten, die vor dir liegen. Wenn du an die Möglichkeiten nicht glaubst, zum Beispiel an so etwas wie eine olympische Medaille, dann erkennst du auch nicht die Optionen. Ich sehe darin mehr die psychologische Seite als die der Magie.
Sind Sie eine Sportlerin, die mehr Motivation aus Trainings-Daten zieht, aus Puls, Watt und so weiter oder geht es für Sie mehr um den Glauben an sich selbst?
Ich würde sagen, alles ist wichtig. Während des Trainings schaue ich auf die Watt-Zahlen, sicher. Aber Watt ist nicht alles. Wenn du alle Radsportler nimmst und ihre FTP (funktionelle Leistungsschwelle) vergleichst, wirst du nicht den Weltcup-Stand ermitteln. Es geht auch um technische Fähigkeiten, es geht um die Mentalität.
Ich würde sagen, das ist sogar wichtiger. Inzwischen ist das Niveau so hoch, alle sind talentiert. Die Unterschiede sind so gering, dass du wirklich deinen Kopf brauchst, um zu gewinnen. Eines ist, leiden zu können, aber das andere ist, entspannt zu bleiben. Wenn du entspannt bist, arbeitet dein Körper besser.
Hört sich einfach an, ist es aber vermutlich gar nicht.
Vor Rio habe ich daran wirklich sehr stark gearbeitet. Um mich wegen Olympia nicht verrückt zu machen, weil der Druck sehr hoch ist. Das ist etwas, was mich Marek gelehrt hat. Einfach meinen Job zu machen.
Wann immer jemand in meinem Team sagt, wir müssen das oder das machen, sage ich immer, stopp, wir müssen nichts tun. Wir tun, was wir können und es kommt, wie es kommt. Wenn ich keine Medaille gewinne, dreht sich die Welt auch weiter und ich werde weiter auf meinem Bike sitzen. Es ist schön eine Medaille zu gewinnen, aber daran denken solltest du nicht. Vor Rio habe ich nicht an das Resultat gedacht, sondern nur an das, was ich zu tun habe und daran es zu genießen. Natürlich, einfach das zu sagen, aber nicht einfach das zu tun.
Es ist Ihnen scheinbar gelungen.
Ich muss sagen, es war gut, dass ich zur Vorbereitung nach Kolumbien gegangen bin. Da war kein anderer Sportler um mich herum und keine Journalisten. Es war ein unbekannter Ort, mit gutem Essen, viele enthusiastische Menschen. Das gab mir sehr viel Energie.
Wenn du nach Livigno gehst (so wie 2012), dann siehst du überall die Fahrer, einer macht Intervalle, andere fahren im Training an dir vorbei und du machst dich verrückt. Deshalb war Kolumbien wirklich perfekt. Ich habe trainiert und der Rest war super entspannt. Ich habe nicht zu sehr die Medien verfolgt und wenig in die sozialen Medien geschaut, sondern mich auf mich konzentriert.
Das muss man sich dann aber bewahren können, wenn man in Rio ankommt.
Ja, ich hatte das Glück, dass mein Technik-Coach ein sehr entspannter Mensch ist. Ich erinnere mich, dass wir uns eine kleine Änderung am Kurs angeschaut haben, die sie an vier kleinen Sprüngen vorgenommen haben. Er sagte, wenn wir schon hier sind, lass uns das in Flip-Flops fahren. Ich dachte erst, hey, ich will nicht meine Energie in Flip-Flops vergeuden, habe es dann aber doch gemacht. Und es war genau das Richtige, weil es mir Spaß gemacht hat.
Als Marek starb, was hat das für Sie in den folgenden Jahren verändert?
Puh, das war sicher einer der härtesten Momente in meiner Karriere. Ich habe stark an das geglaubt, was er gemacht hat. Er war ein perfekter Mentor für mich. Ich würde sagen, seither fühle ich mich mehr allein mit allem.
Ich hatte immer tolle Unterstützung, darüber kann ich mich nicht beklagen. Aber mit Marek zu arbeiten war sehr speziell. Man konnte immer spüren, es ist das Projekt der ganzen Gruppe. Also, sich vorbereiten auf die olympischen Spiele, das ist nicht meine Vorbereitung, es ist die von allen. Und die Medaille sollte in Teile geschnitten werden für alle, die für mich gearbeitet haben.
Mit Marek hatte ich immer das Gefühl, mein Job ist unser Job. Später habe ich mit seinem besten Freund Michal Krawczyk gearbeitet, weil ich der Meinung war, es ist dieselbe Schule. Es hat sehr gut funktioniert, ein toller Kerl. Im Blick auf die menschlichen Werte, vertritt er dieselben wie Marek. Es gibt nicht allzu viele solcher Menschen.
Das heißt, Sie haben die Trainingsphilosophie von Marek Galinski fortgesetzt?
Ja, wir haben das mehr oder weniger kopiert. Ich wollte auch nichts riskieren. Nach Rio haben wir das verändert. Seit Rio muss ich nichts mehr beweisen. Ich habe keinen Druck mehr und ich kann Risiko eingehen.
Seither arbeite ich mit meinem Stiefvater. Er ist kein Radsport-Trainer, aber er ist schon immer mit Ideen gekommen, es ging nur darum, die zu integrieren. Er ist 65 Jahre alt und hatte immer ziemliche Probleme mit dem Computer umzugehen. Es hat mich deshalb richtig geschockt, als ich mein Trainings-Tool geöffnet habe. Da sah ich einen perfekten Trainingsplan, entlang meiner Leistungsdaten, viel exakter noch als das bei Marek der Fall war.
Das hat mich beeindruckt und es läuft auch sehr gut. Das einzige ist, dass sobald er sieht, es läuft gut, bringt er was Neues und noch Härteres. Dabei bin ich jemand, die rasch zum Übertraining tendiert. Michal hat mich da immer gebremst.
Ich muss aufpassen, ich habe 20 Jahre Leistungssport im Körper und mein Immunsystem ist nicht so gut.
2018 entstand, fast ad hoc, auf Initiative der Schweizerin Jolanda Neff und von Maja Wloszczowska ein Clip, den man als Mountainbike-Werbevideo für Mädchen betrachten kann. Das Duo begeisterte eine ganze Anzahl von Konkurrentinnen mitzumachen und an einem Weltcup-Wochenende in Andorra wurde die Idee umgesetzt. Herausgekommen ist ein witziger Zweieinhalb-Minuten-Streifen, der auf Youtube schon fast 300.000 Mal geklickt wurde und in sozialen Medien unzählige Male angeschaut. Die Millionen-Grenze dürfte er lässig überschritten haben, hat doch allein Jolanda Neff 300.000 Abonnenten auf Instagram.
Sie haben weiter oben die Atmosphäre, die Kultur im Mountainbike-Sport erwähnt. Stimmt der Eindruck, dass die Szene von großem, gegenseitigem Respekt und viel Freundschaft geprägt ist, mehr als vor vielleicht 15 Jahren?
Sicher, es ist großartig. Mich zurück zu erinnern, wie das früher war, fällt mir schwer. Wie Sie sagen, ich war in meiner polnischen Blase, mit weniger Kontakt. Ich weiß nicht, warum das so ist. Inzwischen sprechen alle Englisch, das war früher nicht unbedingt der Fall. Das öffnet soziale Grenzen. Aber definitiv, die Atmosphäre ist toll. Es gibt viele Freundschaften zwischen den Fahrerinnen. Das ist auch ein Grund, warum ich Mountainbiken so liebe und weshalb ich mich auch nicht beeile damit aufzuhören.
Ein Beispiel dafür ist vielleicht auch der Clip, den Sie 2018 mit gedreht haben, „Girls on MTB“.
Ja, ja. Das war ein großartiges Projekt. Ich war eigentlich überrascht, dass so viele der Frauen sofort ja gesagt haben. Wir haben das an zwei Tagen am Weltcup-Wochenende in Andorra gemacht. Es war zwischen Short Track und Cross-Country-Rennen und alle mussten dafür ihren Ablauf dafür anpassen. Und wir haben alle selbst dafür bezahlt. Ich weiß nicht mehr, waren es 50 oder 100 Euro.
Es war nur eine Idee von Jolanda und mir, was Cooles auf die Beine zu stellen. Wir haben eine Whatsapp-Gruppe erstellt und die Leute gefragt, ob sie dabei sind. Alle haben ja gesagt und eine kleine Crew aus Polen hat das umgesetzt. Das Resultat war jedenfalls cool.
Wie viel Leute haben den Clip letztlich gesehen?
Ich weiß nicht. Auf Youtube sind es vielleicht 100.000, keine Ahnung. Aber auf den Kanälen der sozialen Medien natürlich noch mal sehr, sehr viele. Ich schätze mal eine Million könnten es schon sein. Jolanda und Emily (Batty) haben großes Publikum. Übrigens danke auch an Rob Warner (MTB-Kommentator bei Red Bull), den wir morgens gefragt haben, ob er mitmacht und am Mittag war er bereit zu filmen.
Wie ist die Idee überhaupt entstanden?
Ich glaube, im Training-Camp mit Jolanda. Wenn man halt Zeit hat, Ideen auszutauschen. Wir dachten, das wäre was Besonderes die ganzen Persönlichkeiten zu sehen und wollten, dass es die Leute auch sehen können. Eine Idee war die Fahrerinnen näher zu bringen und die andere, zu zeigen, was für eine coole Disziplin wir betreiben. Wir wollten einfach teilen, was wir erleben. Es war keine größere Idee dahinter, nichts um Geld zu verdienen.
Kommen wir zur WM in Albstadt. Es sind vielleicht Ihre letzten Weltmeisterschaften. Ist sie nur eine von 20?
Ah, sicher nicht, nein. Speziell deshalb, weil Albstadt eines meiner Lieblingsrennen ist. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal dort war, das war mit Giant. Da war es ein neuer Weltcup-Event. Ich mochte den Kurs von der ersten Runde an. Und ich hatte immer gute Resultate in Albstadt. Zweimal war ich ganz nah dran am Sieg. 2013, da musste ich weit hinten starten, weil ich durch meine Verletzung Punkte verloren habe. Ich bin immer weiter nach vorne gekommen und am Ende habe ich die Spitzengruppe erreicht. Das hat mich aber so viel Energie gekostet, dass Eva (Lechner) der letzten halben Runde stärker war.
2017 lag ich lange in Führung, bevor Yana Belomoina noch kam und mir den Sieg weggeschnappt hat. Der Kurs liegt mir sehr, vor allem die Anstiege. Und der andere Punkt ist, dass Albstadt nah genug an Polen liegt, dass meine Fans dahin kommen. Ich habe immer gute Unterstützung dort. Das gibt mir immer zusätzlich Energie in den Anstiegen.
Und welche Rolle spielt die WM neben den olympischen Spielen?
Sicher ist Olympia das Wichtigste, aber ich denke, es ist besser für den Kopf, wenn man sich nicht nur auf ein Rennen konzentriert. Weltmeisterschaften sind immer was Besonderes, egal ob Olympia im gleichen Jahr stattfindet oder nicht. Zudem ist es für uns schwierig auf Tokio vorzubereiten, weil man in einer anderen Klima-Zone und in einer anderen Zeit-Zone fährt. Dadurch kann man kein Höhentrainingslager machen, was ich immer gemacht habe. Sich auf Albstadt vorzubereiten ist viel einfacher. Eine Woche vorher ist der Weltcup in der Höhe von Andorra und es passt sich vorher in der Höhe vorzubereiten. Ich sollte für Albstadt in einer guten Verfassung sein.
Worauf freuen Sie sich denn in Albstadt am meisten?
Definitiv auf das Rennen selbst. Letztes Jahr konnte ich nicht fahren, weil ich nach dem Cape Epic gesundheitliche Probleme hatte. Wie ich schon sagte, ich mag die Strecke. Und ich freue mich natürlich auf die Zuschauer, es ist immer toll vor dieser Kulisse zu fahren. Du kannst nicht mal deine eigenen Gedanken hören, so laut ist es da.
Kurzporträt Maja Wloszczowska
Alter: 36
Geboren in: Warschau, Polen
Aufgewachsen und wohnhaft in: Jelenia Góra
Beruf: Finanz- und Versicherungs-Mathematikerin
Größte Erfolge: Olympia-Silber 2008 und 2016, Marathon-Weltmeisterin 2003, Cross-Country-Weltmeisterin 2010, Cross-Country-WM Silber 2004, 2005, 2011, 2013, Marathon-WM-Silber 2018, 4 Weltcupsiege, Europameisterin 2009
Offenlegung: Der Autor hat den Text für die Pressearbeit der MTB-WM in Albstadt erstellt.