Ronja Eibl: Freiwilliger Aufstieg in die Elite-Klasse

Die besten fünf U23-Fahrer*innen in der Weltrangliste dürfen wählen: Kämpfen sie um die U23-Krone im Weltcup oder messen sie sich schon mit der Elite? Ronja Eibl hatte diese Chance – und sich entschieden

Laut UCI-Reglement müssen alle U23-Sportler*innen beim Weltcup in der U23-Klasse starten. Außer, sie waren im Vorjahr richtig gut. Dann dürfen sie nämlich wählen, ob sie sich schon bereit fühlen, sich mit der Elite zu messen oder lieber noch im sicheren Haifischbecken der U23 nach Siegen streben wollen. Bei den Männern waren es bisher die 10 besten aus der Weltrangliste, bei den Frauen 5. Mit dem neuen Jahr hat die UCI die Chancengleichheit hergestellt und lässt bei beiden Geschlechtern nur noch fünf Aufsteiger*innen zu.

Die Argumente für einen Aufstieg oder auch dagegen sind gar nicht von der Hand zu weisen. Zwar bekommt man für einen Weltcup-Sieg in der Elite deutlich mehr Punkte als in der U23 – aber den Sieg muss man auch erst einmal nach Hause bringen. 250 Weltranglisten-Punkte gibt es für einen Sieg in der Elite, nur 90 in der U23. Aber: Wer es nicht schafft, in der Elite mindestens Zehnte*r zu werden, aber in der U23 gewonnen hätte, stände in der U23 besser da.

Und da ist dann auch noch das Prestige: über Nachwuchsrennen wird in den Medien oft weniger berichtet, vielleicht gerade mal noch der Sieger erwähnt. In der Elite werden häufiger mehr Finisher genannt. Aber natürlich weiß auch niemand: was die neue Saison bringt: „Kann ich an die Erfolge des vergangenen Jahres anknüpfen? Oder habe ich mich im Winter verletzt, mein Training umgestellt?“ gerade in jungen Jahren ist es schwer einzuschätzen, wie die kommende Saison verlaufen wird.

Eine spezielle Situation bieten darüber hinaus die Jahre, denen Olympische Spiele folgen oder in denen sie stattfinden: weil ein direkter Vergleich zwischen den Kandidaten schwer ist, versuchen sich die U23-Fahrer in der Eliteklasse, um ihre Leistungsfähigkeit zu zeigen und vergleichbarer zu machen. Bei den Olympischen Spielen gibt es ohnehin nur eine einzige Klasse.

Weltcup Gesamtsiegerin 2019 Ronja Eibl © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Weltcup Gesamtsiegerin 2019 Ronja Eibl
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Genau in dieser Situation befand sich in den vergangenen Tagen Ronja Eibl (Alpecin Fenix). Obwohl erst im zweiten Jahr, war sie 2019 noch eine der großen deutschen Hoffnungsträgerinnen in der U23-Klasse.  Mit drei ersten und drei zweiten Plätzen gewann sie den Gesamt-Weltcup 2019 souverän. Doch Übertraining in der Corona-Saison 2020 ließ sie weit abstürzen: an ihre Form vom Vorjahr konnte sie bei weitem nicht anknüpfen. Doch wie bei der Weltcup-Startaufstellung zieht der Weltradsportverband UCI als Kriterium für den Aufstieg nicht wie üblich die Weltrangliste vom 31.12.2020 heran, sondern die Spezial-Rangliste vom 03.03.2020 plus die Weltcups in Nove Mesto und die Weltmeisterschaft in Leogang. Plötzlich ist Eibl, derzeit 422. der Weltrangliste mit gerade einmal 38 Punkten, und auch nicht mehr 82. wie zum 31.12.2021, sondern 36. mit 933 Punkten und damit hinter der französischen U23-Weltmeisterin Loana Lecomte und der Österreicherin Laura Stigger drittbeste U23-Fahrerin – und hatte nun also die Wahl: Aufsteigen in die Elite oder in der U23-Klasse bleiben.

Und Eibl entschied sich aufzusteigen, auch auf Anraten des Bundestrainers Peter „Speedy“ Schaupp. „Es war schon eine schwierige Entscheidung. Aber im Endeffekt dachte ich mir, dass es ja eigentlich keine Rolle spielt und es in der Elite nun einfach mehr Punkte gibt, die unter Umständen für die Startplätze in Tokio eine Rolle spielen.“ Eibl hat damit nicht nur ihre eigenen Chancen im Kampf um einen der begehrten Startplätze verbessert, sondern möglicherweise auch die der deutschen Damen überhaupt, was deren Anzahl bei Tokyo2020 beeinflussen könnte. 140 Punkte beträgt derzeit der Vorsprung auf die Briten im Kampf um den zweiten Startplatz. Bei den beiden Weltcups in Albstadt und Nove Mesto könnte es also noch einmal heiß hergehen.

„Jetzt wird es für mich erstmal das Schwierigste sein, wieder auf meine Leistung zu vertrauen und erstmal auch keine konkreten Erwartungen an mich selbst zu stellen. „Wenn ich wieder an meine Leistung von 2019 anknüpfen kann, sollte ich schon ganz gut dabei sein“, sagte die 21-Jährige auf Anfrage von acrossthecountry.net. „Ich möchte mich erstmal wieder gut und schnell auf dem Rad fühlen und sicher meine Leistung aufbauen.“

Noch ist die Liste der U23-Fahrer*innen, die freiwillig in die Elite-Klasse aufsteigen werden, von der UCI nicht veröffentlicht worden. Bei den Frauen ergibt sich aber schon ein klares Bild: Laura Stigger (Specialized) und Weltmeisterin Lecomte (Massi) sind schon im Vorjahr in der Elite-Klasse gestartet. Für sie gibt es wohl keinen Grund, wieder zu den Espoirs zurückzukehren. Und die beiden Sportlerinnen aus dem Ghost Factory Racing Team, die Dänin Carolin Carolin Bohé (37.) und die Italienerin Lisa Pasteiner (59.) haben sich nach Auskunft von Teamchef Thomas Wickles dagegen entschieden.

Bei den Männern müssen sich diese fünf entscheiden: der Spanier Jofre Cullell Estape (37., Primaflor Mondrajer X-Sauce), die Schweizer Joel Roth (Biketeam Solothurn) und Alexandre Balmer (Thömus RN), der britische Weltmeister Thomas Pidcock, der nur 50 Punkte aus der Saison 2019 mitbringt, und der Italiener Simone Avondetto (Trek-Pirelli) als 99. (417 P.). Möglicherweise beißt sich der sechste U23-Fahrer, der Israeli Tomer Salzman als Hundertster mit 415 Punkten in den Allerwertesten: nur drei Punkte fehlten ihm zur Auswahlmöglichkeit, nach den Regeln vom letzten Jahr hätte er ohnehin aufsteigen können.

Die beiden großen acrossthecountry.net-Interviews mit Ronja Eibl:
Alfons Benz, 06.02.2021: Positiv in die Zukunft
Erhard Goller, 05.02.2020: 20 Köpfe für 2020: Ronja Eibl, Local Hero und Hoffnungsträgerin

Die Spezial-Weltrangliste für die Weltcups 2021 gibt’s hier als Excel-Datei.

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