Wenn Jolanda Neff ihre Welt erklärt

Beobachtungen zu einer prägenden Figur des Cross-Country-Sports

Etwas über Jolanda Neff zu schreiben, dafür gibt es fast immer einen Anlass. Allein schon durch ihre sportlichen Erfolge. 2014 gewann die Schweizerin in Pietermaritzburg ihr erstes Weltcup-Rennen, im Alter von 21 Jahren. Spätestens seit da steht sie im Fokus. An dieser Stelle sollen es mal ein paar spezielle Beobachtungen zur aktuellen Weltranglistenersten sein, die sich angesammelt haben. Im Laufe diesen Jahres, aber auch schon vorher. Über die Logik des Sports und warum  Antworten von Jolanda Neff  manchmal entwaffnend sein können.

 

Wiederholt musste Jolanda Neff (Trek Factory Racing) diese Saison schon erklären, warum es im Cross-Country-Weltcup „nur“ zu zweiten und dritten Plätzen gereicht hat, warum sie nicht gewonnen hat. Sie sprach dann immer davon, dass sie dieses Jahr noch nicht so weit sei mit ihrem Trainingsaufbau, dass sie ihre Formsteuerung auf den 1. September ausgerichtet habe.

Dass man von ihr – in der Schweiz und darüber hinaus wohl auch – Siege erwartet, dass sie fast Normalität sind und sie generell zu den Favoritinnen gehört, egal was um was für ein Rennen es sich handelt, das hat sie ihrer bisherigen Bilanz zu verdanken.

Schon seit 2015, da war sie erst 22 Jahre alt, ist sie die Schweizerin mit den meisten Weltcupsiegen. Nummer zwei ist Barbara Blatter mit fünf Erfolgen.

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Von Pauline Ferrand Prevot knapp geschlagen©Traian Olinici

Am vergangenen Sonntag im Val di Sole war Jolanda Neff nah dran am ersten Sieg, ganz nah. Im Prinzip gleichauf mit einer anderen Koryphäe im Frauen-Radsport, Pauline Ferrand Prevot (Canyon Factory Racing).

Die Short Track-Rennen in Les Gets und im Val di Sole hatte sie schon gewinnen können.

 

Ein Heimrennen, das sie noch nie gewonnen hat

Reisen wir mit der Zeitmaschine mal in die Zukuft. Es ist Sonntag, der 11. August, vielleicht 12:45 Uhr. Jolanda Neff hat im Cross-Country ihren ersten Weltcup-Sieg in dieser Saison gefeiert, ihren 13. in dieser Disziplin insgesamt. Die 26-Jährige hat damit überdies zum ersten Mal in Lenzerheide ein Weltcup-Rennen gewonnen. Bestes Resultat zuvor war ein dritter Rang 2016.

Es könnte durchaus so kommen, denn die Strecke in Lenzerheide verlangt viel von dem, was Jolanda Neff im Übermaß besitzt: Fahrtechnische Fähigkeiten, Beweglichkeit auf dem Bike, eine optimale Körperposition. Wenn sie über das Meer an Wurzeln an der Rothorn-Bahn genügend Kraft entwickeln kann, wird sie schwer zu schlagen sein.

Allerdings: das Heimrennen kann sich auch zum Nachteil entwickeln, insbesondere in der Vorbereitung darauf. Deshalb braucht Jolanda Neff in dieser Woche nicht nur Kraft in den Beinen, sondern auch eine Steuerung der Beanspruchung durch Medien, Fans etc. Küsschen hier, Autogramm da, Selfie dort, „nein“ sagen, arrogant oder sich selbst schützend vorbei latschen, das kennt man von Jolanda Neff nicht.

 

„Ja, fahr halt mal selbst den Berg rauf“

Ihre Leistungskurve zeigt nach oben, so wie sie es vermutlich beabsichtigt hat. Auch wenn die Stabilität noch etwas fehlt. In Albstadt fehlten zum Sieg 49 Sekunden, in Nove Mesto 2:13 Minuten, allerdings mit Defekt, in Andorra 38 Sekunden, in Les Gets 33 Sekunden und im Val di Sole dann nur eine.

Insofern hätte ein Sieg eine gewisse Logik und sie selbst sehnt sich immer mehr danach, gerade nach der knappen Entscheidung im Val di Sole. „Umso mehr würde ich mich freuen, wenn es endlich klappen würde mit dem ersten Sieg“, sagte sie vergangenen Sonntag.

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„Fahr doch selbst mal den Berg hoch“: Jolanda Neff ©Traian Olinici

Und auf die Frage, warum sie denn den Rückstand auf Pauline Ferrand Prevot kassiert hat, den sie nachher wieder aufholen konnte?

„Weiß gar nicht mehr, wo ist sie denn weg gefahren?“

„Am ersten Anstieg.“

„Ach so, ja, stimmt. Ja, fahr halt mal selbst da  den Berg rauf, das ist ganz schön steil.“

Jolanda Neff lacht. „Ich fahr halt so schnell ich kann und Pauline war schneller.“

So einfach ist das, wenn Jolanda Neff ihre Welt, respektive sich selbst in ihrem Sport erklärt.

Ähnlich wie ihre Antwort nach der EM in Brünn, als sie nach einem überlegenen Sieg erst zu Protokoll gab, wie hart doch das Rennen gewesen sei.

Warum sie denn bei zwei Minuten Vorsprung dann nicht etwas Tempo raus genommen hat?

„Warum soll ich langsamer fahren, wenn ich schneller kann?“, lautete die Antwort. Gepaart mit einem Erstaunen in der Mimik. Gefolgt von einem Lachen.

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Entwaffnende Antworten: Jolanda Neff ©Traian Olinici

Solche Antworten sind für einen Journalisten manchmal entwaffnend, weil sie nicht ganz der Logik dieses Sports folgen, in dem es ja immer um den Vergleich geht. Und nicht (auch) um absolute Zeiten, wie bei einem 100-Meter-Lauf oder um Zentimeter wie im Hochsprung.

Man könnte etwas pikiert von dannen ziehen. Oder es zum Anlass nehmen, die eigene, die adaptierte Logik zu hinterfragen. Vielleicht ist es ja einfach so, dass da eine vor allem Spaß an dem hat, was sie mit ihrem Talent tun kann. Vor allem, wenn sie es schnell tun kann?

Ein Naturell,, das bisweilen quer zur Fahrlinie treibt

Diese Unbekümmertheit, die man natürlich auch als Schuss Naivität wahrnehmen kann, nimmt ihr mancher gar nicht ab. Dasselbe gilt, wenn sie, als Dauer-Sieganwärterin, von sich behauptet sie sei happy, wenn sie Zweite oder Dritte geworden ist. Das entspricht nicht dem, was erwartet wird.

Man weiß ja schließlich, was für ein, pardon, Rennpferd sie ist. Ein Rennpferd, das die Nüstern eigentlich immer vorne haben will. Inzwischen hat Jolanda Neff durchaus gelernt, sich zu zügeln, den richtigen Moment abzuwarten. Maja Wloszczowska war da in der Zeit bei Kross sicher eine gute Ratgeberin.

 

Trotzdem ist das Ungestüme, das Unberechenbare, das Eigenwillige geblieben, das einen sprichwörtlichen Haken schlägt, wo er nicht erwartet wird. Was auch mal ein wenig riskant wird, für sie selbst und für Konkurrentinnen, die gerade in der Nähe sind. Und was dann kritische Stimmen provoziert.

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Liebt den Matsch: Jolanda Neff ©Traian Olinici

Bisweilen treibt dieses Naturell also quer zur Fahrlinie, auf dem Bike oder in Interviews. Möglicherweise auch mal im Innenleben eines Teams. Sogar in sich selbst, betrachtet man mal den Umstand, dass sie einerseits sehr auf ihr Äußeres achtet, bei öffentlichen Auftritten oder auf Instagram. Und andererseits am liebsten Matschrennen fährt. Gewissermaßen ein Glamour-Girl, das gerne im Dreck spielt.

Brüche mit der Logik des Wettkampfs

Dieser Charakterzug, wenn man diese Beobachtungen so komprimieren darf, wird aber auch noch in einem anderen Zusammenhang sichtbar.

Im Rennen eine Konkurrentin anzufeuern, so wie das Anne Tauber dieses Jahr schon von Jolanda Neff berichtet hat, das bricht auch mit der stieren Wettkampf-Logik. Und einer anderen Konkurrentin um die Spitzenplätze im Zwiegespräch ernsthaft gute Ratschläge zu geben, sie zu ermuntern, wie es der Autor schon selber miterlebt hat, das ist, nun ja, auch ziemlich ungewöhnlich.

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In Les Gets: Elisabeth Brandau vor Jolanda Neff ©Traian Olinici

Sie ist auch eine, die es schafft auch unmittelbar nach einem hauchdünn verlorenen Sprint, in dem der ersehnte erste Saisonsieg wieder nicht gelang, sich zur  siegreichen Konkurrentin hinunter zu beugen, sie umarmen und zu beglückwünschen.

Es stellt einen sozialen Wert über die Bedeutung des sportlichen Erfolgs. Mindestens aber daneben.

Jolanda Neff ist eine prägende Figur in der Damen-Szene, durch ihren originären Fahrstil und durch ihre Erfolge. Aber sie hat mit anderen starken Figuren ihren Anteil daran, dass da aktuell eine Kultur gelebt wird, in der nicht selten der gegenseitige Respekt erkennbar wird, in der kein Absolutismus der Siege herrscht. Eine Kultur, die Vorbild-Funktion haben kann. Haben sollte.

Obwohl jede gewinnen will, natürlich. Auch am Freitag und am Sonntag in Lenzerheide.

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