Schweizer Doppelsieg zum Auftakt des Engadin Bike Giro
Simon Vitzthum (jb Brunex Felt) und Alessandra Keller (Thömus) lassen bei der ersten, mit 35 km noch recht kurzen Etappe, die Marathon-Spezialisten hinter sich
Unter strahlendem Sonnenschein startete das erste Schweizer Rennen nach der Corona-Pause im Herzen von St. Moritz. Beim Engadin Bike Giro durften immerhin 600 Fahrer auf die drei Etappen durch das obere Inntal gehen, natürlich auch mit Corona-Auflagen: Keine gemeinsame Feedzone, dafür aber mit Masken vor dem Start und nach dem Ziel.
Mit erstaunlich hohem Tempo starteten die Elitefahrer hinaus auf die Strecke. Noch schneller war der junge Schweizer Simon Vitzthum, der gleich eine Soloattacke lancierte und einen kleinen Vorsprung ergatterte, der dann aber nicht lang hielt. Bald hatte sich aber eine dreiköpfige Spitzengruppe gefunden mit Vitzthum, dessen Landsmann Lukas Flückiger (Infinity) und dem Österreicher Daniel Geismayr (Centurion Vaude). Die Gruppe konnte sich gemeinsam einen kleinen Vorsprung herausfahren, der bis ins Ziel hielt. Vor der letzten Abfahrt hinunter zur Talstation der St. Moritzer Signalbahn setzte sich Vitzthum an die Spitze, während Geismayr bereits ein paar wenige Sekunden Rückstand hatte, ehe es in den Foppettas Trail ging. „Simon war im ersten Teil viel stärker“, zollte Flückiger dem Sieger Tribut. Oben auf der Fläche ist Simon viel im Wind gefahren. Deswegen habe ich ihn nicht mehr am Schluss attackiert. Das fand ich fair. Und es sind ja noch zwei Tage.“ Ähnlich sah es auch Marathon-Spezialist Geismayr. Der Fahrer im Trikot des Österreichischen Staatsmeisters zeigte sich ob des dritten Platzes durchaus zufrieden: „Ich war heute sicher im Nachteil mit dem Hardtail. Aber es ging mir nicht um die Platzierung, sondern ich will die Gesamtwertung gewinnen. Die heutige kurze Distanz liegt mir eher nicht so. Morgen, wenn die längeren Anstiege kommen, steigen meine Chancen ein bisschen“, zeigte sich der Vorarlberger trotz seines Rückstandes von 21 Sekunden zuversichtlich.
Vitzthum (Siegerzeit 1:26:30 h) hingegen kann in diesem Jahr schon auf einige Erfolge in der Vor-Corona-Zeit zurückblicken. Der Rheinecker (SG) hat im Gegensatz zu den meisten anderen schon immerhin sieben Renntage in den Beinen, bevor der Rennbetrieb wegen der Corona-Pandemie eingestellt wurde. „Ich war schon am Costa Blanca Race und am Mediterranean Epic, bei dem ich zwei von vier Etappen gewinnen konnte.“ Er zeigte sich sichtlich glücklich mit seinem erneuten Sieg: „Ich hatte schon gehofft, dass noch etwas Form da ist. Jetzt kann ich auch meine Sponsoren gut präsentieren.“
Die eigentlichen Favoriten auf den Tagessieg mussten allerdings Forfait geben: allen voran Vorjahressieger Sascha Weber (Majola-Rocky Mountain), der bereits früh in einen Händel mit Simon Stiebjahn (Bulls) geraten war, danach auch noch einen Platten hatte, seine hintere Steckachse verlor und zum Schluss auch noch stürzte. „Eigentlich könnte ich gleich wieder heimfahren“, ärgerte er sich im Ziel. Immerhin hat er exakt 9:00 min Rückstand auf Vitzthum.
Besser erwischte es Simon Stiebjahn (7.), der in der Verfolgergruppe das Ziel erreichte. Deren Sieger hieß allerdings Georg Egger (Lexware, +2:02 min), der zeitgleich mit Julian Schelb (Stop&Go Marderabwehr) und zwei Sekunden vor Stiebjahn die Ziellinie an der Signalbahn überquerte, gefolgt von Nicola Rohrbach (Goldwurst Power). „Ich habe mich heute sogar noch besser gefühlt als vor einer Woche in Tschechien“, ordnete Egger sein Ergebnis ein. Der Obergessertshausener musste sich aber zunächst an die dünne Luft im Engadin gewöhnen: „Als es zum ersten Mal berghoch ging, hatte ich Probleme, meinen Atemrhythmus zu finden. Beim zweiten Mal lief es schon besser. Hier auf der Höhe ist es wichtig, konzentriert zu atmen. Ich war am Limit berghoch, wenn ich getrunken habe oder ein Gel genommen habe: Dann war ich eine Minute lang kurz vorm Eingehen, aber dann ging es wieder.“ Allrounder Stiebjahn, der sowohl im Sprint, über die olympische Distanz und im Marathon sowie bei Etappenrennen schon Erfolge feiern konnte, fand das Tempo am Anfang „extrem hoch“. „Erst dachte ich: ‚Du bist wohl doch nicht so gut vorbereitet!‘, aber dann hat es sich doch wieder relativiert.“ „Morgen erwartet uns eine ganz andere Renncharakteristik und ein ganz anderer Rennverlauf“, ist sich der Badener sicher.
Das Rennen der Frauen dominierte über eine lange Distanz die Deutsche Cross-Country-Meisterin Elisabeth Brandau (Radon EBE), doch ein Schleicher machte sie bergauf immer langsamer und zwang sie in der Abfahrt vom Rad. Diese Chance nutzte die ehemalige U23-Weltmeisterin Alessandra Keller (Thömus), die schon im Anstieg an Brandau herangefahren war, und sicherte sich souverän den Sieg über die erste Etappe in einer Zeit von 1:44:37 Stunden. „Ich habe kein Problem mit der Höhe“, so die Sportlerin aus dem Kanton Uri: „Ich wohne zwar im Tal, aber ich trainiere oft in der Höhe, das macht mir nichts aus.“ Ungewohnt war für die junge Schweizerin der Konkurrenzkampf mit den Männern: „Bergauf konnte ich von ihnen profitieren, bergab war ich aber ziemlich eingeklemmt.“ Keller ist in der Szene bekannt für ihre schnellen Abfahrten.
Der zweite Platz ging an die Deutsche Stefanie Dohrn vom Team Centurion-Vaude. Die Spezialistin für Etappenrennen, die schon zweimal die BIKE TransAlp gewonnen hat, hatte nach eigenen Angaben überhaupt nicht damit gerechnet, hier beim Engadin Bike Giro so gut abschneiden zu können: „Das Damenfeld ist richtig stark besetzt“, meinte die 28-jährige Fahrerin aus dem Bergischen Land. „Ich bin einfach nur glücklich, dass überhaupt wieder ein Rennen stattfindet, dass man seine Sponsoren präsentieren kann, dass wir zeigen können, dass wir hart im Winter und im Sommer trainiert haben.“
Der dritte Platz war eine große Überraschung, sowohl für die Fahrerin, aber auch für die Beobachter der MTB-Szene. Immerhin war es erst das dritte Mountainbike-Rennen für Steffi Häberlin aus dem Kanton Thurgau, die im Trikot des deutschen Stop&Go Marderabwehr-Team startet. „Unerfahren wie ich bin, bin ich gleich Vollgas losgefahren und musste am ersten Berg schon richtig leiden“, beschrieb die 23-Jährige ihren ersten Eindruck. Dann aber fand sie gut ins Rennen und konnte sich an den „coolen“ Abfahrten erfreuen, „auch wenn ich technisch schon noch ein bisschen Nachholbedarf habe.“
Brandau, die das Rennen lange dominierte hatte, verlor in der letzten Abfahrt viel Zeit, weil sie immer wieder vom Rad musste, um den Reifen aufzupumpen, und schließlich sogar ein Stück laufen musste. Mit einem Rückstand von 12:18 min wurde sie nur Zwölfte und hat damit wohl alle Chancen auf eine gute Platzierung in der Gesamtwertung eingebüßt.
Morgen geht es auf der zweiten Etappe von Silvaplana über 71,2 km und 2.553 Höhenmeter hinauf auf 2.549 m und dann über die Corviglia in einer rasanten Abfahrt den Olympia- und den Foppettas-Trail zurück nach Silvaplana. Die Wettervorhersage lässt ein kühles und vor allem feuchtes Rennen erwarten.