Swiss Epic Stage #1: Schurter / Forster werden ihrer Favoritenrolle gerecht

Auf der ersten Etappe von Laax nach Laax über 60 km und 2.500 km sichern sich die beiden Fahrer von Scott-SRAM eine gute Ausgangsposition. Bei den Damen siegen die Favoritinnen Annika Langvad und Haley Batty.

Optimistische 2:35 Stunden hatten die Veranstalter für die Sieger der ersten Etappe angesetzt. „Aber das war zu erwarten, dass wir diesen Zeitplan kaum einhalten können“, lachte Martin Frey von den Bulls Youngsters. Und er hatte gut lachen: zusammen mit seinem Team-Kollegen Simon Schneller hatte er gerade den vierten Platz bei der ersten Etappe des Swiss Epic 2020 belegt, in einer Zeit von 3:08:19 Stunden, 7:10 Minuten hinter dem Siegerduo Nino Schurter und Lars Forster (Scott-SRAM, 3:01:09 h). Die beiden favorisierten Schweizer hatten von Anfang an das Tempo bestimmt und waren einen Großteil des alleine durch die Gebirgslandschaft von Graubünden unterwegs.

Ben Zwiehoff (Archiv) © Armin M. Küstenbrück
Ben Zwiehoff (Archiv)
© Armin M. Küstenbrück

Zwiehoff/Geismayr im Anstieg auf Siegkurs
Mit einem harten Anstieg über 1.600 Höhenmeter am startete am Dienstag die siebte Auflage des Swiss Epic, die wie im Vorjahr durch Graubünden in der Ostschweiz führt. Bereits da zogen sich das Feld weit auseinander. Am höchsten Punkt, der schon nach 20 Kilometern erreicht wurde, lag die Durchschnittsgeschwindigkeit bei gerade einmal bei 15,4 km/h. Da hatte sich ein deutsch-österreichisches Duo einen scheinbar deutlichen Vorsprung herausgefahren: Ben Zwiehoff und Daniel Geismayr vom Team Centurion-Vaude führten da bereits 1:45 min vor dem Cape-Epic-erfahrenen Duo Schurter/Forster: „Zur Hälfte des Berges haben wir uns richtig gut gefühlt, da haben wir zu uns gesagt ‚Fahren wir halt mal!‘“, berichtete Zwiehoff von der Massagebank. Doch in den Abfahrten ließen es die beiden Schweizer Cross-Country-Cracks krachen, egalisierten den Vorsprung und distanzierten Zwiehoff/Geismayr bis ins Ziel sogar noch um 1:25 min. „Wir waren echt überrascht, wie schnell sie waren und die fast zwei Minuten Vorsprung aufgebraucht waren“, sagte Zwiehoff. „Wenn Du die Trails kennst, ist das natürlich von Vorteil, besonders, wenn sie so nass und rutschig sind wie heute“, verwies Zwiehoff auf die Ortskenntnisse von Lokalmatador Schurter. „Aber wir wollten uns zu nichts verleiten lassen. Unsere Stärken liegen im konditionellen Bereich, das haben wir gezeigt. Schließlich dauert das Rennen noch vier Tage. Und morgen gibt es eine Bergankunft in Arosa…“

Nino Schurter & Lars Forster beim Training auf dem Weltcup-Kurs in Albstadt 2019 © Armin M. Küstenbrück
Nino Schurter & Lars Forster beim Training auf dem Weltcup-Kurs in Albstadt 2019
© Armin M. Küstenbrück

Schurter mit Heimvorteil
„Der Heimvorteil war ein großer Vorteil heute“, berichtete Sieger Schurter im Ziel im Interview mit dem Veranstalter. Der Weltmeister lebt in Chur, lediglich 25 Kilometer vom heutigen Etappenort Laax entfernt. „Ich kannte bereits viele der Trails, zwar nicht alle, aber genug, um heute den Unterschied ausmachen zu können. Die Bedingungen waren hart, da die Wurzeln und Steine in den Trails aufgrund der Schneeschmelze nass waren. Schlussendlich hat uns dies aber in die Karten gespielt. Wir wussten, dass wir bei den langen Anstiegen nicht die schnellsten sein würden. Wir teilten unsere Kräfte dementsprechend ein und stellten sicher, dass wir die erste Abfahrt von der Spitze der Verfolgergruppe aus in Angriff nehmen konnten.“

Vorjahressieger Fabian Rabensteiner konnte zusammen mit seinem neuen Partner Samuele Porro vom Team Trek-Pirelli auch noch das Centurion-Vaude-Duo überholen. Zwar konnten Zwiehoff/Geismayr sie auf den letzten Kilometern wieder ein bisschen einholen, im Ziel hatten die Italiener aber immer noch sechs Sekunden Vorsprung. Daniel Geismayr zeigte sich überrascht, wie gut er und Zwiehoff harmonierten, obwohl die beiden bislang noch kein Etappen-Rennen zusammen gefahren waren: „Wir haben ähnliche Stärken und Schwächen, wir reden viel miteinander. Man hat das schon im Frühjahr in Andalusien gemerkt: Das war zwar kein Zweierrennen, aber wir waren schon dort oft gemeinsam unterwegs.“ Dazu habe Zwiehoff sein Training von Cross-Country Richtung Marathon umgestellt, größere Umfänge und mehr auf der Straße trainiert. Hilfreich war sicherlich auch, das ohnehin niedrige Kampfgewicht um weitere zehn Prozent auf rund 60 Kilogramm zu reduzieren, „um ein richtiger Bergfahrer zu werden“, wie Zwiehoff in einem früheren Interview gegenüber acrossthecountry.net erzählte.

Überraschungs-Vierte: Bull-Youngsters
Im Gegensatz zu Zwiehoff hatte Martin Frey von den Bulls Youngsters, die am Ende Platz vier belegten, hatte am Anfang Mühe, den langen und steilen Berg hinauf zu kommen. Frey musste sogar den Kontakt zur Spitzengruppe abreißen lassen. Sein Teamkollege Simon Schneller hatte zunächst noch darauf gehofft, dass Frey doch noch den Anschluss finden würde, musste sich dann aber zurückfallen lassen, um den Abstand regelkonform nicht zu groß werden zu lassen. Frey konnte dann im oberen Drittel des Anstiegs doch wieder zulegen, sodass sich die beiden auf den Singletrails durch das Welterbegebiet Sardona erfolgreich auf die Verfolgung ihrer Konkurrenten machen und diese nach und nach „einsammeln“ konnten. „Von der Gegend habe ich aber nicht viel mitbekommen, dazu waren die Trails zu anspruchsvoll und man musste sich zu sehr konzentrieren“, meinte Schneller.

Die Youngsters sind überraschend das bestplatzierte Team der Bulls-Familie. Die Heroes Simon Stiebjahn und Urs Huber wurden nach einer Attacke von Huber über Stock und Stein durch einen Schleicher ausgebremst, nachdem sie noch als Sechste den langen Anstieg überwunden hatten. „Damit waren wir zunächst eigentlich zufrieden“, berichtete Stiebjahn später. Doch Hubers Parforceritt hatte gravierende Folgen: zwei Mal mussten die beiden stehen bleiben, um Luft „nachzuschießen“, ehe sie zehn Kilometer später in der Servicezone das dort deponierte Laufrad wechseln konnten. 8:49 Minuten betrug der Rückstand im Ziel auf die Sieger, 7:24 Minuten auf Platz 3 (Geismayr/Zwiehoff) und 1:39 Minuten auf ihre jungen Teamkollegen auf Rang 4. „Realistisch gesehen kämpfen wir ab jetzt in der Gesamtwertung um diesen vierten Platz. Weiter nach vorne geht es nur, wenn die vor uns einen Fehler machen. Aber die Etappen sind sehr, sehr technisch, da kann noch viel passieren“, gibt Stiebjahn die Richtung vor. Und auch Urs Huber ergänzt. „Ab Platz 4 ist alles möglich.“

Für die Bulls Legends Alban Lakata und Karl Platt ist ein Platz auf dem Schlusspodium allerdings bereits nach dem ersten Tag unrealistisch geworden. Vor einer Woche war Altstar Platt hart auf den Rücken gefallen und hatte sich dabei auch an der Hüfte verletzt. „Das tut mir echt leid für Alban“, bedauert Platt, seinen ambitionierten österreichischen Teamkollegen so auszubremsen. „Wir haben heute versucht, möglichst gut durchzukommen. Das ist echt schweres Gelände hier“, so der wettkampferprobte Platt, der schon auf vielen Etappenrennen rund um den Erdball unterwegs war. „Wir hatten schon überlegt, ob wir die Teams nicht umgruppieren, uns dann aber alle gemeinsam dagegen entschieden.“ Ganz aufgeben will sich Lakata aber nicht: „Wir sind frisch, wir haben Routine. Darauf kann man auch in den kommenden Tagen noch aufbauen. Auf jeden Fall werden wir versuchen, Spaß zu haben: schon heute hatten wir eine richtige Gaudi in den Abfahrten. Wenn wir da sturzfrei runter kommen, dann haben wir auch Spaß.“

„Sturzfrei“ war für viele Teams heute die große Herausforderung. Die nassen Wurzeln und Felsen waren extrem rutschig und glitschig und stellten die Fahrkünste vieler auf die Probe. „Wir haben dabei kläglich versagt“, resümierte zum Beispiel Markus Kaufmann, der mit seinem Partner Andreas Seewald für das Team Texpa-Simplon noch in der Verfolgergruppe den höchsten Punkt überschritten hatte, sich dann aber leicht verfuhr. Im Ziel reichte es gerade noch für die Top-Ten, doch der Rückstand auf die Führenden beträgt schon 11:43 min.

Stefabie Dohrn beim Engadin Bike Giro © Lynn Sigel
Stefabie Dohrn beim Engadin Bike Giro
© Lynn Sigel

Brandau und Dohrn stark bergauf
Noch turbulenter ging es auf der ersten Etappe bei den Frauen zu. Da waren es zunächst Elisabeth Brandau und Stefanie Dohrn (Centurion-Vaude Radon), die das Tempo bestimmten. „Berghoch sind wir beide ziemlich stark“, meinte Brandau, die zunächst Angst vor dem langen Anstieg hatte. Während sich Dohrn durch konstante Power auszeichnete, fuhr Brandau nach eigenen Angaben „unrhythmisch“: „In steilen Bergauf-Passagen fuhr ich schneller, auf den flacheren Stücken habe ich dann wieder rausgenommen.“ Fast eine Minute betrug der Vorsprung des neu zusammengestellten Teams am höchsten Punkt nach 20 Kilometern auf das Schweizer Duo Sina Frei und Nicole Koller im Trikot der schweizerischen Nationalmannschaft, sogar 3:30 Minuten auf die späteren Tagessiegerinnen, der Dänin Annika Langvad und der US-Amerikanerin Haley Batten. Doch dann ging es bergab – und das leider in doppeltem Sinn. „Wir müssen uns erst noch in dem Terrain zurechtfinden“, beschrieb Brandau die Abfahrt über die vielen Singletrails etwas euphemistisch, um dann den wahren Grund zu nennen: „Wenn ich anfange zu denken, dann fahre ich nicht mehr so schnell“, so die zweifache Mutter. Dennoch war sie nicht die langsamere im Team: für Dohrn war Brandau immer noch das Vorbild: „Sie hat so viel Geduld mit mir“, zollte die Centurion-Vaude-Fahrerin der Radon-Bikerin Lob. Und ergänzt augenzwinkernd: „Ich bin der Anker.“ Nun hoffen die beiden, dass die Abfahrten an den kommenden Tagen nicht mehr ganz so nass und rutschig sind wie heute. „Es kommen noch vier Tage, da schauen wir einfach von Tag zu Tag.“ Bleibt zu hoffen, dass sie dann nicht wieder 13:02 Minuten auf die Siegerinnen verlieren. „Wir sind nicht mit dem Anspruch hierhergekommen, um zu gewinnen“, meint Dohrn, „Das Rennen ist erst am letzten Tag im Ziel zu Ende.“

Frei mit heftigem Sturz
Das wissen spätestens seit heute auch Sina Frei und Nicole Koller. Die beiden jungen Schweizer Cross-Country-Spezialistinnen zeigten schon am Berg eine starke Leistung und auch in der Abfahrt waren sie flott unterwegs – und Frei wohl einen Moment zu unaufmerksam. Plötzlich überschlug sich die amtierende U23-Welt- und Europameisterin bei der Passage eines Kuhrostes, fiel hart auf die linke Seite und prellte sich nach ersten Informationen den Oberschenkel. „Morgen früh werden wir schauen, wie es weitergeht“, meinte Nicole Koller. „Wir fahren einfach unser Ding.“ Dass das eine gute Taktik ist, bewiesen sie trotz des Sturzes. Denn es reichte immerhin noch für den zweiten Platz hinter Langvad/Batten. Allerdings beträgt der Rückstand auf die beiden Tagessiegerinnen bereits 8:02 min.

Benz und Ames auf Platz 3
Nur knapp dahinter liegt das deutsche Überraschungsteam unter Schweizer Flagge: Nina Benz von jb Brunex Felt und ihrer Teamkollegin, der Deutschen Cross-Vizemeisterin Kim Ames, sonst in den Farben von Herzlichst Zypern unterwegs. Gerade mal 1:24 min haben die beiden als Drittplatzierte Rückstand auf die beiden Schweizer Nationalfahrerinnen. Dabei sah es an der ersten Servicestation noch gar nicht so gut für die beiden immer fröhlichen Sportlerinnen aus: über drei Minuten betrug ihr Rückstand auf Brandau/Dohrn. Doch kaum in der Abfahrt, schmolz der Vorsprung der anderen beiden Deutschen wie der Schnee im April. „Wir sind von Anfang an unser Tempo gefahren und haben ganz bewusst die Gruppe erstmal ziehen lassen“, sagte Nina Benz später im Ziel. „Das hat sich ausgezahlt. Hinten raus sind wir nämlich nicht eingebrochen.“ So konnten sie sich Kräfte sparen für das Duell mit Ariane Lüthi (SUI) und ihrer belgischen Teampartnerin Alice Pirard (Andermatt-Spur), denen sie auf den letzten Kilometern dann noch 13 Sekunden abnehmen konnten. „Wir waren ganz überrascht, dass wir einen Podiumsplatz erreicht hatten. Wir wussten nämlich gar nicht, wie viele Frauen-Teams noch vor uns sind.“ Das zauberte dann noch mehr ein Lächeln ins Gesicht der beiden: „Wir hatten beide schon richtig Spaß in den Abfahrten. Eigentlich haben wir nichts zu verlieren. Wir haben super harmoniert. Und vor allem sind wir hier, um das Rennen und die unglaubliche Natur zu genießen“, ergänzt Kim Ames.

Annika Langvad & Haley Batten auf Zypern 2020 © Armin M. Küstenbrück
Annika Langvad & Haley Batten auf Zypern 2020
© Armin M. Küstenbrück

Langvad und Batten nicht zu schlagen
Die beiden Siegerinnen Annika Langvad und Haley Batten hatten aber auch wirklich einen „guten Tag erwischt“, wie Langvad es im Interview mit acrossthecountry.net es nannte. Sie kamen bestens zurecht mit dem „superbrutalen Anstieg und den technischen Trails mit all den Steinen und Wurzeln.“ Zunächst sei jede ihren eigenen Rhythmus gefahren, schließlich hatten die beiden Specialized-Fahrerinnen noch nicht so viel Erfahrung miteinander: „Wir sind zwar schon auf Zypern im Frühjahr zusammen gefahren, aber das war ja ein ganz anderes Gelände“, berichtete die ehemalige Marathon-Weltmeisterin und mehrfache Cape-Epic-Siegerin: „Deswegen haben wir erstmal ein bisschen unsere Teamarbeit optimiert.“ Offensichtlich gelang das relativ schnell, besonders in den Singletrails. „Ich bin hinter Haley gefahren. Ihr zu folgen, war echt cool. Sie ist richtig gut, sie sieht die Linien.“ In ihrer derzeitigen Wahlheimat, der Quest University in Squamish im kanadischen British Columbia nördlich von Vancouver, trainiere die US-Amerikanerin Batten wohl auf ähnlichen Trails, berichtet Langvad. Auf die Frage, wie es denn nun in den nächsten Tagen weitergehe, antwortet die dänische Zahnärztin: „Wir werden sehen, wie wir uns fühlen. Wir wollen effektiv zusammen fahren, und in Momenten, in denen wir Vorteile haben, zum Beispiel in den Abfahrten, werden wir sicher attackieren.“

Morgen: 75 km und 2.600 hm
Die morgige Etappe mit 2.600 Höhenmetern führt über 75 Kilometer von Laax nach Arosa und dabei unter anderem an der Rheinschlucht und Schurters Heimatstadt Chur vorbei. Für dessen Konkurrenten besteht weiterhin Hoffnung: Die zweite Etappe beinhaltet einen lange Schlussaufstieg hinauf nach Arosa, der erst fünf Kilometer vor dem Ziel endet. Und die Singletrails werden weitaus weniger technisch sein als bei der Auftaktetappe des Swiss Epic 2020 in Graubünden. Das dürfte nicht nur dem Trek-Pirelli 1 Team und dem Centurion Vaude Team zugutekommen. Die ersten Männer gehen bereits um 8:00 Uhr auf die Strecke und werden – so sagt es zumindest die Marschtabelle – gegen 11:15 in Arosa erwartet, die ersten Frauen sollten etwa eine Stunde später eintreffen.

Ergebnisse

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