Nadine Rieder: „Ich werde in Albstadt am Start stehen!“

Die 31-jährige Ghost-Fahrerin hat sich am Ostersonntag zwei Bänder gerissen und zwei Knochen im Sprunggelenk gebrochen – und ist damit noch die Rennen in Nals und Haiming gefahren

Der wirkliche Schock kam erst gut zwei Wochen nach einem kleinen Trainingsunfall, als der Radiologe Nadine Rieder vom Ghost Factory Racing Team seine Diagnose präsentierte: zweifacher Außenbandriss im rechten Fußgelenk, dazu ein Bruch der Talusschulter und Mikrofrakturen im Innenknöchel. Zu diesem Zeitpunkt lag der Unfall, der zu den Verletzungen geführt hatte, mehr als zwei Wochen zurück. Kurz vor dem Ende des Trainings am Ostersonntag stürzte die 31-Jährige unweit ihres Heimatortes Sonthofen, auf einer vereisten Abfahrt ihres Hausbergs. „Es war wie in Zeitlupe: ich rutschte mit dem Vorderrad weg, konnte nicht mehr ausklicken und verdrehte dabei den rechten Fuß ziemlich unsanft“, berichtet Nadine über den Vorfall am Vormittag des 4. Aprils. Zwar schoss ihr der Schmerz ins Bein, aber Rieder rappelte sich auf, fuhr noch die Abfahrt hinunter ins Tal und rollte dann noch eine ganze Stunde dahin, „um sich auszufahren.“

Rieders rechter Fuß drei Tage nach dem Sturz © privat
Rieders rechter Fuß drei Tage nach dem Sturz
© privat

Fuß hochgelegt und gekühlt
Zuhause stellte die 179 cm große Sonthofenerin dann fest, dass der Knöchel dick angeschwollen war und schmerzte. „Ich habe den Fuß hochgelegt und gekühlt“, erzählte sie. Ein benachbarter Arzt riet ihr zu Ruhe: wenn etwas mit den Bändern wäre, könne man eh nichts machen: so etwas operiere man heute nicht mehr. Mit Unterstützung einer Physiotherapeutin wurden dann auch die Schmerzen erträglich, eine Sprungelenkbandage und Lymphdrainage sorgten für Linderung.

Videoshooting für Ghost
Aber zum Alltag eines Profis gehört nicht nur Trainieren, Essen, Schlafen und Rennen fahren, sondern auch Pressetermine und andere Verpflichtungen gegenüber den Sponsoren. Und so stand für Rieder in der Woche nach Ostern eine Homestory an, mit Photo- und Videoaufnahmen bei sich zu Hause und in ihrem Heimatort Sonthofen. „Ich wollte es nicht absagen“, sagt Rieder und kämpfte sich fortan durch: „Zum Glück haben wir die Fahraufnahmen im Schnee gedreht, da konnte ich meine weiten Winterschuhe anziehen.“ Denn der Fuß war immer noch blau und vor allem dick geschwollen.

Nadine Rieder auf den wurzeligen Abfahrten in Nals © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Nadine Rieder auf den wurzeligen Abfahrten in Nals
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Rennen in Nals
Doch weil alles so gut lief, entschied sich Rieder, das Sunshine Race in Nals zu fahren: mittlerweile war die Schwellung etwas zurückgegangen, die Lymphdrainage zeigte Wirkung, der Fuß war getapt. „Das Treten hat funktioniert, auch wenn es sich ein bisschen komisch angefühlt hat. Und ich muss zugeben: ich habe mich auf der Strecke nicht wohlgefühlt, der Staub war rutschig, ich hatte Respekt vor der Schrägabfahrt.“ Am Ende wurde sie dennoch 22. – und damit beste Deutsche, noch vor Ronja Eibl (Alpecin-Fenix), Nina Benz (jb Brunex Superior) und Elisabeth Brandau (EBE).

Trainingslager in Südtirol
Und weil es schon so gut lief, absolvierte Rieder direkt im Anschluss an das Sunshine Race zu einem Trainingscamp mit dem Ghost Factory Racing Team in Südtirol. Der immer noch dicke Fuß wurde wieder hochgelagert und gekühlt, aber das Training funktionierte. Doch der Fitnesstracker schlug weiterhin Alarm: zu hoher Puls, schlechter Schlaf: „Er war die ganze Woche im roten Bereich. Er sagte mir: irgendwas passiert im Körper.“

Nadine Rieder auf den wurzeligen Abfahrten in Haiming © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Nadine Rieder auf den wurzeligen Abfahrten in Haiming
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Rennen in Haiming
Doch schon stand das nächste Rennen auf dem Programm: direkt aus dem Trainingslager reiste das Team nach Haiming. „Die Schmerzen konnte ich im Training auf der Strecke ausblenden“, sagte Rieder später, doch ab der zweiten Runde fühlte sie, dass der Körper streikte: „Der Puls ging nicht hoch, ich habe extrem gelitten, aber ich wollte unbedingt ins Ziel kommen.“ Nach sechs Runden stand der 24. Platz zu Buche. Benz (16.) und Brandau (19.) waren diesmal ein wenig schneller als Rieder.

Zwei Wochen Ruhe im Schuh! © privat
Zwei Wochen Ruhe im Schuh!
© privat

MRT und Diagnose
„Auf der Heimfahrt habe ich dann in Bild von meinem Knöchel an meinen Trainer geschickt“, erzählt Rieder: „Er hat mir dringend nahegelegt ein MRT zu machen.“ Und das brachte dann Klarheit. Der Trainingssturz am Ostersonntag war alles andere als harmlos: zweifacher Außenbandriss im rechten Fußgelenk, dazu ein Bruch der Talusschulter und Mikrofrakturen im Innenknöchel lautete die Diagnose.

Abnormales Schmerzempfinden
„Das ist natürlich eine krasse Nachricht gut zwei Wochen vor dem Weltcup-Auftakt in Albstadt“, musste Rieder einräumen. „Als ich nach dem Arzttermin wieder im Auto saß, ging es mir mental ziemlich übel.“ Niemand habe glauben können, dass sie damit zwei Rennen fahren konnte, ja nicht einmal, dass sie damit am vergangenen Mittwoch zu Fuß in die Arztpraxis hätte laufen können. „Ich habe wohl ein abnormales Schmerzempfinden“, wundert sich Rieder, die in ihrer langen Karriere schon viele Stürze und Verletzungen überstehen musste, zuletzt einen Schlüsselbeinbruch 2018 und eine heftige Gehirnerschütterung in Andora in diesem Frühjahr. „Ich hatte bei den Rennen auch ein bisschen Glück, dass nichts passiert ist. Aber ich habe wohl eine starke Muskulatur, die den Bänderriss gut kompensiert hat. Ich bin froh, dass ich mit dem Team im Trainingscamp war, dass ich nochmal extrem gut trainieren konnte und dass ich trotz der Schmerzen die beiden Rennen gefahren bin: ich weiß jetzt, dass es technisch passt.“

Staubige Abfahrt in Haiming © Merlin Muth / EGO-Promotion
Staubige Abfahrt in Haiming
© Merlin Muth / EGO-Promotion

Ziel: Weltcup in Albstadt
Und deswegen hat Rieder ein Ziel, nicht nur einen Traum, nicht nur einen Wunsch, sondern ein reales Ziel: „Ich werde in Albstadt am Start stehen! Ich wäre extrem traurig, wenn es nicht klappen würde. Aber eigentlich will ich mir das gar nicht vorstellen.“ Deswegen stehen für die Sonthofenerin jetzt zwei Wochen Ruhe bevor: „Das Einzige, was ich machen darf, ist: Schwimmen.“ Mit Unterstützung des Wonnebads, einem wegen der Corona-Pandemie eigentlich geschlossenem Freizeitbad in Sonthofen, kann sie sich fit halten. „Wenn jetzt auch noch die Heilung so schnell funktioniert, wie ich es von meinem Körper gewohnt bin, dann klappt das auch!“

Offenlegung:
Der Autor arbeitet gelegentlich als Photograph für das Ghost Factory Racing Team.

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