Swiss Olympic nominiert sechs Fahrer für Tokio

Einen Tag nach Frankreich hat nun auch Swiss Olympic bekannt gegeben, wer für die Eidgenossen nach Japan fliegen darf. Es gibt zwei durchaus beachtenswerte Überraschungen

Je 38 Fahrer*innen dürfen bei den beiden olympischen Mountainbike-Rennen am 26. und 27. Juli auf der Halbinsel Izu bei Tokio starten. Würde man als Auswahlkriterium dafür die aktuelle Weltrangliste herziehen, wären acht der 38 Männer Schweizer. Doch mehr als drei Starter darf keine Nation entsenden, und auch das dürfen nur die besten beiden Verbände im Nationen-Ranking der UCI. Und so ist es schon immer eine harte Entscheidung bei den Eidgenossen, wer zu Hause bleiben muss. Viele jener, die zu Hause bleiben müssen, würden in anderen Ländern mit Kusshand aufgenommen und nach Japan entsandt werden. Immer wieder gab es deswegen in der Vergangenheit ernstzunehmende Gerüchte, dass Schweizer Sportler*innen die Nationalität wechseln würden, um für ein anderes Land starten zu dürfen und sich so den Traum von der Teilnahme an Olympischen Spielen zu erfüllen.

Denn wie Frankreich hat auch die Schweiz ein Luxusproblem: die Eidgenossen haben mehr erfolgreiche Mountainbiker als Startplätze bei den Olympischen Spielen. Da fällt die Auswahl schwer, irgendwer muss wohl immer enttäuscht werden. Bei den Männern hat man sich bei Swiss Olympic, der Dachorganisation des Schweizer Sports, für die besten drei Fahrer in der aktuellen Weltrangliste entschieden:

Nino Schurter © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Nino Schurter
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Nino Schurter (Scott-SRAM), lange Zeit unangefochtene Nummer eins der Welt, derzeit aber „nur“ Europameister und erst seit einer Woche wieder Führender in der Weltrangliste, nachdem ihm der Brasilianer Henrique Avancini (Cannondale Factory Racing) im Oktober 2020 den prestigeträchtigen Titel abgenommen hatte. Für Schurter werden Spiele in Tokio die vierten seiner langen und erfolgreichen Karriere sein: 2008 in Peking wurde der Graubündner Dritter, 2012 in London holte er in einem spannenden Zweikampf mit Jaroslav Kulhavy „nur“ Silber, ehe er 2016 in Rio de Janeiro seine Karriere endlich mit olympischem Gold krönen konnte.

Mathias Flückiger © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Mathias Flückiger
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Zweiter Nominierter für Tokyo2020 ist Mathias Flückiger vom Thömus RN Swiss Bike Team. Für Flückiger sind es bereits die zweiten Olympischen Spiele nach Rio 2016, die er als Sechster beendet hatte. Seit seinem Weltcup-Sieg 2019 in Albstadt hat sich der jüngere der beiden Flückiger-Brüder zu einer festen Größe im Schweizer MTB-Sport entwickelt: bei den beiden bisherigen Weltcups 2021 in Albstadt und Nove Mesto hat Flückiger jeweils den dritten Podiumsplatz belegt, er ist amtierender Vize-Weltmeister und konnte die beiden HC-Rennen in Nals und Haiming als Sieger beenden. Daher dürfte Swiss Cycling kaum Zweifel gehabt haben, ihn zu nominieren.

Die dritte Nominierung ist allerdings eine kleine Überraschung: Filippo Colombo vom französischen Team Absolute Absalon-BMC. Er ist mit seinen 24 Jahren mit Abstand der Jüngste des Schweizer Tokio-Männer-Trios: Schurter ist mittlerweile 35 Jahre alt, und auch Mathias Flückiger hat schon 32 Lenze erlebt. Colombos Handicap: der Tessiner war am 09. Mai beim Weltcup-Rennen in der letzten Abfahrt der dritten Runde schwer gestürzt und hatte sich dabei einen Beckenbruch zugezogen. Während eine erste Diagnose jedoch ein klares Olympia-Aus signalisierte, sah die Prognose seiner Ärzte eine Woche später schon wieder deutlich besser aus. Mittlerweile, also gute zwei Wochen nach dem Sturz, sitzt Colombo sogar schon wieder auf dem Rad und trainierte zweieinhalb Stunden schmerzfrei auf der Straße, wie er acrossthecountry.net verriet.

Filippo Colombo © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Filippo Colombo
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Vor seinem Sturz in Albstadt wäre die Selektion Colombos in keiner Weise überraschend gewesen: bei der Europameisterschaft am Monte Tamaro im vergangenen Jahr hat er sich bis zu seinem Defekt mit dem späteren Sieger Nino Schurter duelliert, auch in 2021 hatte er bereits solide Ergebnisse gezeigt. „Meine physischen Werte im Frühjahr waren die besten, die ich jemals hatte“, sagte Colombo. Obwohl er durch seinen Sturz weder beim deutschen noch beim tschechischen Weltcup punkten konnte, ist Colombo damit weiterhin die Schweizer Nummer Drei in der Weltrangliste auf Rang 18. Dennoch gibt man sich bei Swiss Olympic vorsichtig und lässt sich eine Hintertür offen. In der Pressemitteilung zur Olympia-Selektion der Mountainbiker heißt es wörtlich: „Voraussetzung für die Olympiateilnahme Colombos ist allerdings, dass er sich vollständig von der Verletzung erholt, die er sich Anfang Mai, bei einem Sturz am Weltcuprennen in Albstadt, zugezogen hat.“

„Wir wollen ihn nicht unter Druck setzen, deswegen wird Filippo wohl noch nicht beim Weltcup in Leogang [11.-13. Juni] am Start stehen“, sagt Bruno Diethelm, der Schweizer Nationaltrainer der Männer. In Les Gets [02-.04. Juli], also gut drei Wochen vor dem olympischen MTB-Rennen, wird Colombo jedoch abliefern müssen. Wenn nicht, stünde schon ein Ersatzmann parat: der erst 22-jährige U23-Europameister Joel Roth vom Biketeam Solothurn soll einspringen, wenn Colombo doch nicht in der relativ kurzen Zeit zu seinem alten Leistungsniveau zurückfinden sollte. Doch Colombo ist zuversichtlich: „Wenn die Heilung so weitergeht wie bisher, dann habe ich kaum Substanz verloren. Ich glaube fest daran, dass ich in Tokio starten werde. Das ist natürlich der Traum jedes Sportlers. Ich weiß, dass ich jetzt aber auch nicht übertreiben darf. Mein Ziel ist es, eine Woche vor Les Gets mein nächstes Rennen zu fahren, wahrscheinlich das HC-Rennen in Lons le Saunier“ im französischen Departement Jura, nahe der Schweizer Grenze.

Jolanda Neff © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Jolanda Neff
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Bei den Frauen war wie Nino Schurter lange Zeit Jolanda Neff (Trek) fix gesetzt. Doch ihr heftiger Trainingssturz mit schweren inneren Verletzungen in den USA im Winter 2019/20 hat auch ihre Formkurve ziemlich durcheinandergewirbelt. Denn ganz hat die Sportlerin aus dem Kanton St. Gallen ihr bekanntes Niveau noch nicht wieder erreicht, auch wenn sie im Juli 2020 schon wieder Schweizermeisterin wurde: bei den Weltcups 2021 kam die 28-Jährige über einen achten Platz in Nove Mesto nicht hinaus, bei der Weltmeisterschaft 2020 in Leogang war sie Sechste geworden.

Sina Frei © Niklas Hartmann / EGO-Promotion
Sina Frei
© Niklas Hartmann / EGO-Promotion

Mittlerweile ist Sina Frei (Specialized) die derzeit beste Schweizerin in der Weltrangliste: in der aktuellen Ausgabe belegt die 23-Jährige vom Zürichsee den fünften Platz. Bei den vergangenen vier Weltcups lieferte sie eine konstante Leistung ab, kam immer zwischen Platz 7 und 10 ins Ziel. Das reicht zwar in Tokio auch noch nicht für eine Medaille, aber vielleicht kann sich die nur 1,51 Meter große Schweizer Vizemeisterin bis dahin noch ein bisschen steigern.

Linda Indergand © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Linda Indergand
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Nicht ganz ohne Diskussionen dürfte allerdings die Selektion für den dritten Startplatz abgelaufen sein: schließlich standen sich mit Linda Indergand (Liv Giant) und Alessandra Keller (Thömus RN) zwei absolut gleichwertige Sportlerinnen gegenüber. Ausschlaggebend waren dann wohl für Swiss Cycling die besseren Ergebnisse von Indergand in den beiden Weltcups 2021, denn in der Weltrangliste läge Keller als Zwölfte vor Indergand als 16.. Keller kämpft immer noch mit den Folgen eines unglücklichen Sturzes zum Jahreswechsel beim Aussteigen aus dem Auto, bei dem sie sich die Bänder und den Meniskus im Knie verletzte. Doch schon Ende März bestritt die 28-Jährige aus dem Kanton Nidwalden wieder ihr erstes Rennen beim Sunshine Race in Nals und beendete dieses auf dem neunten Rang. „In Albstadt musste ich weit hinten starten und in Nove Mesto sind wir wieder viel gerannt, was natürlich für ein Knie nach 19 Wochen recht herausfordernd war. Eigentlich finde ich es äußerst beeindruckend, dass dies in der Form überhaupt so möglich war.“ Am Ende stand für Keller der 18. (Albstadt) und 12. Platz (Nove Mesto) zu Buche, während Indergand die Plätze 7 (Albstadt) und 6 (Nove Mesto) einfahren konnte. „Ich bin natürlich sehr enttäuscht“, sagte Keller gegenüber acrossthecountry.net. „Aber ich akzeptiere den Entscheid und gebe nicht auf. Linda hat ihre Arbeit geleistet…aber mit ein bisschen mehr Glück hätte es auch anders aussehen können“, zollte sie der Leistung ihrer Konkurrentin aus dem Kanton Uri Respekt. Keller ist nach Informationen ihres Teams als Ersatzfahrerin nominiert.

Hier noch die
Vollständige Liste der Schweizer Olympiakandidaten:

Ersatzfahrer: Joel Roth © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Ersatzfahrer: Joel Roth
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Männer:
Nino Schurter
Mathias Flückiger
Filippo Colombo (bei vollständiger Genesung)
Ersatz: Joel Roth

Ersatzfahrerin: Alessandra Keller © Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion
Ersatzfahrerin: Alessandra Keller
© Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

Frauen:
Sina Frei
Jolanda Neff
Linda Indergand
Ersatz: Alessandra Keller

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